In dem deutschen Spielfilm „Kreuzweg“ beschließt ein katholisches Mädchen, sich aus christlicher Nächstenliebe zu Tode zu hungern. Viele Kritiker haben geschrieben, es gehe in der Produktion um die Pius-Bruderschaft. Ein Fehlschluss. Eine Rezension von Anna Lutz
Von PRO
Foto: Camino
Maria im Beichtstuhl: Wieviele Sünden sind erlaubt?
Die 14-jährige Maria schenkt ihr Leben Gott. Im Austausch soll dieser ihren autistischen Bruder gesund machen. Das Teenager-Mädchen verzichtet, leidet, opfert sich auf. 107 Minuten lang im Drama „Kreuzweg“, das zuletzt mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch auf der Berlinale ausgezeichnet wurde. Den Autoren Anna und Dietrich Brüggemann geht es bei der Geschichte weniger darum, vor den Piusbrüdern zu warnen, in deren Umfeld sie das Mädchen in ihrem Film aufwachsen lassen. Stattdessen setzen sie ein Mahnmal gegen Fundamentalismus jeglicher Form.
Zum Tode verurteilt
Wie der aussehen kann, machen sie gleich in der Einstiegsszene klar, eine 15 Minuten dauernde Einstellung, die Kinder und einen Pfarrer beim Firmunterricht zeigt. Pater Weber, gespielt von Florian Stetter, bringt seinen Schäfchen bei, dass sie Soldaten Gottes seien. Der Widersacher lauere überall. Wer im Alltag Opfer bringe – auf Schokolade oder Musik verzichtet –, erarbeite sich den besonderen Segen des Herrn. Als Maria den Geistlichen auf die Krankheit ihres vierjährigen Bruders anspricht, erklärt er, auch Leid könne eine Botschaft des Höchsten sein. Der Grundstein für alles folgende Elend, so lernt der Zuschauer, ist bereits jetzt gelegt. Wie der Name des Films andeutet, bildet er in sich einen Kreuzweg. Maria, dargestellt von Lea van Acken, durchläuft kapitelweise die Stationen des Leidenswegs Jesu Christi, wie er in der katholischen Tradition nachempfunden wird. „Jesus wird zum Tode verurteilt“ lautet die Überschrift des ersten Filmabschnitts. Das Übel nimmt seinen Lauf in der religiösen Erziehung.
Fortan opfert sich das Mädchen durch ihren eigenen Kreuzweg, noch angeheizt von einer religiös fanatischen und zugleich durch den Umgang mit ihrem kranken Sohn überforderten Mutter (Franziska Weisz). Sie verbietet ihr den Chorbesuch mit einem ihr zugewandten Jungen. Soul und Jazz führten ins Verderben. Pater Weber bestärkt Maria zudem in der Annahme, sie habe ihren Verehrer durch Blicke und Gesten auf einen falschen Weg geleitet. Verliebtheit, ja Versuchung an sich, gerät in dieser streng-katholischen Glaubensform zur Sünde. Ein künstlerischer Meistergriff, dass Kreuzweg den Zuschauer sogar im Abspann nach dem dramatischen Schluss ohne die im Film verteufelte Musik auskommen lässt. Da sitzen sie nun, die Filmfreunde, auf sich selbst zurückgeworfen, reflektierend, ohne dass Töne einen Anker zum Festhalten und Orientieren bieten. Eine Welt ohne Vielklang. Die Welt Marias.
„Ich will zu Gott“
So erscheint deren Aufopferung am Ende eher als Vorwand dafür, aus einer Welt zu fliehen, die Maria verwirrt, wo die Sünde als Gefahr überall lauert und der Abfall vom Glauben zur direkten Folge eines mutmaßlichen Fehlverhaltens stilisiert wird. „Ich will zu Gott“ lautet ihr letzter Wunsch, als sie schon geschwächt und lebensmüde im Krankenbett liegt. Die Geschwister Brüggemann zeigen einen ad absurdum geführten christlichen Glauben, den es dramatischerweise auch in der Realität gibt – und nicht nur in fundamentalistisch-katholischen Kreisen. Es werde viel über den Islam gesprochen, doch auch unter Christen gebe es Fundamentalismen, erklärte Anna Brüggemann am Montag bei der Vorführung ihres Films in Berlin. Evangelikale Gruppen in den USA seien für sie so ein Beispiel oder eben die Piusbrüder, wie sie sie in ihrer Kindheit in Südafrika erlebt habe. Als Religionskritik an sich will sie den Film nicht verstanden wissen. Aber die Einstellung mancher Gläubiger mache sie nachdenklich.
Druckmittel Fasten
Kreuzweg ist nicht der einzige Film der diesjährigen Berlinale gewesen, der sich mit dem Opferkult mancher Gläubiger auseinandersetzt. Auch das Drama „Tore tanzt“ lief im Programm des Filmfestivals. Darin entscheidet sich ein junger Christ, diesmal ein Anhänger der evangelikalen Jesus Freaks, zum Leid, um andere zu retten. Auch dieser Film endet schmerzlich und ist in Teilen kaum zu ertragen. Ganz so brutal geht Kreuzweg nicht zur Sache. Doch die Idee dahinter ist ähnlich und darf Christen gerade in der Fastenzeit zu denken geben: Wieviel und welchen Verzicht erwartet Gott von mir? Und vielleicht noch wichtiger: Welche Motivation steht hinter meinem Handeln? Denn wer das Fasten als Druckmittel versteht, liegt wahrscheinlich ähnlich falsch wie jener, der glaubt, Christen sei jeglicher Spaß im Leben versagt. (pro)
Kreuzweg, 107 Minuten, FSK 12, ab 20. März im Kino
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