Gehasst, gelobt, bei allen bekannt: 70 Jahre „Wort zum Sonntag“

Krieg, Frieden, Fußball und nicht zuletzt auch Gott – da ist kaum ein umstrittenes Thema, das das „Wort zum Sonntag“ in 70 Jahren ausgelassen hätte. Die Verkündigungssendung hat viele Kritiker – und zählt zu den bekanntesten im deutschen Fernsehen.
Von Anna Lutz

Zuletzt ging es im „Wort zum Sonntag“ um Antisemitismus in Berlin-Neukölln. Sprecherin Lissy Eichert sprach über Projekte, die Brücken bauen wollen, etwa zwischen Muslimen und Christen im Stadtteil. Oder über eine jüdische Organisation zur Hausaufgabenhilfe unter Arabern. „Das Paradebeispiel eines Brückenbauers ist für mich Jesus“, sagte sie zum Ende ihres Beitrags. Und demonstriert damit, nach welchem Konzept die Verkündigungssendung bestenfalls funktioniert: Sie zeigt in vier Minuten ein aktuelles Problem oder Thema auf – und verknüpft es mit einem biblischen Impuls. Seit nunmehr 70 Jahren gibt es das „Wort zum Sonntag“.

Fünf Frauen und drei Männer schreiben und sprechen die „Worte zum Sonntag“ derzeit, vier sind katholisch, vier evangelisch. Die erste Sendung lief am 8. Mai 1954. Damit ist das „Wort zum Sonntag“ die zweitälteste Sendung im deutschen Fernsehen. Das Format ist so bekannt, dass es sprichwörtlich geworden ist. Denn wer hat nicht schonmal ein kritisches „Wort zum Sonntag“ etwa von den Eltern gehört? 3.600 Folgen sind gesendet worden, normalerweise am späten Samstagabend. Im Schnitt sehen derzeit 1,24 Millionen Menschen zu, ein Marktanteil von 8,4 Prozent. Mehr als 300 Sprecher gab und gibt es, dazu zählen nicht nur zwei Päpste, sondern auch Prominente aus dem evangelikalen Raum wie Horst Marquardt oder Jürgen Werth.

Kaum denkbar erscheint es, dass eine derart bekannte und prominent ins Programm gesetzte Sendung, zudem von den Kirchen verantwortet, keine Kritiker auf den Plan ruft. In der Tat gibt es derer viele und das hat damit zu tun, dass die Inhalte auch heikle Themen nicht aussparen. Im April etwa ging es um Abtreibung. Die evangelische Pastorin Annette Behnken sprach sich anlässlich der aktuellen politischen Debatte für legale Abtreibungen in Deutschland aus und begründete das mit einem Bibelwort. 

Im April 2020, zu Beginn der Coronazeit, forderte der freikirchliche Pastor Christian Rommert das Maskentragen in der Öffentlichkeit: „Als Pastor würde ich Ihnen gerne erzählen, dass wenigstens Kirchen und Christen ein leuchtendes Beispiel für verantwortungsvolles Handeln abgeben. Dass sie alles tun, damit es den anderen gut geht. Machen viele ja auch. Aber zugleich höre ich da: ‚Warum darf der Friseur öffnen, und wir dürfen nicht in den Gottesdienst?‘“ Er könne zwar die Forderung nach Wiederöffnung der Kirchen nachvollziehen, sehe darin aber auch eine Spur von Egoismus, erklärte er. 

Für breite Kritik sorgte auch ein „Wort“ zur Flüchtlingskrise aus demselben Jahr. Wieder war es Behnken, die dieses Mal die europäische Flüchtlingspolitik scharf kritisierte. Die EU zahle 700 Millionen Euro Soforthilfe, „um uns Menschen in Not vom Hals zu halten“. Aufgrund dieser Situation „könnte sie – mit Verlaub – kotzen“. Außerdem forderte sie dazu auf, die Parlamente zu stürmen, „in denen Neofaschisten sitzen und uns in Schreckstarre verfallen lassen“. Grünen-Politiker Sven Giegold sprach im Nachklang vom „krassesten Wort zum Sonntag seit Langem“, die AfD twitterte, es sei „GEZ-finanzierter Irrsinn“, zum „Sturm auf Parlamente“ aufzurufen.

Unfreiwillig komisch und über die Maßen populär war eine Sendung aus dem Sommer 2014, der Zeit der Fußball-WM. Theologin Verena Maria Kitz begann ihre Andacht in der Halbzeitpause mit den Worten: „Halt, warten Sie bitte noch einen Moment, bevor Sie gleich das Bier holen für die zweite Halbzeit. Die Fußballspieler in Manaus, die hören ja schließlich auch gerade die Kabinenpredigt von ihren Trainern und werden ins Gebet genommen! Und für Sie gibt es hier das Wort zum Sonntag.“

Danach berichtete sie über ihre Verwirrung nach dem Seitenwechsel beim Fußball. „Also ich, ich bekomme am Anfang der zweiten Halbzeit immer erst mal einen Schreck. Und denke: Huch, die spielen ja aufs falsche Tor“, erklärte sie, um anschließend ganz generell über Perspektivwechsel zu sprechen: „Beim Fußball gehört so ein Seitenwechsel einfach dazu. Aber wie wäre es, wenn es so einen Seitenwechsel nicht nur auf dem Spielfeld gäbe? Und auch woanders Vor- und Nachteile neu gemischt würden? Etwa bei Ihnen zu Hause, vor dem Fernseher. Wenn etwa die, die sonst immer das Bier holen müssen, in der zweiten Halbzeit gemütlich sitzen bleiben können und von den anderen bedient werden.“

Zuschauer twitterten im Nachhinein Kommentare wie: „Ein Meisterwerk der Selbstironie!“ oder: „Hab jetzt meine Kinder geweckt. Bier holen von der Tanke. Haben gefragt warum? Ich geantwortet: Seitenwechsel!“ Ein weiterer Kommentar lautete: „Dies ist aber das elfte Gebot: Du sollst dich, als Kirche, nicht anbiedern – denn du wirst klingen wie ein Idiot.“

Für Farbe und etwas Irritation sorgte 2016 eine Folge anlässlich des Eurovision Song Contests (ESC), bei dem die Travestiekünstlerin Olivia Jones im „Wort zum Sonntag“ auftrat.„Unser Land ist schon sehr, sehr tolerant. Aber es gibt immer noch Diskriminierung und Ausgrenzung, und deswegen ist es umso wunderbarer, dass wir heute den ESC gemeinsam feiern, ein Fest der Toleranz!“, warb sie für die Anliegen der LGBTQI-Community.

Auch Kritik aus dem evangelikalen Raum gab es, genau genommen eine scharfe Kritik des ehemaligen Geschäftsführers der Christlichen Medieninitiative PRO, damals noch Christlicher Medienverbund KEP. Im Jahr 2013 zur Weihnachtszeit wandte er sich an die damalige Sprecherin Nora Steen: Sie habe das Wort „Advent“ zwar ganze 13 Mal in ihrem „Wort zum Sonntag“ benutzt, „leider sprach sie aber nicht mit einer Silbe davon, was dieses Wort für Christen bedeutet: Die Erwartung der Ankunft Jesu Christi“. Stattdessen habe Steen den „Zauber“ thematisiert, der Kinderherzen in der Vorweihnachtszeit erfülle und den Erwachsene oft nicht mehr spürten. Baake kritisierte in einem Brief an den Medienbeauftragten des Rates der EKD und der VEF, Oberkirchenrat Markus Bräuer, es gehe „um Adventskalender, Glöckchen, den Duft von Zimt, Vanille, Tanne und Bienenwachs und Kerzen.“ Zwischen den Zeilen laute die Botschaft aber: „Jesus spielt im Advent keine Rolle.“ Der Advent sei von der heutigen Bischöfin zu „Gourmet- und Wellnesswochen“ umgedeutet worden.

Was will das „Wort zum Sonntag“? Das mag da der ein oder andere fragen. Eine Antwort gab der Journalist Matthias Drobinski einst in der Süddeutschen Zeitung: Die Sendung wolle die Leute nicht in die Kirche ziehen. „Es versucht, Sinn und Leben zusammenzubringen.“ Und weiter in Richtung der „Wort zum Sonntag“-Macher: „Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Aber man muss eurer Sendung noch viele gute Jahre wünschen. Wer sonst wagt es, den durchgestylten Samstagabend zu unterbrechen? Religion ist Unterbrechung, hat der Theologe Johann Baptist Metz einmal gesagt. Ihr seid im besten Sinne religiös.“

Bleibt also abzuwarten, mit welcher Provokation das „Wort zum Sonntag“ am kommenden Wochenende aufwartet. Dann nämlich ist wieder ESC und die Verkündigungssendung läuft sogar an besonders prominenter Stelle: Gleich vor Beginn des Wettbewerbs um 20.55 Uhr.

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