Film „Alles ist gut gegangen“: Sterben leicht gemacht

„Alles ist gut gegangen“ von Regie-Schwergewicht François Ozon will eine Komödie über das Thema Sterbehilfe sein. Der Zuschauer bleibt gut unterhalten, aber einigermaßen ratlos zurück. Denn die eigentlich wichtige Frage stellt Ozon nicht.
Von Anna Lutz

Der Regisseur François Ozon mag die schweren Themen. Sein letzter Film beschäftige sich mit dem Missbrauch in der katholischen Kirche und brachte dem Regisseur einen silbernen Bären auf der Berlinale ein. Nun folgt mit „Alles ist gut gegangen“ ein Werk über das Sterben. Genauer gesagt: die derzeit auch in Deutschland wieder scharf diskutierte Suizidbeihilfe. Und wenn ein Film über dieses Thema einen solchen Titel trägt, dann nimmt das bereits die Haltung des Regisseurs vorweg. „Alles ist gut gegangen“ muss als fröhliches Plädoyer für eine Legalisierung der Suizidbeihilfe verstanden werden.

Physiotherapie statt Fünf-Sterne-Menü

Der Plot erzählt – nach Buchvorlage – die Geschichte von Émmanuele Bernstein (Sophie Marceau) und ihrem kunstliebenden, narzisstischen und lebenslustigen Vater André (André Dussollier), der einen Schlaganfall erleidet. Als sie ins Krankenhaus eilt, findet sie einen gebrochenen Mann vor, erst nach und nach erholt sich der wohlhabende Kunstsammler von seiner Krankheit. Die rechte Hand jedoch bleibt gelähmt, auch das Gehen ist ihm nicht mehr möglich.

Foto: Carole Bethuel/Mandarin Production Foz
(v.l.) Die Schwestern Émmanuele und Pascale am Bett ihres kranken Vaters André

Der 84-jährige André lebt fortan unter ärztlicher Aufsicht, kann sich nicht mehr selbst versorgen, geschweige denn dem Leben frönen, das er zuvor führte. Vernissage-Besuche, Schlemmen im Sternerestaurant oder Kurztrips zu weltbekannten Kunstfestivals weichen dem Alltag zwischen Physiotherapie, Arztkonsultationen und der Versorgung durch den Pflegedienst.

„Leben ist nicht überleben“, sagt André im Film und entscheidet bereits kurz nach dem Schlaganfall: Sein Leben soll enden. Er bittet seine Tochter Émmanuele um Hilfe. Die steht dadurch nicht nur vor einem ethischen Dilemma, das ihr den Schlaf raubt. Sondern auch vor juristischen Problemen.

Sterben, wie es mir gefällt

In Frankreich ist aktive Sterbehilfe illegal und wird mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet. Auch die Beihilfe zum Suizid, also etwa das Bereitstellen eines todbringenden Medikaments, das der Patient selbst zu sich nimmt, ist nicht erlaubt. Es bleibt nur der Gang in die Schweiz, wo ein Sterbehilfeverein sich um alles kümmern soll.

Doch selbst das kann Émmanuele im schlimmsten Fall ins Gefängnis bringen. Dem Vater indes sind all diese Schwierigkeiten egal – er will nur eines: So sterben, wie es ihm gefällt. Koste es seine Angehörigen, was es wolle. Und das, obwohl sich sein Zustand zusehends verbessert.

„Alles ist gut gegangen“ beginnt als tragische Betrachtung eines ohnehin unperfekten Familienlebens, das durch die Krankheit des gealterten Vaters neu durchgerüttelt wird. Da ist die depressive und durch ihre eigene Krankheit gefühlskalt wirkende Mutter (Charlotte Rampling), eine gealterte Künstlerin, die dem Leid des von ihr getrennt lebenden Ehemannes nichts zu entgegnen hat außer der Flucht aus dem Krankenhauszimmer. „Sie ist schon gestorben“, charakterisiert André ihr Verhalten an einer Stelle und es klingt ein Plädoyer an, das Ozons ganzen Film durchzieht: Besser gut sterben als schlecht leben.

Da ist Émmanuele, besessen vom Sport, mit dem sie die Hänseleien des Vaters über ihr Gewicht in der Kindheit zu kompensieren versucht. Ihre Liebe zu ihm ist dennoch ungebeugt, weil sie seine Lebelust, die Liebe für die Kunst und seine Freundschaft schätzt.

Zugleich konkurriert sie mit ihrer Schwester Pascale (Géraldine Pailhas) um die Aufmerksamkeit des Vaters – selbst als es um die Regelung seines Sterbens geht. André selbst spielt die Schwestern immer wieder gegeneinander aus und ist vor allem darum bemüht, seinen Willen durchzusetzen. Er tut sogar im Sterben das, was er sein ganzes Leben lang getan hat: Bestimmen, ohne Rücksicht auf Verluste.

Foto: Carole Bethuel/Mandarin Production Foz
Mutter und Tochter: Die eine begleitet den Vater, die andere flieht.

Je mehr sich der Gesundheitszustand des Vaters im Laufe des Films verbessert, desto mehr entwickelt sich Ozons Werk zu einer Komödie im Stile des unvergessenen Meisterwerks „Ziemlich beste Freunde“ aus dem Jahr 2011. Da sitzen etwa Andrés Töchter, die seltsam verklärte Schweizer Sterbehelferin und der Vater zusammen und besprechen schokopralinenkauend, wie der Suizid denn nun ablaufen solle und die Fahrt in die Schweiz geregelt werden könnte.

Der bisexuelle André schäkert sich durch seine letzten Lebensmonate, flirtet noch am Abend vor seinem geplanten Tod gutgelaunt mit einem Kellner im Restaurant und den Krankenpflegern, die ihn in die Schweiz fahren sollen – während Émmanuele sich zum Weinen auf die Toilette verzieht. Ob er Angst vor dem Tod habe, fragt sie ihren Vater. Nein, sagt dieser, und damit ist das Thema abgehakt.

Der Euphemismus des glücklichen Sterbens

Ozons neuester Film ist unterhaltsamer, als man es von einem fast zweistündigen Stück über Sterbehilfe erwartet. Das Kino verlässt der Zuschauer gut gelaunt – und gerade da liegt das Problem: Obwohl hier alle Themen angesprochen werden, die auch die Debatte über Sterbehilfe in Deutschland prägen, bleibt „Alles ist gut gegangen“ seltsam inhaltsleer. Denn er zeigt vor allem eines: Einen Mann, der gut gelaunt und ohne lange Leidensgeschichte seinem selbst gewählten Tod angstfrei entgegengeht.

Doch dieser Protagonist kann mitnichten für all jene stehen, die Sterbehilfe in Betracht ziehen. Er leidet nicht. Er hinterfragt nicht. Ihn schmerzt kein Verlust. Ozon verpasst es zudem, die wirklich wichtigen Fragen zu stellen: Soll einer sich mithilfe Dritter töten dürfen, ohne dass er Schmerzen oder sonstiges schweres Leid erdulden muss? Nur, weil er nicht mehr zu Vernissagen und Kunstmessen gehen kann? Ist das würdevoll? Endet die gottgegebene Würde schon da, wo einer, der es gewohnt ist, alles zu bekommen, seine Lebensträume nicht mehr selbstbestimmt erfüllen kann? Und was sagt das über jene aus, die das von jeher nicht können?

„Alles ist gut gegangen“ ist ein Euphemismus für ein Thema, das mehr Tiefe verdient – gerade angesichts der derzeitigen Debatte. Denn schon in den kommenden Wochen wird der Deutsche Bundestag wohl eine Liberalisierung der Suizidbeihilfe in Deutschland beschließen. Mehr noch, der Film führt seine Zuschauer zu der dramatischen Schlussfolgerung, dass jeder Aspekt des Lebens selbstbestimmt sein sollte. Sogar das Ende. Was für eine Illusion.

„Alles ist gut gegangen“, 114 Minuten, Regie: François Ozon, FSK: 12, seit 14. April im Kino

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2 Antworten

  1. Vielen Dank für den differenzierten Kommentar.

    Letztendlich wird durch Euphemismen die Illusion eines „schönen Todes“ (=Euthanasie) heraufbeschworen. Was für ein Betrug.

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  2. Schon lang nicht mehr so eine inkorrekte Filmrezension gelesen. Die Eltern lebten eben nicht getrennt, wieso sollte die Tochter den Pass aus dem Arbeitszimmer des Vaters im Haus der Mutter holen??? Nicht die von Sophie Marceau gespielte Figur musste um die Gunst des Vaters buhlen, sondern die Schwester, die das auch deutlich zum Ausdruck bringt. Den Film mit der flachen Komödie „Ziemlich beste Freunde“ zu vergleichen grenzt an Unverfrorenheit. Ozon gelingt es wunderbar viele Themen en passent zu berücksichtigen wie z. B. die Situation im Krankenhaus, ebenso wie das Arrangement in einer Ehe mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen.
    Der Schlussfolgerung der Autorin kann ich gar nicht folgen, abbrechen steht ihr natürlich frei, sich gegen dasRecht auf ein selbstbestimmtes Sterben zu positionieren.

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