Film Luzifer: Religiöser Wahn auf der Alm

Der Film „Luzifer“ von Regisseur Peter Brunner erzählt mit verstörenden Bildern die Geschichte einer Frau und ihres Sohnes, die einsam in einer Berghütte leben und versuchen, den Teufel fernzuhalten. In der Hauptrolle: eine Pastorin der Nordkirche.
Von Jörn Schumacher
Susanne Jensen und Franz Rogowski im Film „Luzifer“

In den Hauptrollen von „Luzifer“ sind der viel gefeierte, äußerst talentierte Schauspieler Franz Rogowski („In den Gängen“, „Transit“) sowie Susanne Jensen, Künstlerin, Autorin und Pastorin der Nordkirche, zu sehen. Jensen wurde als Kind und Jugendliche von einem katholischen Pfarrer sexuell missbraucht. Die WDR-Dokumentation „Es war der eigene Vater“ berichtete 2011 von diesem Schicksal und wie Jensen damit umgeht.

Die Pastorin, die tätowiert und meistens kahlrasiert ist und oft ein Hundehalsband trägt, schrieb unter anderem einen Erotik-Thriller, ist auf Youtube und Instagram aktiv und hat in ihrem eigenen Filmprojekt „Gott will in Dunkel wohnen“ 2015 ihr eigenes Glaubensbekenntnis verdeutlicht. Mit ihrer Filmfigur hat sie gemein, dass sie früher alkoholabhängig war.

In „Luzifer“ spielt sie Maria, die Mutter von Johannes (Rogowski). Mit allerlei religiösen Ritualen versuchen die beiden, Gott zu suchen und das Böse fernzuhalten. Der sehr düstere Film ist nicht umsonst erst ab 16 Jahren von der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) freigegeben. Brunner ließ sich bei dem Drama mit Horror-Elementen rund um das Thema Aberglaube und religiöser Fanatismus von einer wahren Geschichte einer Teufelsaustreibung inspirieren.

Wie in seinen vorherigen Werken verarbeitete er körperliche und seelische Krankheiten und den Umgang mit Tod. Produzent bei „Luzifer“ war der Österreicher Ulrich Seidl, der unter anderem in dem Drama „Paradies: Glaube“ die Geschichte einer fanatisch gläubigen Katholikin erzählte. Nach eigenem Bekunden wuchs Seidl selbst in einer streng religiösen Familie auf.

Kleiner Jesus, großer Jesus

„Wo ist der Teufel?“ Diese Frage durchzieht die Gedankenwelt Marias und den Film. Ist er in der Natur? Jedenfalls kann die Natur viel Unheimliches an sich haben – erst recht in der nebeligen Abgeschiedenheit der Berge. Und das zeigt Brunner in beeindruckenden, aufwendigen Natur-Aufnahmen. Die beiden Eremiten betreiben eine Art Vogelzucht, immer wieder gesellt sich ein Adler hinzu oder hackt jemanden die Arme blutig.

Maria (seltsam, dass in Filmen religiös konnotierte Frauen meistens diesen Namen tragen) hat eine Alkoholsucht hinter sich. Vor einem Baum, der die Form eines Kreuzes hat, betet sie täglich und dankt Gott, dass sie nun trocken ist. Seit dem Tod ihres Mannes nahm ihre religiöse Inbrunst jedoch fanatische Züge an. Sie kasteit sich mit schweren Eisenspitzen und will ihren religiösen Eifer auf ihren Sohn Johannes (biblischer Name!) übertragen. Der ist geistig zurückgeblieben, verliert sich aber ebenso in der religiös aufgeladenen Fantasiewelt.

Maria bildet gemeinsam mit ihrem Sohn immer wieder ein Kreuz, auf seinen Schultern sitzend und die Arme ausbreitend. Das „Kreuz“ bedeutet hier aber vor allem Leid. Nicht Erlösung. So wie die beiden da kahlgeschoren in der Natur meditieren, beten und wahlweise den Teufel oder Gott suchen, wirken sie manchmal wie buddhistische Mönche in den Bergen Tibets.

Maria läuft gerne nackt herum und erklärt ihrem Sohn die Tattoos auf ihrem Körper, aber eher wie eine Mutter einem kleinen Kind die Tiere in einem Bilderbuch erklärt. „Der Papa hat mich gerettet“, erklärt ihm Maria, denn eigentlich habe sie mit ihrem Leben schon abschließen wollen, aber „der Papa“ habe ihr „vom Glauben erzählt, und Gott ist in mich gekommen“. Der Papa sei so etwas wie der „große Jesus“, und ihr Sohn Johannes ihr „kleiner Jesus“. Und so trägt Johannes auch die meiste Zeit ein altes T-Shirt mit dem Schriftzug „Bon Jesus“.

Pastorin mit multipler Persönlichkeit und Alkohol-Vergangenheit

Schließlich soll die Berglandschaft touristisch erschlossen werden, und die beiden bekommen viel Geld. Das schenken sie allerdings einer kleinen Kapelle in der Nähe. Durch ihre religiösen Rituale, die immer abstruser werden, wollen die beiden die Bedrohung aus dem Tal („die Schänder“) fernhalten. Der Teufel, das ist hier auch die moderne Technik, die immer mal wieder in Form von bedrohlichen Flugdrohnen in die Bergwelt eintaucht.

Gedreht wurde unter anderem im Zillertal in Tirol. Die dreimonatigen Dreharbeiten seien für die Pastorin Jensen möglich gewesen, weil sie ein Sabbatjahr von ihrer Tätigkeit als Seelsorgerin und Vertretungspastorin machte, sagte sie gegenüber dem NDR. Es sei „eine extreme körperliche und mentale Belastung“ für sie gewesen, sagte die 58-Jährige, die unter chronischen Schmerzen leidet. Sie habe zudem eine posttraumatische Belastungsstörung und eine multiple Persönlichkeit, heißt es im NDR-Bericht weiter. Seit 2003 sei sie trockene Alkoholikerin.

All diese erlebten Schmerzen habe sie auf ihre Filmfigur übertragen können, sagte Jensen. Und das lasse die Figur noch wahrhaftiger erscheinen. Die Rückmeldungen auch aus ihrer Gemeinde zu ihrem filmischen Engagement seien durchweg positiv, sagte sie. Sie wolle trotzdem weiter hauptberuflich Pastorin und Seelsorgerin bleiben.

Kritiker lobten Jensens „atemberaubende Performance, in der sie sich emotional und körperlich voll und ganz einsetzt“. Die Pastorin aus Owschlag im Kreis Rendsburg-Eckernförde gewann beim spanischen Sitges-Filmfestival den Preis für die beste weibliche Hauptrolle. Gegenüber dem NDR sagte sie: „Ich bin stolz wie Oskar, dass ich den Preis habe. Ich kenne keine leibhaftige Pastorin, die in Dörfern Gottesdienste macht und die in einem Horrorfilm so eine Rolle gespielt hat.“

Der Film, der nichts für schwache Nerven ist und den Glauben eher als Belastung denn als Erlösung darstellt und eher ins Okkulte verzerrt, gewann im Wettbewerb des Filmfestivals von Locarno den Spezialpreis für die beste Regie. Ab dem 28. April ist er in deutschen Kinos zu sehen.

„Luzifer“, 103 Minuten, Drama, Horror, Regie: Peter Brunner, ab 28. April 2022 im Kino, FSK ab 16

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Eine Antwort

  1. Kein Film für mich.

    Dennoch: Meinen hohen Respekt – besonders für P. Jensen!!

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