Erst Wittenberg, dann die ganze Welt

„Der Luthereffekt" zeigt den Weg von der Reformation hin zu charismatischen Gottesdiensten in Tansania oder südkoreanischen Megakirchen. Vor allem macht die Ausstellung klar: Luther hat die Welt verändert, wenn auch nicht nur zum Guten.
Von Anna Lutz
Von Wittenberg in die ganze Welt: Morning Glory in der Lutheran Kariakoo Church in Tansania im Juni 2016

Eine aufgesprengte DNA-Doppelhelix ist das erste, das Besucher der Ausstellung „Der Luthereffekt“ im Berliner Martin-Gropius-Bau sehen. Waagerechte und senkrechte Streben aus Metall füllen den abgedunkelten Innenraum des Museums. Wer will, kann sie durchwandern, die verschiedenen durch die Gerüste vorgegebenen Pfade führen zu unterschiedlichen Ecken der in dieser Woche eröffneten Lutherschau.

Geschaffen hat die Installation der Künstler Hans-Peter Kuhn. Sie ist das Herz dieser einen von insgesamt drei nationalen und durch die Bunderegierung mit mehreren Millionen Euro geförderten Sonderausstellungen. Die Doppelhelix soll an die Genesis erinnern, die verschiedenen Pfade an die unterschiedlichen Wege, die der Protestantismus genommen hat. Denn was in Wittenberg begann, hat nicht nur die Kirche des 16. Jahrhunderts und nicht nur Europa verändert.

Teufelsaustreibungen, Megakirchen und Luther

Exemplarisch zeigt die Ausstellung das an vier Ländern: Tansania, Schweden, den USA und Südkorea. Gemeinsam ist ihnen, dass sie bis heute eine starke evangelische Prägung haben, zurückzuführen vor allem auf Migrationsbewegungen, Kolonialismus und evangelische Mission.

Tansania ist das Land mit der zweitgrößten Lutherischen Kirche der Welt, Südkorea hat den stärksten protestantischen Bevölkerungsanteil in Ostasien. Megakirchen sind dort eine Normalität. In Tansania gibt es heute charismatische Gottesdienste, in denen Menschen sich auf dem Boden winden und Teufelsaustreibungen durchgeführt werden, wie eine beeindruckende Fotoreportage zeigt. Ebenso treffen sich Gläubige in traditionellen Kirchgebäuden zu lutherischen Glaubensveranstaltungen.

Kunst aus dem 17. Jahrhundert: Luther im Kreise von Reformatoren Foto: Deutsches Historisches Museum
Kunst aus dem 17. Jahrhundert: Luther im Kreise von Reformatoren

Dass diese Vielfalt ihren Ursprung in der Ideenwelt der Reformation hat, zeigt ein Gemälde der Ausstellung exemplarisch. Zu sehen ist Martin Luther im Kreise seiner Mitstreiter, die er freilich nur zum Teil persönlich kannte, ja, die nicht einmal alle in seiner Zeit lebten: Ulrich Zwingli, Johannes Calvin, John Wyclif oder Philipp Melanchthon. Sie alle einte die Idee einer erneuerten Kirche, auch wenn sich diese in den aus ihrem Bestreben hervorgehenden Lehren stark unterschieden. Lutheraner und Reformierte trennt die Abendmahlslehre, Calvin wiederum betonte die Sitte stärker als es sein Mitstreiter Zwingli tat. Die Täufer lehnten die Kindstaufe ab, die Katholiken hingegen die Idee des unmittelbaren Zugangs zu Gott.

So macht „Der Luthereffekt“ schnell klar: Die Reformation war kein Kampf der Protestanten gegen die Katholiken. Er wurde schnell auch zu einem innerevangelischen, in dem Minderheiten unterdrückt und verfolgt wurden und der zu massiven Migrationsbewegungen unter anderem in die USA führte.

Auf der Suche nach Glaubensfreiheit

So waren es letztlich auch die Verstimmungen zwischen den Denominationen, die historische und glaubensgeleitete Persönlichkeiten wie den Missionar Billy Graham oder den Bürgerrechtler Martin Luther King erst möglich machten. Die schwarze Kirche als Antwort auf die Sklaverei, das Verbot der Staatskirche und damit die Möglichkeit der freikirchlichen Vielfalt – das alles ist letztenendes Konsequenz einer europäischen Fluchtbewegung, die Luther sicher nicht gewollt, dennoch aber mitausgelöst hat. Quäker, Amische, Mennoniten oder Herrnhuter: Sie alle suchten die Glaubensfreiheit, die ihnen in ihren Heimatländern nicht garantiert war. Damit haben sie die Basis für die bunte Kirchenwelt gelegt, die in den Vereinigten Staaten bis heute zu beobachten ist.

Es ist die größte Stärke dieser Ausstellung, dass sie die protestantische Vielfalt betont, die Glaubensrichtungen zugleich aber nüchtern nebeneinander stehen lässt. Egal ob Freikirche oder Lutheraner – im Gropius-Bau werden die Denominationen sauber eingeordnet, nicht aber bewertet. Ähnlich ist der Blick der Kuratoren auf den Reformator selbst. Luthers Judenfeindlichkeit ist Thema der Ausstellung, ebenso aber seine zumindest teilweise Aufwertung der Rolle der Frau und der Ehe selbst.

Wer diese Ausstellung gesehen hat, weiß: Luther und seine reformatorischen Zeitgenossen haben die Welt wahrlich verändert. Nicht nur zum Guten sicherlich. Glaubenskriege, Unterdrückung von Minderheiten oder Judenhass gehören ebenso zu ihrem Erbe wie die Freiheit eines Christenmenschen. Doch wer nach Ansicht des „Luthereffekts“ noch der Meinung ist, Religion habe keinen Platz im Schulunterricht oder generell im öffentlichen Raum, der ist entlarvt als jemand, der einen Teil globaler Geschichte negieren will. (pro)

Von: al

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