Gelähmt nur im Körper

„Steh auf“, will Samuel Koch dem Leser seines neuen Buches Mut zusprechen. Für jemanden, der seit acht Jahren im Rollstuhl sitzt, ein erstaunlicher Appell. Und doch trifft der querschnittsgelähmte Schauspieler mit seinen sehr persönlichen Schilderungen einen Nerv, wie es ein gewöhnlicher „Resilienz“-Ratgeber vielleicht nicht vermag. Eine Rezension von Jörn Schumacher
Von Jörn Schumacher
Der seit 2010 nach einem Unfall querschnittsgelähmte Schauspieler Samuel Koch macht mit seinem neuen Buch Mut: Ein Weg aus dem Leid ist nicht einfach, aber möglich.

Bei diesem Buchtitel muss man zweimal hinsehen. Erstens weil auf dem Cover die Druckbuchstaben aneinanderkleben und nicht sofort ersichtlich ist, wo die Wörter getrennt sind: Steht da nun „Steh auf Mensch“, oder „StehaufMensch“? Tatsächlich ist es letzteres, was der Autor zum Buchtitel auserkoren hat. Das Wort erinnert sofort an das bekannte „Stehaufmännchen“, eine Figur, deren Schwerpunkt so tief liegt, dass es immer wieder aufsteht, egal wie sehr man es umkippt. Aber selbstverständlich will Samuel Koch den Titel auch als Aufforderung verstanden wissen, schreibt er. Steh auf!

Und dann gibt es noch ein zweites Hinsehen: Ein Buch mit den Worten „Steh auf“ von Samuel Koch? War das nicht der junge Mann, der wegen eines missglückten Stunts bei der Fernsehsendung „Wetten, dass ..?“ im Rollstuhl sitzt? Was will uns der über das Aufstehen sagen?

Einen typischen Ratgeber in Sachen Lebensführung, Durchhaltevermögen und Ermutigung wollte Koch auf keinen Fall schreiben; große Teile seines Buches verwendet er darauf, eben dieses Literatur-Genre zu kritisieren. Gerade einem Mann, der seit acht Jahren durch ein dummes Missgeschickt an den Rollstuhl gefesselt ist, kann man mit einem „Wird schon wieder“ und Selbsttäuschungsparolen nicht kommen.

Denn in der Tat verletzte sich Koch 2010 in der Sendung mit dem Moderator Thomas Gottschalk bei einer Wette so schlimm, dass er seither vom Hals abwärts querschnittgelähmt ist. Nach einem Schauspielstudium in Hannover ist er mittlerweile Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim. Und sein Leben besteht eben nicht hauptsächlich darin, in einem Rollstuhl zu sitzen. Koch trifft viele Menschen, kommt mit den interessantesten Personen der Weltgeschichte zusammen und führte nach eigener Schätzung auf zahlreichen Veranstaltungen über 7.000 Gespräche, in denen er viele Schicksale kennenlernte. „Mal habe ich einfach nur zugehört“, schreibt Koch, „mal Kontakte vermittelt, mal hitzig diskutiert, gelacht und gelitten und gelegentlich mit mir zunächst fremden Menschen gemeinsam geweint, wenn mir ihre Erzählungen und Geschichten an Herz und Nieren gingen.“

Für sein Buch „StehaufMensch“ führte er zusätzlich Gespräche mit Glücksforschern, Hirnforschern, Ärzten, Waisenkindern, Suizidgefährdeten, Topmanagern, Künstlern, Todkranken und Politikern. Immer mit dem einen Ziel, herauszufinden, was Glück bedeutet und wie man Leiden überwinden kann. Herausgekommen ist kein typischer Lebensratgeber. Denn eines hat der tiefsinnige Koch in all den Jahren gelernt: „Es gibt keine universale Betriebsanleitung für den Umgang mit schwierigen Zeiten.“

„Wer sich um sich selbst dreht, kommt nirgendwohin“

Hier schreibt ein junger Mann von gerade einmal 31 Jahren, der tiefgründige Weisheiten vermitteln kann, weil er sie selbst erlebt hat. Da ist zum einen die Erkenntnis, dass jeder, der in Not steckt, seinen eigenen, individuellen Weg finden muss. Da helfen auch nicht Hunderte Ratgeber in Sachen Resilienz (der Fähigkeit, mit schwierigen Situationen fertig zu werden, ein Modewort). Ihm selbst helfe es zwar, sich Erfahrungen anderer Menschen anzuhören und sich von ihren Lösungswegen dazu inspirieren zu lassen, eigene zu suchen. Aber: „Der Ratgeber versucht, Menschen von außen nach innen zu beeinflussen. Und die Inspiration funktioniert genau andersherum: Sie kommt von innen heraus und verändert das Äußere.“

An anderer Stelle schreibt er: „Ich habe im Laufe der letzten Jahre oft zu hören bekommen, was ich alles ‚muss‘ – mein Schicksal akzeptieren, meine Wünsche kompromissloser kommunizieren, und und und. Nichts davon konnte ich ‚müssen‘, sondern ich habe es nur dann umgesetzt, wenn ich es von innen wollte.“ Eine weitere weise Erkenntnis lautet: Viele Resilienz-Ratgeber seien gedacht für die Selbstoptimierung. „Es geht darin immer nur um mich, mich und mich.“ Koch: „Doch nach meiner Wahrnehmung ist es leider so: Wer sich immer nur um sich selbst dreht, kommt nirgendwohin.“

Hoffen auf einen Plan Gottes

Wertvoll ist Kochs Buch vor allem durch seine ganz persönlichen Erlebnisse und Beobachtungen, die er unterhaltsam in Beispiele umwandeln kann. Vielleicht ist es ja eine Binsenweisheit, aber bei Koch klingt es sehr glaubhaft: „Das Leben ist eine Achterbahnfahrt.“ Nur wer unten ist, kann auch wieder hinauf kommen. Oder mit dem Prediger Richard Rohr gesagt: „Der Schmerz lehrt uns etwas, das uns völlig gegen unsere eigene Einsicht geht: dass wir abwärts gehen müssen, bevor wir überhaupt wissen können, was aufwärts ist.“ Kaum eindrücklicher kann man das beschreiben anhand zweier Erlebnisse, die Koch an ein und demselben Tag an der französischen Atlantikküste hatte. Erst war er durch das schönste Glückserlebnis wie euphorisiert (schwerelos in einem Flugzeug der ESA schweben), und wenig später war er im Meer dem Tode nahe (eine halbe Minute schwamm er hilflos kopfunter im Wasser hängend und drohte zu ersticken).

Als gläubiger Mensch hat man wohl einen gewissen „Vorteil“: die Gewissheit, dass man von Gott geliebt ist, auch wenn man nicht richtig „funktionieren“ sollte, keine Leistung bringt oder etwas anderes für diese Liebe getan hat. Schon der Therapeut Viktor Frankl habe bei manchen KZ-Insassen eine positive Fähigkeit zur „Selbsttranszendenz“ beobachtet, also „die Fähigkeit, die Existenz von etwas Größerem als mich selbst anzuerkennen“. Frankl habe seine Patienten dazu angehalten, nicht die Frage zu stellen: „Was will ich vom Leben?“, sondern ihre Umkehrung: „Was will das Leben von mir?“ Im Hinblick auf die Juden fällt Samuel Koch auf: Wenn man sich ihre Jahrtausende alte Geschichte ansieht, scheinen die Juden geradezu die „Resilienz-Experten schlechthin“ zu sein. „Weil sie schon seit jeher ununterbrochen im Krieg leben, durch Wüsten irren, versklavt, zerstreut, verfolgt und angefeindet werden und damit klarkommen müssen …“.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse für ein Energiebündel wie Samuel Koch, der lange brauchte, um sein Schicksal nach der Querschnittslähmung zu akzeptieren, lautet: „Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Schwierigkeiten und schmerzhaften Erfahrungen, und es hat überhaupt keinen Sinn, ihnen ausweichen zu wollen.“ Wer weiß, ob Koch ohne seinen untrüglichen Glauben an einen liebenden Gott so viel Kraft gefunden hätte. Trotz seines körperlichen Schicksals hat er eine erstaunliche innere Stärke gefunden. Und er hat verstanden, dass Hoffnung nicht bedeuten muss zu hoffen, dass alles wieder so wird wie vor dem Unfall. Aber es kann – anders – gut werden. Koch: „Ich hoffe, dass Gott mit allem, was mir passiert ist, ein langfristiges Ziel verfolgt.“

Samuel Koch: „StehaufMensch“, adeo, 208 Seiten, 20 Euro, ISBN 9783863342111

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