Die Liste der reichsten Menschen der Welt wird seit jeher dominiert von Männern. Nach bekannten Persönlichkeiten wie Tesla-Chef Elon Musk, Amazon-Gründer Jeff Bezos und den Inhaber des französischen Luxuskonzerns LVMH, Bernard Arnault, kommt erst an zwölfter Stelle eine Frau. Die Französin Françoise Bettencourt Meyers, Besitzerin des französischen Kosmetikkonzerns L’Oréal, ist die reichste Frau der Welt und seit kurzem auch die erste Frau, die ein Vermögen von über 100 Milliarden Dollar besitzt.
Grund dafür ist die Entwicklung der Aktie von „L’Oréal“, dem größten Kosmetikunternehmen der Welt. Wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet, stieg der Wert der L’Oréal-Aktie im Laufe des Jahres 2023 um 35 Prozent. Gegründet hatte die Firma 1909 Bettencourts Großvater Eugène Schueller, einem Chemiker, der Haarfärbemittel produzierte und verkaufte. Seine Tochter Liliane Bettencourt baute das Unternehmen zu einem Weltkonzern aus.
Heute ist L’Oréal in 150 Ländern vertreten und umfasst 36 Marken, darunter Diesel, Yves Saint Laurent, Giorgio Armani, Biotherm, Lancôme und Prada. Im Jahr 2022 betrug der Umsatz des Unternehmens 38,3 Milliarden Euro.
Die 70-jährige Françoise Bettencourt Meyers erbte das Vermögen von ihrer Mutter, als diese 2011 aufgrund einer Alzheimer-Diagnose gerichtlich entmündigt wurde. Sie starb 2017. Über den jahrelangen Rechtsstreit und den angeblichen Betrug eines Fotografen, der Liliane Bettencourt eine Milliarde Euro abgeschwatzt haben soll, gibt es derzeit eine Netflix-Serie mit dem Titel „Die Affäre Bettencourt: Skandal um die reichste Frau der Welt“.
Klavierspiel und Bibel-Studium
Die Familie Bettencourt zählt zu den bekanntesten Familien der französischen Elite. Anders als ihre Mutter, die für rauschende Feste bekannt war, lebt Françoise Bettencourt Meyers eher zurückgezogen, sie ist aber weiterhin stellvertretende Leiterin des Vorstands von L’Oréal. Die 1953 geborene L’Oréal-Erbin ist bekannt dafür, mehrere Stunden am Tag Klavier zu spielen, sich für wohltätige Zwecke einzusetzen und die Bibel zu studieren.
„Sie lebt wirklich in ihrem eigenen Kokon“, sagte Tom Sancton, Autor von „The Bettencourt Affair“, der feststellte, dass sie sich schon als kleines Mädchen in der Welt der reichen Leute unwohl zu fühlen schien. Im Jahr 1984 heiratete Bettencourt den jüdischen Geschäftsmann Jean-Pierre Meyers und konvertierte zum Judentum. Meyers ist der Enkel des in Auschwitz ermordeten Rabbiners Robert Meyers und der Urenkel von Rabbi Jules Bauer, dem Direktor des Jüdischen Seminars von Frankreich.
In den 1990er Jahren recherchierten Françoise und ihr Mann zur Familiengeschichte und fanden heraus, dass ihr Großvater Eugène Schueller während des Zweiten Weltkriegs mit den Nazis kollaborierte und die antisemitische Organisation Comité secret d’action révolutionnaire finanziell unterstützte.
Bettencourts Großvater war vor 1914 Vizepräsident der Katholischen Vereinigung der französischen Jugend (ACJF) und Vorsitzender der Union der Katholiken der Diözese Rouen. Und auch ihr Vater war Sekretär der Katholischen Landwirtschaftlichen Jugend (JAC). Allerdings verfasste der Vater im April 1941 einen antisemitischen Aufsatz über Jesus und Ostern: Juden bezeichnet er darin als „heuchlerischen Pharisäer“, die nicht an Jesus glauben.
„Für die Ewigkeit ist ihre Rasse mit dem Blut der Gerechten befleckt. Sie werden von allen verflucht sein.“ Seine längst vergessenen Schriften wurden erst 1994 von einem ehemaligen Widerstandskämpfer und jüdischen Deportierten bekannt gemacht. In seinen Memoiren schrieb Bettencourts Vater: „Im Katholizismus meiner Kindheit hatten die Juden Christus getötet, ich kannte keine Juden, aber diese Idee verfolgte mich.“
Der Vater behauptete, von 1943 an im Widerstand gegen die Nazis gewesen zu sein. Daran gibt es jedoch Zweifel unter Historikern.
Françoise Bettencourt wurde katholisch erzogen. Sie selbst konvertierte zum Judentum und befasst sich mit der Bibelexegese. Außerdem unterstützt Bettencourt Meyers die Taubheitsforschung finanziell und gründete zusammen mit ihren Eltern die Bettencourt Schueller-Stiftung, die biowissenschaftliche Forschung, Kultur und soziale Projekte fördert.
Im Jahr 2008 veröffentlichte Bettencourt ein Buch mit dem Titel „Die Posaunen von Jericho: Ein Blick auf die Bibel: Besseres Verständnis zwischen Juden und Katholiken“ („regard sur la Bible ; mieux se comprendre entre juifs et catholiques“). Das Buch erhielt 2009 den Literaturpreis „Les Lauriers Verts“ im Bereich „Spiritualität“.
Es soll laut der Autorin Juden und Christen helfen, ihre gemeinsamen Wurzeln zu verstehen: Es erklärt Ausdrücke, die einen biblischen Ursprung haben, gemeinsame Riten und Feste, jüdische und christliche Feiertage, den Stammbaum von Adam und Eva bis zu den Stämmen Israels, außerdem um Tiere, Pflanzen, Maße, Währung, Zahlen in der Bibel.
Der französische Historiker Alain Decaux von der Académie française lobte in seiner Kritik zum Buch: „In einer Zeit, in der die Verbindungen zwischen Juden und Katholiken immer wichtiger werden, widmet Françoise Bettencourt Meyers diese Bücher Kindern und Erwachsenen, die sich mit diesen Kulturen beschäftigen wollen. Das Wissen darum ist ein guter Weg zur Förderung des Geistes und der Toleranz, des Respektes und der Harmonie.“ Indem sie sich in die Bibel vertieft habe, habe sie ein tiefes Verständnis für die biblischen Personen entwickelt und eine Genealogie entwickel, beginnend mit Adam und Eva.