Fernseh-Flut der Pseudo-Sender

Das Fernsehen wird mehr und mehr zum Problemfall. Mehr Sender als je zuvor machen mit Rat- und Hilfesuchenden Kasse und Quote. Zahlreiche Spartenkanäle bieten frei empfangbare Erotik. Immer undurchsichtiger wird der Dschungel der Sender, die vielfach nur ein Ziel haben: Zuschauer zu ködern. Dabei sind die Grenzen des Zumutbaren in vielen Fällen schon weit überschritten.
Von PRO

Gelb-grüne Leuchtfenster setzen das Fernsehstudio in ein warmes Licht. Linda sitzt an einem Tisch, vor ihr stehen fünf Kaffetassen, alle sind umgedreht auf einem Untersetzer. „Rufen Sie jetzt an und lassen Sie sich Ihre Zukunft aus dem Kaffeesatz voraussagen“, sagt die Wahrsagerin in die Kamera. Linda arbeitet bei „Astro TV“, dem Sender für die „liebevolle, kompetente Lebensberatung“. So nennt die Betreiberfirma Questico ihr Angebot, das seit 2004 täglich von sieben bis drei Uhr auf „Astro TV“ ausgestrahlt wird. Wahrsagerinnen und Kartenleser, Sterndeuter und Horoskopgeber fordern die Zuschauer auf, anzurufen. Sie versprechen Antworten auf Lebensfragen und Probleme. Die Antworten kommen aus dem Kaffeesatzlesen und dem Legen von Tarotkarten, wenn das nicht hilft, können auch Engel oder Verstorbene befragt werden.

„Ist mir mein Partner noch treu?“, will eine Anruferin von Linda wissen. „Gute Frage, lass uns einmal einen Blick auf den Kaffeesatz werfen“, sagt die und dreht vorsichtig eine der fünf Tassen um, blickt auf braunen Schmodder, der den Boden und Rand bedeckt und irgendwelche Linien und Formen angenommen hat. „Ah“, raunt Linda, „hast du denn einen Verdacht, dass dir dein Partner nicht treu ist?“ „Ja, schon, da gibt es wohl eine andere“, berichtet die Hilfesuchende am Telefon. „Ja, das sehe ich hier auch ganz deutlich! Schau hier…“ – und Linda dreht die Tasse so, dass die Kamera irgendwelche Linien und Formen ganz nah einfangen kann und die ratsuchende Anruferin traurig einsehen muss, dass ihre Befürchtung nun auch noch von mit Wasser getränktem Kaffeepulver bestätigt wird. Natürlich, irgendwelche Hoffnung machen die „Experten“ auch irgendwie immer, sie zeigen irgendwelche Alternativen oder meinen meistens: „Lass den Kopf nicht hängen, das ist ganz wichtig, hörst du?“

„Dieser Anruf kostete Sie 50 Cent aus dem deutschen Festnetz“

Für diesen Rat zahlen Anrufer 50 Cent. Die Telefonnummer ist permanent auf dem Bildschirm eingeblendet, direkt unter Linda und ihren Kolleginnen oder Kollegen, die im Stundentakt den Sitzplatz am Studiotisch wechseln. Anrufer werden per „Zufallsgenerator“ ins Studio durchgestellt und wer nicht durchkommt, zahlt trotzdem. Dann erklärt eine freundliche Frauenstimme vom Band: „Herzlich willkommen bei Astro TV. Leider hat Sie unser Zufallsgenerator diesmal nicht ausgewählt. Bitte versuchen Sie es gerne später noch einmal. Dieser Anruf kostete Sie 50 Cent aus dem deutschen Festnetz.“ Das System ist dasselbe wie bei allen anderen Anrufsendern. Und auch die Moderatoren reden fortwährend auf die Zuschauer ein, doch endlich die langersehnte Lösung für ihr Seelenproblem „für nur 50 Cent“ zu bekommen.

Die Masse macht’s, auch bei „Astro TV“. Der Sender ist über Satellit zu empfangen, überträgt sein Programm auch auf regionalen Sendern wie Rhein-Neckar Fernsehen (RNF), Hamburg 1 oder Saar TV im Saarland. So erreicht „Astro TV“ bis zu 20 Millionen Haushalte im deutschsprachigen Raum. Die Betreiberfirma Questico mit Sitz in Berlin machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von fünfzig Millionen Euro, das Geschäft mit der Astrologie brummt. Im Angebot sind neben „Astro TV“ auch das Horoskop-Magazin „Zukunftsblick“ und Wahrsagerofferten auf der Internetseite von Questico. Die Firma beliefert auch Zeitungen und Online-Angebote mit Horoskopen – und ist damit Marktführer. Längst aber haben auch andere Anbieter das große Geschäft mit dem Magischen gewittert und ebenfalls eigene Fernsehsender gegründet. „Primetime TV“ ist einer, ein anderer nennt sich „Kanal Telemedial/Fresh4U“.

Fernsehen in der Grauzone

„Astro TV“ und Co. sind jedoch nicht die einzigen Problemsender im riesigen, immer unübersichtlicher werdenden digitalen Dschungel der Spartensender. Zwar ist der Berliner Kanal Marktführer auf dem Gebiet der „Astrologie“-Sender, doch wer einen Blick in die Liste der Spartensender wirft, die den Zuschauer überfluten, dem tun sich weitere Abgründe auf.

Größte Gruppe der rund 200 Spartensender sind andere: die Erotikkanäle: Mehr als 60 davon sind in Deutschland über Kabel und Satellit frei empfangbar. Gesendet werden überwiegend halbnackte Frauen, die kostenpflichtige Telefonnummern anpreisen: „Sündenkanal“, „Heiße Girls 666“, „Seitensprungkanal“, „Weiberkanal“ oder „Gay-TV“ werden unverschlüsselt übertragen und sind damit frei empfangbar. Bei der Anschaffung eines neuen digitalen Receivers bekommen nichts ahnende Endverbraucher solche Kanäle bereits einprogrammiert nach Hause geliefert. Die Telefonsex-Werbekanäle haben sich in den vergangenen Jahren gänzlich unbehelligt ausgebreitet. Schlimmer noch: Niemand scheint sich daran zu stören, dass auch Kinder und Jugendliche beim Zappen beinahe zwangsläufig einen dieser Sender auf den Bildschirm bekommen.

Doch wer sollte sich mit dem Problemfall Fernsehen befassen? Rein rechtlich sind die Landesmedienanstalten für die privaten Rundfunkprogramme zuständig. 14 dieser Anstalten gibt es in Deutschland, jedem Bundesland ist eine Landesmedienanstalt zugeordnet. Die Länder Berlin und Brandenburg sowie Hamburg und Schleswig-Holstein haben gemeinsame Landesmedienanstalten. Sie alle vergeben die Sendelizenzen an private Rundfunk- und Fernsehveranstalter und sollen die privaten Rundfunkanbieter, Fernsehanstalten und Mediendienste gleichzeitig überwachen. Die Grundlage, auf der diese rechtliche Überwachung basiert, sind der Rundfunkstaatsvertrag und die Landesmedien- und Rundfunkgesetze. Ergänzt werden die durch den Jugendmedienschutzvertrag, in dem ebenfalls detailliert festgeschrieben wird, welche Inhalte Fernsehsender bringen dürfen – und welche nicht. Immer geht es um den Schutz der Zuschauer, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Doch auch für diese Paragraphen in den Verträgen gilt: Vieles ist Auslegungssache, zu vieles zu unkonkret formuliert. „Die (…) Rundfunkanstalten (…) haben in ihren Sendungen die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Sie sollen dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinung anderer zu stärken. Die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten“, heißt es etwa in Paragraph 3 des Rundfunkstaatsvertrages. Immerhin, es kann im Fernsehen nicht nur um Kommerz, Verkauf und „Abzocke“ der Zuschauer gehen, auch nach der Moral wird noch gefragt. Nur, wer sagt und legt fest, wann etwa im Fernsehen und durch welche Programme die Menschenwürde verletzt wird? Wann die „sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung“ nicht geachtet werden? Vieles ist Auslegungssache, etwa auch das „generelle Pornographieverbot im Rundfunk“, das ebenfalls im Rundfunkstaatsvertrag festgeschrieben ist. Es greift nicht bei Erotiksendern, die sich im digitalen Fernsehen flutartig ausbreiten. Zu fließend sind die Grenzen des rechtlich Erlaubten und Verbotenen, das gilt für viele Spartensender. Zuschauer allerdings dürfen ebenfalls nicht untätig zusehen und können Beschwerde gegen Sendungen einreichen. Landesmedienanstalten prüfen die Proteste und gegebenenfalls rechtliche Konsequenzen.

Um die desolate Entwicklung des Fernsehens überhaupt noch aufzuhalten, sind alle gefragt, die Nutzer und die Überwacher. Problemsender im Fernsehen können freilich nicht durch pauschale Verbote in den Griff bekommen werden, jedoch durch eine vielfach angebrachte Konkretisierung der Rundfunkgesetze. Es gehört zum Jugendschutz, dass zahllose Erotikkanäle in Zukunft nicht vorinstalliert ins Haus kommen, sondern verschlüsselt. Denn Jugendlichen und insbesondere Kindern sind diese Bilder nicht zuzumuten. Daraus sollten die Landesmedienanstalten Konsequenzen ziehen – und wenn Eltern in Briefen gegen derartige Kanäle protestieren, erhalten die Medienanstalten weitere wichtige Argumentationshilfen. Denn der Trend ist eindeutig: Das Fernsehen nimmt sich selbst seine Daseinsberechtigung, wenn Vorgaben nicht konkretisiert, der Schutz der (jungen) Zuschauer nicht umfassender gewährleistet und billige Kommerzialisierung frei empfindbarer Spartensender gestoppt wird. Wobei es eine Grundsatzfrage ist, welche Daseinsberechtigung „Astro TV“, „Ringtone TV“, „Eos TV“ und „Sündenkanal“ überhaupt haben.

Den ganzen Beitrag lesen Sie in der neuen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro. Titel „Abgrund Fernsehen – Die neue Flut der Pseudo-Sender“. Sie sind noch kein Bezieher der pro? Dann bestellen Sie die pro einfach kostenlos und unverbindlich: Telefon (06441) 915 151, Fax: -157, E-Mail: pro@kep.de oder online.

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