Wer dieser Tage durch die Marburger Oberstadt schlendert, dem dürfte etwas auffallen: Unbekannte hatten „Jesus stinkt“ in Großbuchstaben auf die Mauer des Buchcafés „Con:Text“ gesprüht.
Der Aktion waren wochenlange empörte Diskussionen um den Christus-Treff, zu dem das Buchcafé gehört, vorausgegangen. Vornehmlich linke Gruppierungen wollten verhindern, dass der Christus-Treff ein Gebäude kauft, um dort Angebote für Kinder, Jugendliche und Eltern zu schaffen.
Grund für den Protest waren Vorwürfe der Homophobie, denen Vorstandsmitglied Tobias Faix scharf widersprach: „Wir wollen niemandem etwas Böses, haben uns gefragt, ob unser wie bisher geplantes Engagement an dem Standort tatsächlich das Beste für die Stadt ist. Die konfliktgeladene Debatte zeigte, dass sich etwas bewegen musste“, sagte der Theologe.
Stattdessen plant der Christus-Treff nun, die Räume zu mieten und nicht zu kaufen.
Das hielt mindestens einen Protestler jedoch nicht davon ab, das Buchcafé mit seiner ganz eigenen politischen Meinungsäußerung zu versehen.
Roland Werner, der den Christus-Treff mit gegründet hatte, reagierte postwendend auf Facebook auf die Aktion. Allerdings nicht mit Empörung, sondern mit einer detaillierten Abfassung, warum die unbekannten Schmierfinken Recht hätten: „Damit liegen sie biblisch gesehen richtig.“
Schon der „Gottesknecht“ im Buch Jesaja Kapitel 53 spreche darüber. Dieser Abschnitt gilt als „messianische Prophetie“, die auf Jesus hinweist. Vers 2 und 3 sind deutlich:
„Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.“
Auch im berühmten Kirchenlied „O Haupt voll Blut und Wunden“ von Paul Gerhardt sei davon die Rede, wie Jesus verhöhnt, verspottet und „schimpfieret“ worden sei.
Über die unbekannten Graffiti-Schreiber schreibt Roland Werner: „Sie sind Propheten wider Willen. Was sie erkennen sollen, ist das, was uns zu Christen macht: Nämlich dass es notwendig war, dass Jesus dort auf der stinkenden Müllhalde Golgatha für uns leidet und stirbt.“
Damit befinden sich die Propheten wider Willen, die Sprayer nämlich, offenbar in recht guter Gesellschaft. Auch Simon and Garfunkel hätten in „Sound of Silence“ von 1964 schon davon gesungen, wie die Worte der Propheten auf „U-Bahn-Wänden“ und – sinngemäß – „Lotterbuden“ zu lesen seien.
„And the people bowed and prayed To the neon god they made And the sign flashed out its warning In the words that it was forming And the sign said, ‘The words of the prophets are written on the subway walls, And tenement halls‘ And whispered in the sounds, of silence.“
Bis Samstag Mittag klickten mehr als 200 Menschen „Gefällt mir“ unter Werners Beitrag. Ob die Sprayer aus der Marburger Oberstadt dabei waren, ist nicht bekannt. (pro)
von: nf