Kirchenbesucher treffen Netzgemeinde

Im hessischen Ort Kriftel hat es am Sonntag den ersten Internet-Mitmachgottesdienst der hessen-nassauischen Landeskirche gegeben. Das Besondere: Die Gottesdienstbesucher können sowohl in der Kirche als auch im Internet teilnehmen, Fragen stellen und eigene Gedanken beisteuern. Das Projekt könnte Schule machen.
Von Jonathan Steinert
Der Internetgottesdienst zum Mitmachen soll Menschen ansprechen, die nicht in die Kirche gehen würden. Vor allem aber möchte Pfarrer Rasmus Bertram (re.) den Gottesdienst wieder zu einem Ort des Austauschs machen.

Als sich die evangelische Auferstehungskirche im hessischen Örtchen Kriftel an diesem Sonntag kurz vor Beginn des Gottesdienstes langsam füllt, bleiben die ersten Reihen frei. Wie das in einer ganz normalen Kirchengemeinde eben so ist. Doch heute laden Pfarrer Bertram und Birgit Arndt, Leiterin des Evangelischen Medienhauses in Frankfurt, die Besucher ein, sich doch weiter nach vorn zu setzen. Denn was heute nicht ganz so normal ist: Der Gottesdienst wird live im Internet übertragen. Drei Kameras und die weitere technische Ausrüstung hat das Medienhaus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) zur Verfügung gestellt. Scheinwerfer auf der Orgelempore und im Altarraum leuchten das Geschehen aus.

Auf der Plattform sublan.tv läuft der Gottesdienst im Stream. Die Idee: Jeder kann bei diesem interaktiven Internetgottesdienst mitmachen, indem er Gedanken oder Fragen zum Bibeltext, Fürbitten oder Grüße in ein Textfeld auf der Onlineplattform schreibt. Diese Beiträge werden anonymisiert und von einer Software sowie einem kleinen Redaktionsteam thematisch sortiert und an den Pfarrer, die Predigerin und die Moderatorin weitergeleitet. Diese greifen die Anregungen und Beiträge auf und bauen sie live in eine Art Predigtgespräch ein. Alles, was besprochen wird, erscheint im Feed, der sowohl online zu sehen ist als auch in der Kirche an die Wand gestrahlt wird. So können auch die Kirchenbesucher mitverfolgen, was im Netz passiert.

Grüße von der Autobahn

Liturgisch geht alles seinen relativ gewohnten Gang: Pfarrer im Talar, Orgelmusik am Anfang, Gebet, Lied, Psalm, Lesung, Predigt, Fürbitten, Segen – die üblichen Elemente des Gottesdienstes. Die größte Sorge für Pfarrer Bertram im Vorfeld: Wie wird die Beteiligung sein? Denn dass sich die Besucher vor Ort und im Netz zu Wort melden, darauf baut der Gottesdienst auf.

In der Krifteler Kirche haben nur Einzelne ein Smartphone in der Hand. Die erste Aktion: Wer sich online dazugeschaltet hat, solle doch mal in den Chat schreiben, wo er gerade ist. Zögerlich zunächst kommen Grüße aus Zotzenbach im Odenwald, von einem Gemeindemitglied aus dem Italienurlaub, aus Österreich, Schweden, Norwegen, aus Kriftel selbst oder dem Nachbarort Hofheim – sowie von der Autobahn A5. Das Thema des Gottesdienstes ist das Gleichnis vom verlorenen Schaf aus dem Lukasevangelium. „Wir wollen kein Frage-Antwort-Spiel“, sagt Bertram und ermutigt die Gottesdienstbesucher, eigene Gedanken und Erfahrungen zum Text zu schreiben.

Wer sich online zum Gottesdienst dazuschaltet, kann eigene Gedanken, Fragen und Erfahrungen zum Bibeltext notieren, auf die die Prediger dann eingehen Foto: Screenshot pro
Wer sich online zum Gottesdienst dazuschaltet, kann eigene Gedanken, Fragen und Erfahrungen zum Bibeltext notieren, auf die die Prediger dann eingehen

Rund 200 Beiträge kommen während des Gottesdienstes online an. Etwa: Was bedeutet „verloren“ eigentlich? Was geschieht mit denen, die nicht gefunden werden? Was für ein Glück wir haben, dass Gott anders tickt als wir. Auch Gerda Meisel, eine 75-jährige Dame, die vor Ort in der Kirche sitzt, meldet sich zu Wort. Hinterher erklärt sie im Gespräch mit pro, sie sei „ein analoges Mädchen“. Aber der Internetgottesdienst interessiert sie: „Ich finde jede Form gut, solange Jesus Christus verherrlicht wird und Menschen zum Glauben finden.“

Fürbitten von der Netzgemeinde

Bertram und Schröder greifen die Meldungen im Dialog auf, beantworten die Fragen oder sagen kurz etwas zu den Anmerkungen, auch wenn sie nicht auf jeden einzelnen Beitrag eingehen können. Beide haben im Vorfeld eine Predigt vorbereitet. Was sie davon schließlich sagt, hängt von den Fragen ab, die auftauchen. Das wirkt machmal etwas unklar. Wer antwortet worauf? Wie umfassend fällt die Antwort aus? Wird eine Wortmeldung nur vorgelesen oder kommentiert? Der inhaltliche rote Faden ist durch diese Form nicht so gegeben wie in einer ausformulierten Predigt. Dafür kommt das, was auf der Bühne passiert, spontaner und ungezwungener rüber, als das in typischen, durchchoreografierten Gottesdiensten der Fall ist. „Ich muss erstmal Luft holen“, sagt Bertram zwischendurch. „Können wir mal ein Lied singen?

Moderatorin Laura Schäfer (li.) führt liturgisch durch den Gottesdienst, Wendy Schröder und Rasmus Bertram führen das Predigtgespräch. Beiträge von den Online-Besuchern des Gottesdienstes sowie Lied- und Bibeltexte, werden an die Kirchenwand projiziert. Foto: pro/Jonathan Steinert
Moderatorin Laura Schäfer (li.) führt liturgisch durch den Gottesdienst, Wendy Schröder und Rasmus Bertram führen das Predigtgespräch. Beiträge von den Online-Besuchern des Gottesdienstes sowie Lied- und Bibeltexte, werden an die Kirchenwand projiziert.

Insgesamt gibt es während des Gottesdienstes rund 200 Beiträge über das Internet, sagt Bertram hinterher gegenüber pro. Auch die Fürbitten kommen von den Online-Gästen. Sie reichen von der gleichgeschlechtlichen Ehe über die Bitte um Beistand bei Krankheit, Frieden und Bewahrung beim anstehenden G20-Gipfel bis hin zur Bitte um schöne Ferien.

Bertram ist zufrieden mit dem Gottesdienst. Seit 2015 hat er neben seiner halben Pfarrstelle in Kriftel eine Projektstelle dafür, Internetgottesdienste zu entwickeln, finanziert von seiner Landeskirche sowie vom Verein „Andere Zeiten“. Bisher hat er Internetgottesdienste auf die Beine gestellt, die von der Jugendkirche St. Peter in Frankfurt oder aus dem Studio von ERF Medien ausgestrahlt wurden – allerdings jeweils ohne anwesende Gemeinde. Heute ist das erste Mal, dass ein ganz normaler Sonntagsgottesdienst über sublan.tv läuft, an dem sich alle beteiligen können.

Ein Format auch für andere Landeskirchen

Sein Anliegen ist es, den Gottesdienst auf diese Weise zu einem Ort zu machen, an dem Christen sich miteinander über ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit Gott austauschen. „Dadurch bekomme ich ein größeres Bild, als wenn nur einer predigt. Es wird authentischer.“ Ersetzen soll der Online-Stream den Kirchenbesuch aber nicht, sagt Bertram: „Das Ziel ist schon, dass die Leute in die Kirche reinkommen.“ Die Online-Übertragung habe aber auch einen „missionarischen Wert“, weil alle, die gerade im Netz vorbeisurften, sich einklinken könnten.

Rasmus Bertram hat eine halbe Pfarrstelle in der evangelischen Kirchengemeinde Kriftel. Mit der anderen halben Stelle entwickelt er Internetgottesdienste. Foto: pro/Jonathan Steinert
Rasmus Bertram hat eine halbe Pfarrstelle in der evangelischen Kirchengemeinde Kriftel. Mit der anderen halben Stelle entwickelt er Internetgottesdienste.

Auch Florian Berger, 19 Jahre, hat der Gottesdienst gefallen. „Es ist eine schöne Möglichkeit, dass man sich beteiligen konnte“, sagt er. Doch selber hat er nichts gepostet. „Ich wollte es mir erst einmal anschauen. Nächste Woche mache ich von zu Hause aus mit.“ Dann läuft der evangelische Gottesdienst aus Hungen auf sublan.tv. Insgesamt sind dieses Jahr sechs solcher interaktiven Internetgottesdienste in Gemeinden der EKHN geplant. Damit sollen „ganz normale“ Gemeinden ermutigt werden, selbst einmal einen Internetgottesdienst durchzuführen, mit Unterstützung der Landeskirche.

Sollte sich das Format etablieren, wäre es denkbar, es auch anderen Landeskirchen zur Verfügung zu stellen, sagt Birgit Arndt vom Evangelischen Medienhaus. Verträge für Softwarelizenzen mit dem ehrenamtlichen Team von sublan.tv würden bereits ausgehandelt. Dieses Gottesdienstformat könne „eine Facette der Digitalisierung von Kirche sein“, sagt Arndt. „Vielleicht kann es in der mobilen Gesellschaft zu einer geistlichen Heimat für manche Menschen werden.“ Und vielleicht, so hofft Arndt, hat es auch einen verstärkenden Effekt auf den Gottesdienstbesuch in den Kirchen. (pro)

Von: jst

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