Heinrich: Christen sollten bei Debatte um Transsexualität nicht richten

Das Selbstbestimmungsgesetz soll es Menschen erleichtern, Geschlecht und Namen amtlich zu ändern. Frank Heinrich, Vorstand der Evangelischen Allianz, mahnt: Christen sollten bei der Debatte um Transsexualität nicht über andere Menschen richten.
Von Norbert Schäfer
Frank Heinrich ist Bundestagsabgeordneter (CDU), Theologe und engagiert sich als Vorsitzender im Verein „Gemeinsam gegen Menschenhandel“

Justizminister Buschmann (FDP) und Familienministerin Paus (Grüne) haben in der vergangenen Woche einen Referentenentwurf für ein neues Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt. Das soll das Transsexuellengesetz ablösen. Mit dem neuen Gesetz soll die Änderung des eigenen Geschlechts und des Vornamens im Personenstandsregister künftig durch eine Erklärung beim Standesamt erfolgen können.

Das gilt auch für Jugendliche ab 14 Jahren, allerdings noch mit Zustimmung der Eltern und mit einer Bedenkzeit von drei Monaten. Frank Heinrich, Vorstand der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD), ermahnt Christen beim Thema Transsexualität zu Liebe und Besonnenheit in der anstehenden öffentlichen Debatte.

PRO: Wie bewerten Sie den vorliegenden Entwurf der Regierung, Herr Heinrich?

Frank Heinrich: Wie Sie richtig sagen, handelt es sich um einen Entwurf, der auf dem weiteren Weg der Gesetzgebung noch einigen Änderungen unterliegen wird. So hat er schon deutlich mehr Kritikpunkte berücksichtigt als das im Juni 2022 vorgestellte Eckpunktepapier. Trotzdem sehen wir weiterhin große Mängel, auf die wir selbstverständlich weiter hinweisen werden.

Wo muss aus Ihrer Sicht auf alle Fälle nachgebessert werden? Was ist bereits verbessert worden?

Eine deutliche Verbesserung besteht darin, dass nun eine dreimonatige Wartezeit eingehalten werden muss, bevor dem Antrag auf Änderung im Personenstandsregister stattgegeben wird. Das bedeutet, dass das rechtliche Geschlecht nicht von heute auf morgen verändert werden kann.

Auf der anderen Seite sehen wir starke Schwierigkeiten in der konkreten Umsetzung des Entwurfs, beispielsweise an Stellen, an denen das Offenbarungsverbot (Anmerkung der Red.: Nach einer Änderung der Vornamen dürfen die früheren Vornamen gegen den Willen der Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden) und das Respektieren der Bedürfnisse anderer Beteiligter sich überkreuzen. Es muss sichergestellt werden, dass durch das Gesetz Unsicherheiten aufgelöst und nicht neue geschaffen werden.

In der Pubertät sind sich Jugendliche aus unterschiedlichen Gründen und Ursachen über die eigene Identität, das eigene Geschlecht, oft nicht im Klaren. Bestärkt der Staat mit dem geplanten Gesetz nicht die Hoffnung, dass der Wechsel des Geschlechts ein einfacher Lösungsweg aus Krisen beim Erwachsenwerden ist?

Das ist in der Tat eine der Hauptproblematiken in diesem Gesetzesvorhaben. Aus unserer Sicht muss das Thema der Geschlechtsänderung durch eine ausgewogene und respektvolle öffentliche Debatte entzaubert werden, sodass eine realitätsbezogene Entscheidung getroffen werden kann. Dafür benötigen vor allem betroffene Familien Zugang zu differenzierten und gut recherchierten Informationen, sowie Gesprächs- und Beratungsangeboten. Dafür sollten wir Christen uns einsetzen.

Mehr zum Thema

» Entwurf für Selbstbestimmungsgesetz liegt vor

» Ampel-Koalition will Änderung des Geschlechts erleichtern

» Wissenschaftler fordern Stopp der „Falschberichterstattung“ über Transsexualität


Es gibt die Behauptung, dass der steigende Wunsch nach Geschlechtsumwandlung bei Jugendlichen in einem Zusammenhang steht mit dem Internet und Social Media. Vor allem bei Mädchen – das zeigen Zahlen – ist der Wunsch, das eigene Geschlecht zu verändern, rasant angewachsen. Wie bewerten Sie das?

Dass die Zahlen in den letzten Jahren insbesondere unter Mädchen gestiegen sind, wird durch viele voneinander unabhängige Statistiken bestätigt. Welche genauen Zusammenhänge das hat, wird momentan in unterschiedlichen wissenschaftlichen Einrichtungen untersucht.

Interessant sind dabei eine Reihe schwedischer Dokus und eine kürzlich vom ZDF herausgegebene Dokumentation, die insbesondere Menschen mit einem Detransitions-Wunsch (Anmerkung der Red.: Wunsch nach Rückgängigmachen einer erfolgten Geschlechtsumwandlung) und betroffene medizinische Einrichtungen, beziehungsweise Experten zu Wort kommen lassen.

Es ist wichtig, dass die Ergebnisse von Untersuchungen in diesem Bereich zügig vorangetrieben und stärker in der öffentlichen Debatte eingebracht werden.

Wie sollen Gruppenleiter in christlichen Gemeinden reagieren, wenn Jugendliche mit ihrem Geschlecht hadern und Veränderung wünschen?

Gruppenleiter in christlichen Gemeinden sollten wie bei anderen seelsorgerlichen Themen auch hier zunächst versuchen, das Anliegen in seiner Tiefe mit dem Jugendlichen gemeinsam zu verstehen, ohne voreilige Wertungen abzugeben. Junge Menschen dürfen mit diesem Gedanken auf keinen Fall alleine gelassen und ebenso wenig in eine bestimmte Richtung manipuliert werden.

Aktuell muss ein transsexueller Mensch einen Nachweis erbringen, um eine Änderung des Personenstandes im Register erwirken zu können. Das neue Selbstbestimmungsgesetz sieht – wegen Rücksicht auf mögliche Diskriminierung – keinerlei Prüfung mehr vor. Wie bewerten Sie das?

Selbstverständlich sprechen wir uns gegen diskriminierende Praktiken im Prozess zum Erhalt eines Gutachtens aus. Jedoch gibt es auch hier Alternativen, diesen Prozess zu verändern, bevor er komplett entfällt.

Wie könnte eine mögliche Alternative aussehen?

Einige Personen, die eine Transition durchgangen sind und diese Nachweise liefern mussten, berichten von stark übergriffigen Fragen durch einzelne Experten. Dieser Sachverhalt sollte zunächst aufgeklärt und anschließend sollte mit medizinischem Fachpersonal gemeinsam an einer Verbesserung gearbeitet werden.

Wird das biologische Geschlecht mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz abgewertet und bedeutungslos, wenn sich jeder Mensch willentlich und beliebig über sein biologisches Geschlecht hinwegsetzen kann? Ist das nicht unbiblisch?

Bedeutungslos würde es erst dann, wenn jegliche geschlechtliche Kategorisierung abgeschafft würde, und das ist hier nicht der Fall. Im Gesetzentwurf sind diverse Ansätze enthalten, wie Missbrauch der Änderung unterbunden werden kann. Nach meinem biblischen Verständnis ist der Wechsel des Geschlechts von Gott nicht vorgesehen. Dabei muss aber bedacht werden, dass noch nicht einmal jeder Christ die gleichen biblischen Grundannahmen trifft.

Was hielten Sie davon, wenn sich christliche Gemeinden – wie im Gesetzentwurf vorgesehen – auf das „Hausrecht“ berufen würden und etwa für die Einteilung auf die Gruppenzimmer im Jungscharzeltlager einzig das biologische Geschlecht zugrunde legen?

Nach diesem Gesetzentwurf ist es absolut möglich, dass Gemeinden frei über die Aufteilung entscheiden können.

Wie sollen Gemeinde- und Gruppenleiter, aber auch Pfarrer, Lehrer und Fußballtrainer dann nach der gesetzlichen vorgesehenen „Bedenkzeit“ von drei Monaten damit umgehen, wenn ein Mensch bekundet, dass er sein Geschlecht gewechselt hat und entsprechend angesprochen und behandelt werden möchte?

Sobald die Änderung des Geschlechts rechtlichen Status erhalten hat, sind alle Leiter gesetzlich dazu verpflichtet, die betroffene Person entsprechend zu behandeln. Dies betrifft insbesondere die neue Ansprache und das Schweigen über die frühere Identität. Bezüglich der Einteilung von Gruppen sollten die Bedürfnisse aller Beteiligten zur Kenntnis genommen werden. Es wird also auf Einzelfallentscheidungen hinauslaufen, da die Bedürfnisse aller Beteiligten nicht generalisiert werden können.

Wozu raten Sie Christen und Gemeinden allgemein, was sie im Umgang mit Transgender-Menschen bedenken und beherzigen sollten?

Wir Christen sollten uns nach wie vor an das oberste Gebot der Liebe halten und unser Handeln daran messen. Wir haben zu keinem Zeitpunkt den Auftrag erhalten, über andere Menschen zu richten oder sie in unseren moralischen Vorstellungen zu erziehen.

Wozu wir aber aufgerufen sind, ist, Zeuge zu sein von unserer Hoffnung und unserer Vorstellungen eines gelingenden Lebens nach Gottes Vorstellungen, wie wir es der Bibel entnehmen, und dies authentisch vorzuleben. Die Verkündigung des Evangeliums beruht auf Einladung und nicht Zwang oder Verurteilung.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Heinrich.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen