Einer der Vorreiter des Veganismus in Deutschland ist Christian Vagedes. Der 44-Jährige gründete die „Vegane Gesellschaft Deutschlands“, rief eine Vegan-Fachmesse ins Leben und brachte 2012 das veganmagazin heraus, dessen Chefredakteur er ist. Bei einer Podiumsdiskussion auf dem Kirchentag erklärte er einmal mehr, was das Anliegen von Veganern sei: „Vegan ist nicht nur ein Lebensstil, sondern eine Idee, die zu nachhaltigem Wandel beitragen wird.“ Wer vegan lebe, könne einen Beitrag leisten für mehr Umweltschutz, Klimaschutz, für die Erhaltung der Schöpfung, gegen Hunger, für eine friedlichere Kultur, „die ohne Gewalt gegen Mitlebewesen auskommt“.
Für ihn als Christen sei es eine Selbstverständlichkeit, vegan zu leben. Eine Ersatzreligion sei das für ihn nicht. Gefragt danach, ob er das Heil im Veganismus oder bei Jesus finde, sagte er, seine Religion sei die Liebe. „Wenn Christus das Leben ist und ich Leben töte, kreuzige ich Christus erneut.” Jesus habe selber kein Fleisch gegessen, behauptete er, und würde keinen Moment zögern, es abzulehnen, wie Menschen heute mit Tieren umgehen.
Vegane Erlösungsfantasien
Der Theologe Kai Funkschmidt von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen hielt Vagedes entgegen, dass Veganismus religiöse Züge trage. Das machte er unter anderem daran fest, dass es Speisegebote gebe, wie sie in vielen Religionen außer dem Christentum üblich seien und die eine Bekenntnis- und Abgrenzungsfunktion hätten. Die vegane Lebensweise stifte Identität, wie eine religiöse Gemeinschaft auch. Zudem mache der Veganismus Versprechungen, die religiösen Heils- und Erlösungsvorstellungen entsprächen, etwa bessere Gesundheit oder „die Lösung aller Weltprobleme“ von Hunger über Klima bis zum Frieden – „das sind utopische Erlösungsvorstellungen“.
Einen missionarischen Impuls könne Funkschmidt bei Veganern ebenfalls erkennen. „Veganismus steht in der Gefahr, etwas Gesetzliches aus diesem Lebensstil zu machen und ihn allen anderen vorschreiben zu wollen. Dem wohnt ein totalitäres Moment inne“, warnte Funkschmidt.
Auch der Ernährungspsychologe Thomas Ellrott sah im Veganismus eine Form, Lebenssinn und Orientierung zu finden. Bewusste Ernährung, sei es vegan oder auf eine andere Weise, sei an die Stelle von Ordnungssystemen wie Familie und Kirche getreten. „Wir haben ein gewisses Vakuum, was Leitplanken für das Leben angeht. Wenn die Institutionen Familie und Religion an Bedeutung einbüßen, brauchen wir Alternativen, an denen wir uns festhalten könen. Wir können nicht ohne Halt durchs Leben laufen.“ Dazu könne eine Lebensform wie Veganismus dienen.
Vagedes verwahrte sich seinerseits dagegen, Veganer zu „psychologisieren“ und als „ideologisch verkappte Menschen“ darzustellen. Die meisten Veganer lebten aus Überzeugung so, weil sie Mitgefühl für die Tiere hätten.
Essen soll Gemeinschaft fördern
Ellrott plädierte schließlich für einen „Teilzeitveganismus“. 300 bis 600 Gramm Fleisch seien pro Woche empfehlenswert; ab und zu auf tierische Produkte zu verzichten, sei durchaus sinnvoll. Jedoch bereite ihm die „Maximallösung“ Unbehagen, da es im Fleisch eine höhere Dichte an Nährstoffen und Energie gebe. Diese über rein pflanzliche Ernährung ausreichend aufzunehmen, erfordere einen sehr genau abgestimmten Speiseplan. Auch mit Blick auf den Tierschutz seien viele Kompromisse nötig.
Der Katholik betonte aber, dass Essen soziale Gemeinschaft stifte. „Da ist es nicht zielführend, wenn man neue Gräben einzieht“, sagte Ellrott. Essen solle Menschen zusammen an den Tisch bringen – und das sei dann auch friedensstiftend, wenn man dabei offen sei für die Ernährungsweise des anderen. (pro)
Von: jst