Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) findet, der deutsche Staat begünstigt durch seine Auslegung der Religionsfreiheit Menschen, die einer Religion angehören. Nichtreligiöse Menschen würden demgegenüber jedoch benachteiligt. Diese Thesen, die der Verband unter anderem auch in seiner Schrift „Gläserne Wände“ ausführt, diskutierte Michael Bauer, Vorstand des HVD Bayern, auf dem Kirchentag mit Reinhard Hempelmann von der Evangelischen Zenralstelle für Weltanschauungsfragen und dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier.
„Wir sind nicht nichts“, sagte Bauer. Menschen ohne Religion hätten auch Werte und Überzeugugen, die denen von religiösen Menschen „in nichts nachstehen“. Jedoch fänden sie bei der Anwendung des vorhanden Rechts keine Beachtung. „Das Rechtssystem öffnet sich nicht für Pluralität“, so der Vorwurf Bauers. Religionsgemeinschaften würden durch den Staat privilegiert.
Bauer forderte etwa humanistische Seelsorger beim Militär oder in Gefängnissen sowie humanistischen Religionsunterricht. Er wandte sich zudem dagegen, dass die Symbole einer einzelnen Religion, etwa das Kreuz, „von Staats wegen“ in öffentlichen Gebäuden zu sehen seien. „Die richtige Antwort wäre: Alle rein oder alle raus“, sagte Bauer. Dann müssten aber auch sämtliche anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in gleicher Weise berücksichtigt werden – inklusive der Humanisten.
„Nicht alle Religionslosen sind Humanisten“
Verfassunsgrechtler Papier führte aus, dass der Staat sich religionsneutral verhalten müsse. Er sei jedoch nicht laizistisch, sondern dafür verantwortlich, die Religionsausübung in einer pluralen Gesellschaft zu fördern: „Der Staat hat ein berechtigtes Interesse an einer religiösen Vielfalt des Volkes.“ Er wies es aber zurück, Humanismus mit einer Religionsgemeinschaft gleichzusetzen, und warf Bauer vor, alle nichtreligiösen Menschen als Humanisten darzustellen. „Das ist eine gewisse Anmaßung, dass alle religiös distanzierten Meschen Anhänger der in Ihrem Verband verkörperten Ideen wären. Humanismus ist für mich ein sehr offener Begriff.“
Es sei zudem ein „juristischer Fehlschluss“, aus der negativen Religionsfreiheit, also dem Recht, keiner Religion anzugehören, Rechtsansprüche abzuleiten, selbst wie eine Religionsgemeinschaft behandelt zu werden. „Das hat in meinen Augen keine verfassunsgrechtliche Relevanz“, sagte Papier.
Bauer hielt dagegen, dass laut Grundgesetz Weltanschauungen und Religionsgemeinschaften gleich behandelt werden müssten. Humanisten organisierten sich nicht so, wie etwa Kirchen es täten. Bauer sieht in der bürokratischen Notwendigkeit, sich formal zu organisieren, um etwa als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden, eine strukturelle Benachteiligung von Humanisten.
„Wir haben kein Ritual wie die Taufe oder die Anrufung eines Gottes, mit der man automatisch dazugehört. Wie viele Mitglieder hätte denn die Kirche ohne die Taufe?” Der Humansimus habe zudem kein heiliges Buch, in dem seine Lehre festgehalten sei. „Es ist ein ganzheitliches, offenes System; das hat mehr mit Haltung und Methode zu tun”, erklärte Bauer.
„Humanistische Stimmen wollen Atheismus zur Norm erheben“
Reinhard Hempelmann von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen wandte sich ebenfalls kritisch gegen die Thesen des HVD. Auch er betonte, dass Religionslosigkeit facettenreich sei. Von 25 Millionen postulierten Menschen, die in Deutschland keiner Religion angehörten, seien nur rund 25.000 im HVD organisiert.
Er wies weiterhin darauf hin, dass es innerhalb des humanistisch-atheistischen Spektrums Stimmen gebe, „die respektlos auf ein gläubiges Bewusstsein herabschauen“. Diese zielten darauf ab „im Namen von Wissenschaft eine atheistische Weltanschauung zur Norm zu erheben”, etwa wenn gefordert werde, statt „religöser Schöpfungsmythen“ ab der ersten Klasse ausschließlich die Evlutionstheorie zu lehren. „Solche Sätze empfinde ich als schwierig. Manche politischen Forderungen sind daraufhin zu befragen, ob sie nicht die Diskriminierung von Religion befördern.”
Hempelmann plädierte zudem dafür, „dass Religion keine Privatsache ist“. Die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sollten sich im öffentlichen Raum zeigen. Denn dann müssten sie sich auch im öffentlichen Raum miteinander verständigen.
Von: jst