"Es gibt hier sehr viele Kleingruppen aus dem Bereich Esoterik und des alternativen Gesundheitswesens, bei denen die Grenze zum Fanatismus fließend überschritten wird. Aber auch Evangelikale, die durch fundamentalistische Ideen auffallen, und Gruppen, die mit religiösen Versatzstücken arbeiten", sagt Barthel über die religiöse Splitterlandschaft der Hauptstadt. Etwa 20 bis 50 Personen scharten die Anführer solcher Kleingruppen um sich. "Sie bringen andere in seelische Abhängigkeiten und nutzen sie nicht selten auch finanziell aus. Oft brechen ihre Anhänger dann die sozialen Kontakte zu ihrem gewohnten Umfeld ab", so Barthel in der "Berliner Morgenpost".
Solche Aussagen pauschal auf Evangelikale anzuwenden, sei falsch und diskriminierend, sagte Axel Nehlsen dazu gegenüber pro. Er war Vorsitzender der Evangelischen Allianz in Berlin, ist Mitglied im Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz und Geschäftsführer des ökumenischen Netzwerkes "Gemeinsam für Berlin". Es gebe allerdings auch Gruppen, "die durch fundamentalistische Ideen auffallen und sich evangelikal nennen. Diese haben aber nichts mit den nicht-fundamentalistischen Allianz-Evangelikalen als Einigungsbewegung zu tun."
Gemeinden, Gruppen und Kirchen, die sich in Netzwerken oder Kooperationen mit anderen engagieren, wie die Evangelische Allianz, "Gemeinsam für Berlin" oder der Ökumenische Rat Berlin, hätten sich auf diese Weise gegen einen Alleinvertretungsanspruch und fundamentalistische Sonderwege entschieden, wie es Sekten für sich in Anspruch nähmen. "Sie machen sich damit überprüfbar, stehen miteinander im Dialog und erkennen andere Kirchen und Gemeinden ebenso als Ausdruck desselben christlichen Glaubens an", so Nehlsen. Eines der Sekten-Kriterien des Berliner Senats ist: "Die Gruppe hat einen Meister, ein Medium, einen Führer oder Guru, der allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist." Das sei auch ein Ausschlusskriterium für die Evangelische Allianz, so Nehlsen.
"Christliche Gemeinden sollten selbstkritisch bleiben"
Um die zunehmende religiöse Segmentierung zu beschreiben, müsste man stärker differenzieren, da es dabei um sehr unterschiedliche Gruppen gehe, meint Thomas Gandow, ehemaliger Sektenbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Gegenüber pro sagte er: "Mit dem etwas unglücklichen Schlagwort ‚Evangelikale, die durch fundamentalistische Ideen auffallen‘ will Barthel wohl ausdrücklich gerade nicht alle evangelikalen Gemeinden und Gruppen in Kirchen und Freikirchen als problematisch kennzeichnen." Gefährliche Gruppenprozesse, seelische Abhängigkeiten und finanzielle Ausnutzung gebe es allerdings immer wieder überall einmal, auch in "ganz normalen" Religionsgemeinschaften, so Gandow. "Christliche Gemeinden und Gruppen sollten deshalb immer selbstkritisch bleiben." (pro)