In Berlin – jedenfalls in Bezirk Mitte – war in den vergangen drei Tagen deutlich mehr Italienisch zu hören als gewöhnlich. Dazu füllten Würdenträger verschiedener Religionen in ihrer typischen Garderobe die Straßen. Denn bei bestem spätsommerlichem Wetter lud die katholische Gemeinschaft Sant’Egidio unter dem Motto „Den Frieden wagen“ zu ihrem jährlichen Friedenstreffen zahlreiche Vertreter unterschiedlicher Religionen nach Berlin ein.
Neben zahlreichen Vorträgen und Diskussionsrunden religiöser Vertreter konnten die Veranstalter auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewinnen. Beide sprachen über Frieden und den Krieg in der Ukraine – jedoch kaum mit neuen Erkenntnissen
Am Dienstag wiederholte Scholz wie bereits seit Monaten gebetsmühlenartig die volle Unterstützung der Bundesrepublik gegenüber der von Russland überfallenen Ukraine. In Bezug auf Waffenlieferungen blieb Scholz aber gewohnt vage, wenngleich er betonte, dass er eben diese Lieferungen friedensethisch für geboten halte, um einen gerechten Frieden zu erreichen. Warum jedoch das Kanzleramt so zögerlich bei den von der Ukraine geforderten Waffen agiert, ließ Scholz offen.
Wohlfühlveranstaltung für Scholz
Und auch in einer anschließenden Fragerunde mit Scholz kam dieser Aspekt nicht zur Sprache. Vorgelesen wurden nur bereits im Vorfeld eingereichte Fragen. Darunter befand sich keine einzige, die sich mit Waffenlieferungen und der konkreten Rolle Deutschlands als Friedensstifter beschäftigte – aufgrund der aktuellen Debatte eigentlich kaum vorstellbar. Stattdessen gab es viele Wohlfühlfragen über internationale Zusammenarbeit oder über Migration.
Auf Nachfrage von PRO gab die Pressestelle von Sant’Egidio an, dass das Kanzleramt im Vorfeld weder die einzelnen Fragen kannte, noch diese genehmigt habe. Einzig die Themenfelder wurden im Vorfeld mitgeteilt.
Bemerkenswert waren dagegen Scholz’ Äußerungen zum kirchlichen und religiösen Engagement für Dialog und zu gemeinsamen Bemühungen gegen Gewalt. Diese Bemühungen seien notwendig, weil Frieden nicht vom Himmel falle, sondern das „Produkt menschlicher Anstrengung“ sei.
Begrüßt und verabschiedet wurde Scholz mit Standing Ovations.
Steinmeier persönlich wie selten
Bereits am Sonntag sprach Bundespräsident Steinmeier auf dem Friedenstreffen und rechtfertige Waffenlieferungen an die Ukraine. Dabei sprach er persönlich wie selten von einem Dilemma, mit dem er auch selbst als „bekennender Christ“ zu kämpfen habe. Auf der einen Seite würden Waffenlieferung den Krieg und das Leid verlängern. Ohne Lieferungen würde man aber den Ukrainern jegliche Hilfe verweigern und sie ihrem Schicksal überlassen.
Sant’Egidio
Das interreligiöse Friedenstreffen der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio findet jährlich an wechselnden Orten statt – bereits aber schon vier Mal in Deutschland. Die katholische Laiengemeinschaft wurde 1968 in Rom gegründet. Sie besteht nach eigenen Angaben aus einem Netzwerk von Gemeinschaften in 70 Ländern, denen etwa 60.000 Mitglieder angehören. Grundpfeiler der Gemeinschaft sind gemeinsames Gebet, der Einsatz für Arme sowie die Friedensarbeit.
Steinmeier betonte zudem die Rolle von Religionen als „Förderer des Friedens und als Kraft der Versöhnung“. Diese würden einen „unverzichtbaren“ Dienst leisten. Die russisch-orthodoxe Kirche dagegen handele gegen diese Aufgaben und das Friedensgebot, machte Steinmeier klar, ohne die Kirche beim Namen zu nennen. Die Verantwortung aller Gläubigen sei es, nicht zuzulassen, dass Religion zur Rechtfertigung von Hass und Gewalt missbraucht werde.
1.000 Gläubige setzen Zeichen für Frieden
Den aber wohl wirkmächtigsten und inhaltlich stärksten Programmbeitrag lieferte das Friedenstreffen zum Abschluss. An mehreren zentralen Orten im Zentrum Berlins versammelten sich Vertreter der verschiedenen Religionen, um für Frieden zu beten.
Während sich jüdische Geistliche am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas trafen, versammelten sich Christen vor dem Brandenburger Tor. Der Bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sprach den Gläubigen die Gewissheit zu, dass „Jesus die Mächte der Zerstörung überwunden hat“. Weil Christen weltweit auf diese Worte vertrauten, engagierten sie sich für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, fuhr Bedford-Strohm fort.
Anschließend trafen sich etwa 1.000 Gläubige vor dem Brandenburger Tor zu einer Abschlusskundgebung. In deren Rahmen wurde eine Grußbotschaft von Papst Franziskus verlesen. Dieser mahnte zu mehr Anstrengung für Frieden in der Ukraine und in anderen kriegsgebeutelten Ländern. „Lasst uns keine Angst haben, Bettler des Friedens zu werden, uns mit unseren Schwestern und Brüdern anderer Religionen zusammenzutun und mit all jenen, die sich nicht mit der Unausweichlichkeit von Konflikten abfinden wollen.“
Zudem wies das katholische Oberhaupt darauf hin, dass es keine magischen Formeln zur Beendigung von Konflikten gebe. Es sei aber heiliges Recht, im Namen aller Leidenden um Frieden zu bitten, und es verdiene, gehört zu werden. „Es fordert zu Recht alle, angefangen bei den Regierungschefs, dazu auf, sich Zeit zu nehmen und ernsthaft und respektvoll zuzuhören“, ließ Franziskus verkünden.