Adolf Eichmann gilt als der Organisator des Holocaust. 1961 wurde er auf israelischem Boden zum Tode verurteilt. Ein Prozess wie der gegen Eichmann ist bis heute einmalig in der deutsch-israelischen Geschichte. Einmalig scheint auch, was sich wenige Monate zuvor laut dem "Spiegel" abgespielt haben soll. 1960 habe sich der Rat der EKD mit einem Schreiben bei der damaligen Bundesregierung für Eichmann eingesetzt. Das gehe aus Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes hervor.
Der damalige Linzer Superintendent Wilhelm Mensing-Braun hatte zuvor an das kirchliche Außenamt in Frankfurt am Main appelliert und dem ebenfalls aus dem österreichischen Linz stammenden Massenmörder Eichmann eine "grundanständige Gesinnung", ein "gütiges Herz" und "große Hilfsbereitschaft" attestiert. Weiter schrieb Mensing-Braun, er könne sich "nicht vorstellen", dass der ehemalige SS-Obersturmbannführer Eichmann "je zu Grausamkeit oder verbrecherischen Handlungen fähig gewesen wäre". Anscheinend hatten sich die Geschwister Eichmanns im Vorfeld an Mensing-Braun gewandt und ihn um Hilfe gebeten. Sie fürchteten, Eichmann werde vor einem israelischen Gericht möglicherweise nicht fair behandelt. Das Außenamt leitete das Schreiben an Bischof Hermann Kunst, den damaligen Bevollmächtigten der EKD am Sitz der Bundesregierung, weiter, er wiederum ließ es dem Auswärtigen Amt zukommen – mit dem Hinweis, das Votum sei "mindestens interessant".
Was der "Spiegel" nicht druckte
Pro liegen die besagten Briefe vor. Demnach hat sich der Schriftwechsel wie vom "Spiegel" dargestellt zugetragen. Doch Kunst schrieb an das Auswärtige Amt auch, dass er in dieser Sache nichts anderes tun wolle, als zu informieren. Dem Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland teilte er mit: "Ich teile zwar nicht die Besorgnisse der Familie Eichmann, dass Adolf Eichmann nicht haargenau nach rechtsstaatlichen Grundsätzen behandelt werden wird. Aber das Votum von Bruder Mensing-Braun halte ich doch für so bemerkenswert, dass ich es nicht mit leichter Hand behandeln möchte." Trotz seinem Interesse an Mensing-Brauns Einschätzung erklärte er: "Wir wissen nur, dass es zahlreiche auch charakterlich integere Persönlichkeiten unter Hitler gegeben hat, die sich dem Sog des Verbrechens nicht entzogen haben."Auch dem "Amtsbruder" Mensing-Braun selbst gegenüber äußerte er diese Auffassung in einem weiteren Brief.
So verwehrte sich am Montag auf Anfrage von pro auch die EKD selbst gegen die Darstellung des "Spiegel". "Es kann keine Rede davon sein, dass sich der Rat der EKD für Eichmann eingesetzt hat", erklärte Sprecher Reinhard Mawick. Der Bevollmächtigte Kunst habe den Brief Mensing-Brauns vielmehr in "nüchtern-sachlicher" Weise weitergeleitet und nicht etwa mit einem positiv bewertenden Kommentar versehen. (pro)