500 Jahre zurück: Martin Luther schreibt unaufhaltsam Texte. Es sind Schriften, die von der Kirche nicht gern gesehen sind. Denn der Mönch schreibt gegen die Ablasspraxis. Und noch viel mehr: Luther lässt diese in Windeseile verbreiten, indem er sich die neueste Technik zu Nutze macht. Er erreicht das Volk. Denn durch die Vervielfältigung, die wegen der Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg möglich war, konnte Luther in kurzer Zeit viel mehr Menschen mit seiner Botschaft erreichen, als es ohne die Technik jemals gelungen wäre.
Auf dieser Grundlage fußt die Argumentation Hannes Leitleins in seinem „Plädoyer für eine neue Reformation im Netz“. Das, was sich wie eine Bestandsaufnahme der Digitalisierung – oder eher der Nicht-Digitalisierung – liest, ist die dringende Bitte des Autors, die Reformation zumindest technisch ins Heute zu übertragen. „Wer noch immer davon ausgeht, dass das Internet ein Raum ist, den man betreten kann, aber nicht muss, wird nicht erst durch die Zukunftsvisionen, die diese Woche auf der Cebit verhandelt werden, eines Besseren belehrt“, schreibt Leitlein. „Eine Kirche, die sich der Digitalisierung verweigert, ist gestrig, alt und unbeweglich. Sie hat Luther nicht verdient, auf dessen radikale Botschaft sie sich beruft.“
„Evangelium in der digitalen Welt erkunden“
Ende 2014 tagte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Thema „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“. Umgesetzt wurde aus dem Beschluss, die digitalen Kommunikationsplattformen besser zu nutzen, nichts, meint Leitlein. Ein Sprecher der EKD erklärt gegenüber pro: „Wenn wir mit jungen Menschen über unseren Glauben ins Gespräch kommen wollen, müssen wir sie dort aufsuchen, wo sie sich bewegen. Entsprechend intensiv arbeitet die EKD – mit kritischem Bewusstsein für ethische Implikationen – an der Umsetzung der Synoden-Aufträge. Federführend ist dabei das Gemeinschaftswerk Evangelischer Publizistik.“
Auch die Nordkirche hat sich im vergangenen Jahr noch einmal an der Digitalisierung versucht. Auf ihrer Landessynode im November beschloss sie, die neuen Medien gerade für den Dialog mit Konfessionslosen nutzen zu wollen. Ab 2018 soll das Programm starten. „Mir ist wichtig, dass die Kirche sich wertebildend in den zunehmenden Digitalisierungsprozess der Gesellschaft einbringt. Das gelingt natürlich nicht, wenn wir ratlos am Rand stehen“, sagte die Internetbeauftragte der Nordkirche, Doreen Gliemann, zu pro. Für 2017 seien deshalb schon Fachkongresse für die Leitungsebene und Barcamps für Jugendliche geplant. Außerdem gebe es seit Anfang des Jahres einen Social Media Manager.
„Es geht um die nächste Epoche“
Selbst zaghafte Schritte in Richtung Digitalisierung zeugten von einem Sendungsbewusstsein im digitalen Raum, das lediglich einer „Empfängnisverhütung“ gleich komme, findet Leitlein. So poste der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm zwar regelmäßig kurze Texte, Bilder und Videos, die hunderte von Menschen erreichten, aber in Dialog trete er mit ihnen in der Regel nicht. „Sozial wird ein Netzwerk aber erst dann, wenn Menschen interagieren, wenn sie, nachdem sie auf ‚Senden‘ geklickt haben, auf Empfang schalten.“
Und an diesem Punkt ist die Reformation nicht weit entfernt von unserem Alltag: Die Digitalisierung sei gerade deshalb kein großer Umbruch, weil durch sie noch mehr Menschen noch schneller an Informationen kommen, meint Leitlein. „Dabei wäre es höchste Zeit, die digitale Gegenwart theologisch zu deuten, in ihr das Evangelium zu erkunden, zu teilen, zu leben. Wer die Digitalisierung versteht und sie sich zu Nutze macht, wird nicht nur in den kommenden Jahren am Ball bleiben. Es geht um die nächste Epoche.“ (pro)
Von: ak