Der 31. Oktober 2017 wird zum Gedenken der Reformation in allen Bundesländern gesetzlicher Feiertag. Doch was hat der Staat mit dem Reformationsjubiläum zu tun? Darüber diskutierten am Dienstag Margot Käßmann und Norbert Lammert.
Von PRO
Foto: pro/Norbert Schäfer
Bundestagspräsident Norbert Lammert, Moderatorin Ursula Ott (Chefredakteurin „chrismon“) und Luther-Botschafterin Margot Käßmann bei der Podiumsdiskussion
Das Abgeordnetenhaus Berlins hat in der vergangenen Woche als letztes Landesparlament den Beschluss gefasst und den 31. Oktober 2017 zum gesetzlichen Feiertag erklärt. Zur Begründung hieß es, die Reformation sei ein kirchen- und kulturgeschichtliches Ereignis von Weltrang. Sie habe nicht nur das gesellschaftliche Leben, die Musik, die Kunst und die Literatur bis in die Gegenwart geprägt, sondern auch die Entwicklung zu einem christlichen Freiheitsbegriff und Menschenbild.
Dass Protestanten die Reformation würdigen, liegt auf der Hand. Aber was hat der Staat damit zu tun? Darüber diskutierten Bundestagspräsident und Katholik Norbert Lammert und die Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum 2017, Margot Käßmann, am Dienstag auf einer Podiumsdiskussion in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin.
Fundamentalismus gibt es nicht nur im Islam
Käßmann bezeichnete die Bildung, die von der Reformation ausging, als „einen der zentralen Punkte“. Luther habe die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt, damit die Menschen selbst darin lesen und sie verstehen können. „Er wollte, dass jeder Junge, jedes Mädchen lesen und schreiben lernt“, sagte Käßmann. Luther habe von den Fürsten gefordert, für jedes Kind einen Schulplatz zu schaffen. So sei die Volksschule entstanden.
Die Forderung nach Bildung ist für Käßmann aktuell und „besonders relevant“, weil die Gesellschaft mit Fundamentalismus zu kämpfen habe – „dem islamischen sowieso, aber natürlich auch mit dem christlichen“, sagte Käßmann. Der Appell Luthers: „Du sollst fragen!“, ist für sie „eine Errungenschaft der Reformation“, die heute Europa, Protestanten und Katholiken sehr eng aneinanderbinde. Heute könne man über biblische Fragen und Auslegungen zumindest ringen. „Aufgeklärter Glaube, der auch fragen darf, das ist schon eine Errungenschaft, die wir feiern können“, sagte die Luther-Botschafterin.
Auch Bundestagspräsident Lammert sieht im Fundamentalismus „eine gewaltige Herausforderung“. Er erklärte: „Die Versuchung zum Fundamentalismus ist keineswegs eine exklusive Kulturerfahrung der islamischen Welt.“ Im Zusammenhang mit der Reformation hätten sich damals auch verschiedene fundamentalistische Neigungen beobachten lassen.
Mehr Verbindendes als Trennendes
„Wir feiern heute eine Lerngeschichte der Reformation“, sagte Käßmann. „Dass wir hier als ein Katholik und eine Protestantin über Reformation sprechen, heißt ja auch, wir kennen inzwischen eine ökumenische Bewegung.“ Die beiden Konfessionen verbinde inzwischen mehr, als sie trenne. Es gelte zu feiern, dass Katholiken und Protestanten heute der Säkularisierung und den Herausforderungen durch den Islam gemeinsam entgegen träten. Zwar gebe es zwischen den beiden Konfessionen noch Differenzen. „Aber die müssen nicht destruktiv sein“, sagte Käßmann. Sie könnten immer wieder zum Nachdenken anregen. In den Unterschieden sieht sie keine „Gegnerschaft“. Ähnlich sieht es auch Lammert: Die trennenden Akzente, die es zweifellos gebe, könnten nach Rang und Bedeutung nicht annähernd an das Verbindende heranreichen. Käßmann warnte davor, Martin Luther als „Held“ zu stilisieren: „Es wird kein Luther-Heldengedenken geben.“ Man feiere nicht Lutherfeste, sondern den Prozess der Reformation, bei dem „1517 ein Symboldatum“ sei und Luther neben Johannes Calvin und anderen Reformatoren eine Symoblfigur darstelle. „Wir haben die Freiheit, Luther mit seinen Stärken, seinen sprachlichen Stärken zu sehen, aber auch mit seinen Schattenseiten“, sagte sie. Man könne Luther kritisch sehen und trotzden würdigen, was er zu dem Gesamtprozess der Reformation beigetragen habe.
„Ich finde es gut, dass wir diesmal Luther nicht auf ein Podest heben“, sagte Käßmann. Es gelte, auch die kritischen Punkte zu sehen. Nach der Erfahrung des Holocaust dürfe Luthers Antijudaismus nicht verschwiegen werden; auch im Hinblick auf das Versagen der Kirche, die Juden nicht vor den Nazis geschützt habe.
Botschaft ist wichtiger als Personen
Lammert erinnerte an einen Ausspruch Goethes zum 300. Jahrestag der Reformation. Goethe hatte geschrieben: „Die Reformation soll durch hunderterlei Schriften verherrlicht werden. Unter uns gesagt, ist an der ganzen Sache nichts interessant als Luthers Charakter.“ Hier habe sich Goethe Lammerts Überzeugung nach geirrt. Goethe sei Opfer eines Wahrnehmungsproblems geworden. „Wir nehmen ohnehin Personen leichter wahr als Botschaften“ und ersetzten allzuhäufig die Botschaften durch Personen, sagte der Politiker. Damit reduziere man wichtige Sachverhalte auf eine spannende Figur und laufe so Gefahr, in die Heldenverehrung abzugleiten, statt die Ereignisse und die Botschaften zu würdigen. Diese Sorge habe er jedoch nicht im Hinblick auf das Reformationsjubiläum. Alles, was bislang auf den Weg gebracht worden sei, habe „dieser Versuchung tapfer widerstanden“.
„Es ist eines der herausragenden Ereignisse der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte“, erklärte Lammert. Dies sei eine mehr als hinreichende Begründung dafür, warum nicht nur die Kirchen, sondern auch der Staat das Ereignis der Reformation würdige. (pro)
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