Die evangelische Kirche im Rheinland etwa habe 2006 die niedrigsten Austrittszahlen seit 1980 verbucht. Menschen fänden vor allem durch so genannte Wiedereintrittsstellen zurück in den Schoß der Kirche, so „Focus“-Autor Alexander Wendt. Für die erneute Kontaktsuche zur Kirche gebe es unterschiedliche Gründe, sagte ein Mitarbeiter einer Wiedereintrittsstelle in Berlin gegenüber dem Magazin. Manche Menschen näherten sich durch die Teilnahme an christlichen Ritualen wie der Taufe wieder an, andere kämen mit der Begründung, dass ihnen der Islam zu mächtig wird.
„Religion wird wieder Gesellschaftthema“
„Die Kirche liefert wieder Stoff für Debatten“, beobachtet „Focus“-Autor Wendt. Als Beispiel nennt er die Auseinandersetzung um das Urteil der vatikanischen Glaubenskongregation (die evangelische Kirche ist „nicht Kirche im eigentlichen Sinn“) oder Bischof Mixas Verteidigung von Eva Herman. Die Diskussionen zeigten: „Religion ist wieder dabei zum Gesellschaftthema zu werden.“ Auf der Frankfurter Buchmesse seien beispielsweise eine große Anzahl von Büchern über Religion und Spiritualität vorgestellt worden, so Wendt.
Renate Köcher vom Institut für Demoskopie in Allensbach sieht die aktuelle Entwicklung anhand von Umfragen bestätigt: „Schon seit Mitte der neunziger Jahre hat sich der Zerfallsprozess der religiösen Bildung nicht weiter fortgesetzt.“ Neben der Sinnsuche der Menschen habe auch die „Auseinandersetzung mit dem Islam“ dem Thema Religion eine Konjunktur beschert, so Köcher. Die Frage sei nur, „ob die Kirchen diesen Trend tatsächlich verlängern können“.
Für Kardinal Karl Lehmann bestätigt die rückläufige Zahl von Kirchenaustritten die Annahme, dass die Religion „nie richtig weg“ war. In einem Interview mit dem „Focus“ äußerte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz auch zu dem Event-Charakter mancher christlicher Veranstaltungen und dem Missionsauftrag der katholischen Kirche. Die neue Faszination an christlichen Ritualen ist für ihn die „Spätwirkung einer extremen Liberalisierung“. Es gebe offensichtlich ein „Erschrecken über die Orientierungslosigkeit in einer fast totalen Freiheit“.
„Wiedereintritt ist großer Schritt“
Dennoch sei ein Wiedereintritt in die Kirche für viele Menschen ein großer Schritt, erklärt Wendt abschließend. Die meisten Menschen würden sich diese Entscheidung schwermachen. Stellvertretend für viele Kirchenferne zitiert Wendt die Ex-Politikern Karin Schubert mit den Worten: „In die Kirche einzutreten erfordert mehr Mut, als sein Leben selbst zu bestimmen.“ Schubert war als junge Frau aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Heute denkt sie über eine Mitgliedschaft in der katholischen Kirche nach, an der sie die „feste Ordnung“ schätzt, und, dass dort „nicht diskutiert“ wird.