Film über kirchlichen Missbrauch eröffnet Berlinale

Mit „Kleine Dinge wie diese“ hat die Berlinale nicht nur den großen Star dieser Tage, Cillian Murphy, nach Berlin geholt. Sie ruft auch dazu auf, endlich lückenlos mit Missbrauch in der Kirche aufzuräumen.
Von Anna Lutz

Cillian Murphy ist spätestens seit seiner Oscarnominierung und dem Golden Globe-Gewinn für „Oppenheimer“ einer der großen Namen Hollywoods. Am Donnerstag begann in Berlin das Filmfestival „Berlinale“ und ausgerechnet Murphys neuer Film „Kleine Dinge wie diese“ eröffnet das Großevent. Der irisch-belgische Film unter der Regie von Tim Mielants (Peaky Blinders) nimmt – einmal mehr – Missbrauch innerhalb der Kirchen in den Blick. Ein Thema, das die Berlinale schon öfter beschäftigte und schrecklicherweise von Jahr zu Jahr nicht an Relevanz und Aktualität verliert.

Foto: Berlinale
Der Berlinale-Palast am Potsdamer Platz: Hier laufen die Wettbewerbsbeiträge des Festivals

Die Handlung: Bill Furlong (Cillian Murphy) ist Kohlenhändler in einer kleinen Stadt in Irland, Mitte der 80er Jahre. Er beliefert unter anderem einen von Nonnen geführten Konvent. Eines Tages hört er Schreie aus dem Innern der Einrichtung. Die Tür steht offen, also geht er hinein. Ein Mädchen putzt den Boden, als sie ihn sieht, rennt sie auf ihn zu und bittet ihn um Hilfe. Er soll sie wegbringen, nur weg. Furlong weiß sich nicht zu helfen, sagt, es gehe ihn nichts an, kurz bevor ihn eine der Schwestern unsanft des Gebäudes verweist. 

Wird er helfen, den Missbrauch zu vertuschen?

Ein anderes Mal liefert er Kohlen in ein Nebengebäude des Konvents, offenbar früher als von den Schwestern erwartet. Denn als er die Tür öffnet, findet er eben jenes Mädchen dort auf dem Boden vor, frierend und dreckig. Jemand hat sie dort eingesperrt. Und: Sie ist schwanger. Furlong bringt die Frau zurück ins Haupthaus, er selbst wird umgehend zu einem Treffen mit der Oberin (Emily Watson) gebeten, die ihn ohne direkte Worte, aber ebenso unmissverständlich dazu auffordert, Stillschweigen über die offensichtliche Züchtigungsmaßnahme zu bewahren. 

Furlong, dessen Töchter die angeschlossene Schule der Nonnen besuchen, muss sich entscheiden: Will er der Frau helfen und damit die Schwestern gegen sich aufbringen und sogar die schulische Laufbahn seiner Kinder gefährden? Sein eigenes gesellschaftliches Standing riskieren? Oder wird er die Füße still halten, wie es anscheinend viele in dem katholisch geprägten Ort tun? Zugleich kämpft er mit den Schatten einer eigenen Vergangenheit: Furlong selbst ist einst als uneheliches Kind aufgewachsen. Er kennt die gesellschaftliche Missachtung seiner Zeit für Kinder und deren alleinstehende Mütter. Er litt Zeit seines Lebens darunter und konnte mit Mühe ein anerkanntes Familien- und Wirtschaftsleben aufbauen. Nun könnte er all das riskieren.

Cillian Murphys stilles Leiden

Mielants Film erzählt eine wahre Geschichte. Tatsächlich existierten unter anderem in Irland sogenannten „Magdalenenheime“, in denen Frauen, die etwa unehelich schwanger waren, unterkommen konnten. Was zunächst nach barmherzigem Samariter klingt, war alles andere als das: Die Einrichtungen dienten dem Versuch der Umerziehung dieser jungen Frauen. Sie arbeiteten hart, wurden körperlich und seelisch gezüchtigt und mussten ihre Kinder nach der Geburt zur Adoption freigeben. Erst Mitte der 90er Jahre wurden die skandalösen Umstände in den einstigen Anstalten bekannt. 

Allein deshalb ist „Kleine Dinge wie diese“, eine Buchverfilmung, sehenswert. Die Geschichte läuft fast unerträglich langsam vor sich hin. Getragen wird dieser Film, wie so oft, vor allem von seinem Hauptdarsteller Cillian Murphy. Kaum einer leidet so derart wortlos und intensiv auf der Leinwand, kämpft mit seinem Gewissen wie schon in „Oppenheimer“. Er schrubbt sich die Hände bis sie fast bluten, um nicht nur den Kohlenstaub, sondern auch seine eigene Vergangenheit abzuwaschen. Er bricht auf einem Friseurstuhl in Tränen aus. Er kann der Oberin des Konvents kaum in die Augen blicken, ist hin- und hergerissen zwischen Angst, Ehrfurcht und Missachtung. 

Aufruf zum Hinsehen

So gerät alles andere, ja sogar das leidende Mädchen, das sich Furlong offenbart, zur Nebensache dieses Films. Und man ist versucht, einfach nur das Thema und Murphy selbst zu loben. Doch gerade, weil Missbrauch in der Kirche eine stetige und kaum zu ertragende klaffende Wunde innerhalb christlicher Glaubensgemeinschaften ist, wünscht man sich mehr als das, was „Kleine Dinge wie diese“ bietet. 

Man sehnt sich nach mehr als einer bösartigen und intriganten Oberin, wie sie der Film doch allzu eindimensional präsentiert. Denn nicht nur Kinofans, auch Beobachter des Tagesgeschehens fragen sich doch: Warum geschieht Missbrauch gerade in Kirchen so häufig und wie können gerade Christen, die doch zum Gegenteil berufen sind, Kinder und in diesem Fall junge Frauen missbrauchen und verletzen? Was sind die Motive einer Oberin oder den vielen Christen im Ort, die dabei helfen, die Verbrechen zu vertuschen? Wie rechtfertigen sie ihr Verhalten?

Dennoch: Es bleibt ein Verdienst dieses Films, übrigens mitproduziert von Hollywoodstar Matt Damon, das Leid der Frauen in den 80er Jahren bekannt zu machen. Oder wie Mielants selbst bei der Pressekonferenz in Berlin sagte: Bei seinem Film gehe es in erster Linie darum, die Trauer und den Schmerz zu zeigen, den die Betroffenen erlebt haben. Ob das am Ende für einen Bären, den Preis der Berlinale reich, wird sich zeigen. Der Film läuft im Wettbewerb des Filmfestivals. Bei der Ökumenischen Jury, die auch einen Preis auf der Berlinale vergibt, dürfte er ob des Themas gute Chancen auf eine Auszeichnung haben. Klar ist jetzt schon: „Kleine Dinge wie diese“ ist ein Aufruf zum Hinsehen, zum Mitfühlen und letztlich auch dank des Endes, das hier nicht verraten werden soll: Zum tätig werden, anstatt wegzusehen. Heute wie damals. 

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