Das soziale Netzwerk Facebook hat kein Interesse daran, der Öffentlichkeit mitzuteilen, nach welchen Regeln es Inhalte löscht. Das SZ-Magazin deckt durch vorliegende Dokumente und Gespräche mit ehemaligen und aktiven Mitarbeitern des Unternehmens jetzt einige dieser internen Facebook-Löschregeln auf. Das soziale Netzwerk nutzen heute weltweit ungefähr 1,8 Milliarden Menschen, in Deutschland sind es fast 30 Millionen Nutzer. Es ist längst Teil des Alltags geworden. Dort lesen Menschen Nachrichten oder tauschen sich persönlich aus. Der Bedarf, die „Grundgesetze“ dieser Plattform zu kennen, wächst stetig in der Bevölkerung.
Eine Facebook-Richtlinie, die das SZ-Magazin bei seiner Recherche herausstellt, ist die Erlaubnis, „grausame und unübliche Strafen bei Verbrechen zu fordern, die Facebook anerkennt“. Im Dokument ist dazu das Beispiel „Hängt Kinderschänder“ aufgeführt. Das Regelwerk bestehe aus Hunderten dieser Beispiele, an denen sich die Mitarbeiter der Löschteams orientieren sollen. Wichtig sei etwa, in welchem Kontext Bild und Text auftreten. Wenn etwa unter das Bild eines Sterbenden ein freudige Reaktion geschrieben wird, ist das Bild demnach zu löschen.
„Facebook konkurriert mit Gesetzgebung des Staates“
Die SZ-Journalisten kritisieren in ihrem Titelthema die Macht eines Netzwerkes, das Menschen in Kategorien einteilt und festlegt, welche Gruppen schützenwert und welche es nicht sind. Mit diesem Machtmonopol konkurriere der börsennotierte Unternehmen nicht nur mit den Medien, sondern auch mit der Gesetzgebung des Staates.
Die Regeln von Facebook werden demnach wöchentlich oder bei einem gegebenen Anlass noch schneller aktualisiert. Die Geheimhaltung der Löschregeln hänge damit zusammen, dass den Nutzern des Netzwerks nicht augenscheinlich werden soll, mit welchen Maßnahmen sie die Regeln umgehen könnten. Das behauptet ein ehemaliger Mitarbeiter gegenüber dem Magazin.
Mitarbeiter sind psychologisch überfordert
Ein Facebook-Löschteam mit 600 Mitarbeitern aus verschiedenen Ländern sitzt in Berlin. Dort arbeitet das soziale Netzwerk laut der SZ-Journalisten mit der Bertelsmann-Firma Arvato seit Herbst 2015 zusammen. Gegen den Willen ihres Arbeitgebers haben ehemalige und aktive Mitarbeiter Auskunft gegeben, weil sie die Arbeitsbedingungen bekannt machen wollen. Die Mitarbeiter fühlen sich demnach meist nicht ausreichend geschult und psychologisch überfordert.
Die Entscheider über gelöschte Facebook-Beiträge seien überlastet, gestresst und durch die zahlreichen Vorgaben zum Prozedere verwirrt. Täglich seien die Mitarbeiter grausamen Inhalten wie Folter, Mord oder Kindesmissbrauch ausgesetzt. Psychologisch fühlen sich viele allein gelassen. Ein Großteil der in Berlin sitzenden Mitarbeiter, deren Gehalt nur knapp über dem Mindestlohn liegt, spricht kein Deutsch, weil sie für andere Sprachen im Netzwerk zuständig sind.
Das SZ-Magazin hat für die sozialen Netzwerke den Hashtag #insideFacebook ins Leben gerufen, um weitere Informationen von Lesern zu sammeln. Die Hinweisgeber, die eine E-Mail an die Redaktion schreiben wollen, sind dazu aufgefordert, ihre Nachrichten verschlüsselt zu senden. (pro)
mm