Nikolaus Schneider hat angekündigt, als oberster Repräsentant von 23,4 Millionen evangelischen Christen zurückzutreten, um sich um seine krebskranke Frau zu kümmern. Ein konsequenter Schritt des Theologen, dessen großes Thema die soziale Gerechtigkeit ist – und der unter Evangelikalen kritisch gesehen wird.
Von PRO
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Nikolaus Schneider hat am Montag seinen Rücktritt als EKD-Ratsvorsitzender erklärt
Manch eine Liebe trägt ein Leben lang. Der 1947 geborene Nikolaus war erst 18 Jahre alt, als er die 20-jährige Anne kennen und lieben lernte. Das Paar erlebte gemeinsam, wie Nikolaus Schneider Theologie studierte, Pfarrer wurde, wie drei Töchter auf die Welt kamen, er erst Präses der rheinischen Landeskirche wurde und dann zum EKD-Ratsvorsitzenden aufstieg.
Dabei wurde Schneider eher zufällig der oberste Repräsentant von 23,4 Millionen evangelischen Christen. Im Februar 2010 musste seine Vorgängerin Margot Käßmann, bis heute der Popstar der Protestanten, zurücktreten, nachdem sie in Hannover unter Alkoholeinfluss bei Rot eine Ampelkreuzung überquert hatte. Zunächst wurde Schneider kommissarisch zum Vorsitzenden berufen, dann im Amt bestätigt.
„Unsere Ehe ist wichtiger als Amt und Würden“
Doch die Schneiders gingen auch durch schwere Zeiten. 2005 starb ihre jüngste Tochter Meike nach einer zweijährigen Leidenszeit an Leukämie. Eine Erfahrung, die Nikolaus und Anne Schneider eher stärker zusammenschweißte als zu trennen vermochte. Im Buch „Vertrauen“ von Nikolaus und Anne Schneider schildert der Theologe, wie diese schlimme Erfahrung „ganz nachhaltig unser Denken und Reden über das Vertrauen, über unser Vertrauen zu uns selbst, zu anderen Menschen und auch zu Gott“ verändert habe.
Das Ehepaar scheint durch diese besonders existenzielle Verlusterfahrung schon damals für die Zukunft festgelegt zu haben: Unsere Ehe ist wichtiger als Amt und Würden. Ihr Lebensglück sei in einem gegenseitigen Grundvertrauen begründet: „Wir haben einen Menschen an unserer Seite, für den wir ‚glücksentscheidend‘ sind – also wichtiger als Beruf, Karriere und alle Freizeitinteressen. Wir leben in und mit dem Vertrauen: Dieser Mensch liebt mich und vertraut mir, ohne dass ich mir seine Liebe und sein Vertrauen täglich neu erkämpfen und verdienen müsste. Und wir haben Gott an unserer Seite an allen Tagen unseres Lebens.“
Am vergangenen Mittwoch sei bei seiner Frau Anne eine Brustkrebserkrankung diagnostiziert worden, erklärte Schneider am Montag bei einer Pressekonferenz. Auch ihr Lymphsystem sei befallen. Der Ratsvorsitzende sprach von Chemo- und Bestrahlungstherapie. Noch in dieser Woche wollten die Ärzte abklären, ob weitere Organe betroffen seien. „Wie auch immer diese Untersuchungen ausgehen, eins ist klar: Uns steht ein schweres Jahr bevor“, sagte Schneider.
Schwieriges Verhältnis zu Evangelikalen
Ein Jahr, das der Ratsvorsitzende an der Seite seiner Frau verbringen will. Er will nun Zeit für seine Frau und Familie haben. Das Amt des Ratsvorsitzenden könne er unter diesen Bedinungen nicht wahrnehmen. Deshalb werde er noch bis zur EKD-Synode im November die wichtigsten und notwendigsten Aufgaben ausführen, werde sich aber auch von Ratsmitgliedern vertreten und von Aufgaben freistellen lassen.
Derzeit prüfe er, welche Termine mit dem Therapieplan seiner Frau vereinbar seien. Schneider sei „völlig frei, Termine auch abzusagen“, erklärte er. Nach der Synode wolle er dann zurücktreten – sowohl als Ratsvorsitzender als auch als Mitglied des Rates der EKD. Die Liebe zu seiner Frau stehe nun vor seinem Dienst.
Schneiders Verhältnis zum evangelikalen Flügel der Kirche gilt als nicht unproblematisch, vielen Konservativen war er zu liberal. Der Theologe hatte zum Beispiel 2009 gesagt: „Gott braucht kein Sühneopfer, denn er muss nicht besänftigt werden.“ Das entspricht zwar der theologischen Mehrheitsmeinung innerhalb der evangelischen Kirche, Evangelikale werteten dies dennoch als Angriff auf zentrale christliche Glaubensinhalte. Auch seine Unterstützung der umstrittenen Orientierungshilfe „Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ hatte für Verstimmung bei Evangelikalen gesorgt, die für eine konservative Familienvorstellung plädieren.
Schneider bittet um Gebet
Das große Thema Schneiders war aber ohnehin nicht die Verkündigung von Glaubensinhalten, sondern die soziale Gerechtigkeit als wichtige Botschaft des Evangeliums: Gerechte Löhne, Frieden, die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen. Dies waren die Anliegen, die er zu fast jeder Gelegenheit betonte. Schon zu Beginn seiner Amtszeit hatte der Arbeitersohn angekündigt, sich politisch äußern zu wollen. Die soziale Gerechtigkeit sei ihm selbst schon immer sehr wichtig gewesen. „Das Eintreten für diejenigen, die ihre Stimme nicht erheben können, wird auch für mich verbindlich bleiben“, zitierte ihn Welt Online. Heute betonte er vor Journalisten, wie wichtig ihm seine Frau bei diesem Einsatz gewesen sei: „Wir haben den Dienst immer gemeinsam getragen“, sagte der Ratsvorsitzende. Gemeinsam hätten er und seine Frau „Höhen und Tiefen erlebt und auch in dieser schwierigen Situation fühlen wir uns bestärkt durch unsere tiefe Liebe“. Weiter sagte er: „Wir sind uns gewiss, dass Gottes Segen nicht mit Gesundheit und äußerem Wohlergehen zu verrechnen ist. Sein Segen begleitet uns auch im finsteren Tal, in dem wir im Augenblick sind.“ Er fügte hinzu: „Ich bitte Sie alle, an uns zu denken und für uns zu beten.“ (pro)
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