Fußball-WM 2006: Die Welt ist zu Gast in Deutschland. Auch über 10.000 evangelikale Christen sind unterwegs, um einheimische wie ausländische Fans zu missionieren. Unter ihnen ist Scott Rourk, Pastor einer schnell wachsenden Kirche in New York. Er reist mit einigen Gemeindemitgliedern zur WM. Mit dabei sind auch Gershom Sikaala, ausgebildeter Missionar aus Afrika, der frisch Bekehrte Cody Mui und der Deutsche Tilman Pforr, Mitarbeiter in der Deutschlandzentrale von „Jugend mit einer Mission“.
Die Regisseure Lilian Franck, Matthias Luthardt, Michaela Kirst und Robert Cibis haben die vier Christen während ihres Einsatzes sowie eine Woche vor und nach der WM begleitet. Mehrere Teams drehten parallel, wobei sich jeder Regisseur auf einen Protagonisten konzentrierte. Aus etwa 200 Stunden Filmmaterial wurde nach über einem Jahr Postproduktion schließlich die 80-minütige Dokumentation „Jesus liebt dich – Evangelikale auf WM-Mission“, die am 13. Februar auf der Berlinale Premiere feierte.
Im Presseheft zum Film werden Inhalt und Intention so zusammengefasst: „Religion. Viele Menschen verbinden mit diesem Wort Krieg und Terror, westliche Aufklärung gegen islamistische Fundamentalisten. Dass das Christentum selbst fundamentalistische Strömungen hat, wird häufig ausgeblendet.“ Die „fundamentalistischen Christen“ aus den USA, Afrika und Europa hätten als „Waffe nicht Sprengstoff, sondern Mission“. „Um möglichst viele Menschen zu erreichen, nutzen die Evangelikalen gezielt sportliche Massenevents wie die Weltmeisterschaft oder die bevor stehende Olympiade.“
Der Film zeigt evangelistische Gespräche mit Besuchern der WM. In der Ankündigung heißt es weiter: „Scott fühlt sich berufen, möglichst viele Menschen zu bekehren, denn nur so kann man selbst dem Höllenfeuer entkommen, glaubt er. Er und sein Neubekehrter Cody Mui reisen mit anderen Gemeindemitgliedern zur Fußballweltmeisterschaft nach Berlin. ‚Denkt dran: Jedes Treffen ist eine Möglichkeit, von Gott zu reden‘, schärft er ihnen ein… Für Gershom aus Kenia ist die Sache ganz einfach: ‚… wer Jesus Christus als Herren und Erlöser annimmt, kommt in den Himmel. Wer Jesus ablehnt, kommt in die Hölle.'“
Regisseur Cibis: „Balance zwischen kritischem Abstand und verständnisvoller Identifikation“
„Die beobachtende Kamera fängt absurde und lustige Begegnungen ein: ‚Ich glaub an Deutschland’ ist die Antwort der Fans, wenn sie nach Gott gefragt werden“, heißt es im Presseheft zum Film. Die Amerikaner machen auch nicht Halt, wenn es darum geht, türkische Moslems in Berlin Kreuzberg zu bekehren.
Für Regisseur Robert Cibis sei der evangelikale Glaube der Protagonisten ein Versuch, das menschliche Bedürfnis nach Orientierung und Geborgenheit zu stillen, jedoch sagt er: „Für mich ist ihr Glaube eine Entfremdung von der Wirklichkeit, der sie durch seine Radikalität von ‚den anderen‘ isoliert.“ Dennoch wollten die Filmemacher keine „zu einfache Autorenhaltung einnehmen und sie verurteilen, ohne uns mit ihnen auseinander zu setzen“. Die Dokumentation über Evangelikale sollte vielmehr „die Balance zwischen kritischem Abstand und verständnisvoller Identifikation bei der Erzählführung“ wahren, so Cibis.
Regisseurin Franck: „Unterschwelligen Fundamentalismus nicht unterschätzen“
In einem Interview mit dem WDR sprach die Regisseurin Lilian Franck über ihre Missions-Doku. Zusammen mit Cibis und Kirst hat sie bereits zwei Filme mit ähnlichem Thema gedreht. „Im Laufe unserer Recherchen haben wir dann erfahren, dass die Evangelikalen während der Fußball-WM 2006 einen riesigen Einsatz in Deutschland planen.“
Über lange Zeit im Vorfeld haben die Regisseure das Vertrauen ihrer Protagonisten gewonnen, sodass der Film sehr intime Einblicke gibt. „Wir haben ihnen gesagt, dass wir zwar selbst nicht religiös seien, uns aber dennoch für ihre Sache interessieren würden. Und dass wir versuchen würden, sie so darzustellen, wie sie sind.“ Zwar als Pfarrerstochter aufgewachsen, bezeichnet sich die Regisseurin selbst als Agnostikerin. Franck glaube zwar, „dass es eine höhere Macht gibt“, gehe jedoch nicht zur Kirche und fühle sich keiner Religion zugehörig.
Auf die Frage, ob sie die Evangelikalen für gefährlich halte, antwortet Franck: „Sie sind keine Selbstmordattentäter und wenden auch keine Gewalt an. Aber ihren unterschwelligen Fundamentalismus sollte man dennoch nicht unterschätzen – vor allem, wenn er mit modernen Marketingstrategien gekoppelt ist.“ Neben professioneller Werbung und der Präsentation im Internet nutzen Evangelikale „ganz gezielt sportliche Großereignisse“ für Missionszwecke, wie im Film zu sehen sei.
„Evangelikale sind ernst zu nehmende Bedrohung“
Als Mitarbeiter von „Jugend mit einer Mission“ den Film sahen, hätten sie andere Dinge kritisiert, als sie vermutet hätte, berichtet die Regisseurin. Zum Beispiel die Szene, in der zwei afrikanische Missionare über eine SOS-Notrufsäule an einer U-Bahn-Station dem Mann am anderen Ende sagen: „Jesus liebt dich.“ Offenbar wollten Missionare so nicht gezeigt werden, weil es „schlecht fürs Image“, sei, mutmaßt die Filmemacherin.
Und das Urteil der Filmemacher? „‚Jesus liebt Dich‘ regt zum Nachdenken über die erschreckenden Konsequenzen von religiösem Fundamentalismus an. Der Dokumentarfilm stellt die Evangelikalen als ernst zu nehmende Bedrohung für rationale Aufklärung und demokratische Werte dar, ohne sie dabei bloß zu stellen. Er gibt einen Einblick, warum sich heute immer mehr Menschen einer solchen Gruppierung anschließen. Es sind 52.000 Neubekehrte jeden Tag weltweit.“