Geschichte von Paul Schneider als Musical

Pfarrer Paul Schneider gilt als der erste evangelische Märtyrer, den die Nationalsozialisten ermordet haben. Der Musiker und Arzt Peter Menger schreibt ein Musical über ihn. Mit PRO spricht er über die Tücken des Stoffes und einen Gefangenenchor, der nicht singt.
Von Johannes Blöcher-Weil
Der Musiker und Mediziner hat sich intensiv mit dem Leben des ersten evangelischen Märtyrers Paul Schneider und seiner Frau beschäftigt.

PRO: Herr Menger, konnten Sie sich keinen leichteren Stoff für ein Musical aussuchen?

Peter Menger: Das Thema ist in der Tat sehr herausfordernd. Ich merke, dass es mich immer noch umtreibt, obwohl ich mich schon sehr lange damit beschäftige. Das Stück ist ja noch nicht ganz fertig. Der große Rahmen steht, aber einige Details müssen noch ausgearbeitet werden. Klar ist für mich: Paul Schneider war ein Mann, der eine Überzeugung hatte und diese leben wollte, „koste es was es wolle“. Das ist nicht leicht umzusetzen.

Wie viele Bücherseiten haben Sie gewälzt, um Paul Schneider auf die Spur zu kommen?

Sehr viele. Zunächst natürlich das Buch von Margarete Schneider „Der Prediger von Buchenwald“. Nach einem Treffen mit ihrem Neffen Paul Dieterich habe ich dann seine Bücher über Paul und Margarete Schneider gelesen. Wir Initiatoren sind in den Hunsrück gefahren, wo Paul Schneider später Pfarrer war. Der dortige Bürgermeister hat uns altes Kassetten-Material mit einem Interview, das er mit Margarete Schneider geführt hat, übergeben. Auch die Menschen im Ort haben uns Geschichten erzählt. Etwa, wie Paul, seine „Gretel“ mit der Schubkarre durchs Dorf fuhr. Aus alledem ist nach und nach ein Gesamtbild entstanden.

Wie kommen solche Begebenheiten dann auf Notenpapier?

Ich versuche, alle relevanten Informationen über Paul und Margarete Schneider zusammenzutragen. Dabei stoße ich auf gewisse Schlüsselsätze, die ich für relevant halte. Manchmal bekomme ich auch Anregungen von anderen Musikern oder durch Berichte von Zeitzeugen. Dabei ist auch die Idee entstanden, eine Art Gefangenenchor zu komponieren. Grundlage ist, dass es schon ein Lied gab, das die Gefangenen im Konzentrationslager singen mussten. Um den Text im Musical zu verwenden, waren die Umstände zu bitter. Den Grundgedanken greife ich jedoch mit einem anderen Lied auf, das die Sehnsucht der Gefangenen nach Freiheit ausdrücken soll. Der Entstehungsprozess ist Handwerk und Inspiration zugleich. Dabei ist dann auch der Titel „Paul und Gretel: Es ist kein Märchen“ – in Analogie zu Hänsel und Gretel entstanden.

Margarete Dieterich bei ihrer Verlobung mit Paul Schneider 1922 Foto: Sammlung Familie Schneider
Die Geschichte von Margarete und Paul Schneider – hier bei ihrer Verlobung – wird jetzt als Musical vertont (Quelle: Familie Schneider).

Was war für Sie der packende Kern der Lebensgeschichte?

Ich bin fasziniert davon, wie sich Paul Schneiders Glaube an Gott so absolut auf sein Leben ausgewirkt hat. Er wird ja oft mit dem biblischen Satz in Verbindung gebracht: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Sein Predigen hat er sich als Gottes Diener nicht verbieten lassen. Er hätte das Konzentrationslager vermeiden können, wenn er das Predigtverbot der Nationalsozialisten akzeptiert hätte. Das kam für ihn nicht infrage. Als Konsequenz musste er in Buchenwald sterben.

Paul Schneider war nicht unumstritten. Greifen Sie diese Konflikte auf?

Es gab zum Beispiel Ärger mit einem Lehrer, der nicht so nach Paul Schneiders Bibelauslegungen gelebt hat. Schneider übte die so genannte Kirchenzucht aus und schloss ihn vom Abendmahl aus. Er war in dieser Frage nicht zu Kompromissen bereit. Schneider wollte verhindern, dass am Baum der Kirche, „zu viel trockenes Holz“ existiert. Dann gibt es den Bericht, in der Paul Schneider bei der Beerdigung eines Hitler-Jungen einem SS-Mann widerspricht. Der hatte behauptet, dass der Junge in den himmlischen Sturm Horst Wessels eingegangen sei. Schneider konnte das nicht so stehen lassen und betonte, dass er als evangelischer Pfarrer für die Wahrheit eintreten müsse. Er schrieb sogar einen Brief an den Gauleiter und legte ihm seine Meinung dar. Der Pfarrer wollte das Problem der Sünde nicht zu lapidar nehmen. Da hatte er eine ganz klare Linie.

Wie fließen solche Szenen in das Stück ein?

Um die Kritik an Paul Schneiders Haltung deutlich zu machen, wird es zum Beispiel eine Chor-Szene geben, in der seine Gegner singen: Das kann doch wohl nicht sein, kann er seine Wahrheit nicht für sich behalten. Vor allem in seinen Briefen begründet Schneider sein Verständnis des christlichen Glaubens sehr ausführlich. Das habe ich zum Teil wörtlich in das Stück eingebaut. Ich staune immer wieder, mit welcher Klarheit er seine Überzeugungen formuliert hat.

Was war seine Frau für ein Charakter?

Sie war ein fröhlicher, offener, aber auch sehr direkter Mensch. Die Kassetten-Aufzeichnungen geben ein gutes Bild davon. Margarete war auch diejenige, die nach Paul Schneiders Tod dessen Erbe hochgehalten hat. Sie wurde auch einmal von ihren Kindern gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn der Vater geschwiegen hätte. Das hat sie sehr verletzt. Sie hat immer zu dem gestanden, was er getan hat – auch auf Kosten ihrer eigenen Lebensführung. Von ihr stammt auch der Satz: „Lieber ein Mann, der sein Leben wagt, als ein Mann ohne Rückgrat.“

Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis, nachdem Sie sich mit dem Stoff beschäftigt haben?

Seine Treue bis in den Tod. Paul Schneider hat konsequent das umgesetzt, was er für sich als Gottes Willen erkannt hat. Koste es, was es wolle. Die Frage ist für mich heute noch aktuell. Wie konsequent verfolge ich einen Auftrag Gottes? Lebe ich meinen Glauben und stehe ich dazu? Schneider war überzeugt davon, dass der gute Hirte sein Leben für die Schafe lässt. Er hat sich hier ganz klar in Jesu Nachfolge gesehen.

Begleiten Sie Schneider in dem Musical von der Geburt bis zum Tod?

Das Stück beginnt, als Paul und Margarete sich in Weilheim kennenlernen. Paul hat dort in der Nähe von Tübingen während seines Studiums zur Untermiete bei Gretels Eltern gelebt. Er war sich sehr früh sicher, dass er diese Frau heiraten würde. Von dort verfolgen wir den weiteren Lebensweg. Margarete erzählt als Rahmenhandlung ihren Enkeln die Geschichte.

Wie hat die Familie Paul Schneiders Geschichte aufgearbeitet?

Das Ehepaar Schneider hat darum gerungen, ob Paul in den Tod gehen soll. Margarete ist später auf einen SS-Mann zugegangen und hat ihm die Hand zur Versöhnung gereicht. Die Kinder haben uns erzählt, dass sie teilweise sogar genervt waren von dem großen Getue, das um ihren Vater gemacht wurde. Für sie war er ihr Vater, der nie da war und dann auch noch früh gestorben ist. Als sie älter wurden, haben sie sein Vermächtnis begriffen. Aber wenn sie in der Schule erzählen mussten, dass ihr Vater im Konzentrationslager ermordet wurde, war das schon hart. Schneiders Sohn durfte die Laudatio halten, als der Papst ihn als Märtyrer anerkannte. Das war für ihn und die Familie eine besondere Würdigung ihres Vaters.

Was kann Musik in der Biografie transportieren, was die Bücher nicht können?

Für mich sind das in erster Linie Emotionen. Schneiders Klagen oder Hilflosigkeit, aber auch die Zuversicht kann ich gut vertonen. Da kann die Musik ein starkes Mittel sein. Das schließt nicht aus, dass das auch bei Büchern der Fall ist. Manche Bücher lese ich schon zum wiederholten Mal und muss weinen. Etwa wenn der Postbote kommt und die Todesnachricht überbringt. Da sagt das kleine Mädchen: „Nun haben wir so oft gebetet und jetzt ist er doch gestorben.“

Wer ist die Zielgruppe des Stücks?

Wir wollen mit einer Mischung aus Spielszenen und Musik möglichst viele Altersgruppen erreichen. Der Anspruch ist, dass es auch Kinder verstehen und mitmachen können. Meine Tochter hat mich kürzlich gefragt, warum in einem Musical, das auch für Kinder ist, jemand stirbt. Ich möchte verständlich zeigen, dass da jemand seinen Weg mit Gott gegangen ist – bis zum Tod. Wenn das die Kinder verstehen, sollte es auch bei den Erwachsenen klappen. Gewalt gibt es auf der Bühne aber auf jeden Fall nicht zu sehen, geschlagen wird niemand.

Vielen Dank für das Gespräch!

Erstmals aufgeführt wird das Stück am 1. Juli 2022 im mittelhessischen Hüttenberg. Weitere Auffürhungen folgen in Reutlingen am 22. Oktober und in Simmern (Hunsrück) am 19. November. Paul Schneider wurde am 29. August 1897 in Pferdsfeld geboren. Der evangelische Pfarrer und Mitglied der Bekennenden Kirche starb am 18. Juli 1939 alsn Opfer des Nationalsozialismus im Konzentrationslager Buchenwald. Er wird auch der „Prediger von Buchenwald“ genannt. Weitere Informationen gibt es auf der offiziellen Internetseite.

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Eine Antwort

  1. Ich kenne alle Musicals von Peter Menger und staune immer wieder, wie treffsicher er die Texte formuliert und in eingängige Melodien verpackt, sodass sie mich wochenlang begleiten. Dies ist wohl der schwierigste Stoff, den er bisher aufgegriffen hat, aber ich werde mir die Aufführung auf keinen Fall entgehen lassen.

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