Jürgen Werth zitiert in seinem Bericht den ehemaligen Chefredakteur der "Zeit", Robert Leicht. Dieser schrieb 2007 im Berliner "Tagesspiegel": "Sie – die Evangelikalen – sind genauso gefährlich wie islamische Fundamentalisten." Für Werth, der auch Vorstandsvorsitzender des christlichen Senders "ERF Medien" ist, stand damals fest: "Der Begriff ‚evangelikal‘ war zum Schimpfwort geworden." Gelegentlich habe er den Eindruck gehabt, alle paar Wochen sei "eine neue Sau durchs Dorf getrieben" worden. "Mal hieß sie Christival, mal Jugend mit einer Mission, dann wieder George W. Bush oder Ulrich Parzany." Oft würden die Evangelikalen mit dem Fundamentalismus in Zusammenhang gebracht. Begegnungen bis in die jüngere Vergangenheit hätten ihm gezeigt: "An dieser Stelle haben wir nach wie vor ein massives Imageproblem."
"Klar, freundlich, auf Augenhöhe, leidenschaftlich und vernünftig"
Der Noch-Allianz-Vorsitzende stellt in dem Beitrag jedoch klar: "Wir sind Evangelikale – was für manche schon schlimm genug ist –, aber keine Fundamentalisten." Man suche das Gespräch mit Andersdenkenden und Andersglaubenden. Und man sei fähig, diese Gespräche zu führen: "klar, freundlich, auf Augenhöhe, leidenschaftlich und vernünftig".
Zu einer möglichen Trendwende im Hinblick auf das Image habe das Buch "Die neuen Evangelikalen" von Marcia Pally beigetragen, ist Werth überzeugt. Die New Yorker Professorin für multikulturelle Studien bescheinige den Evangelikalen, dass sie in Sachen soziales Engagement vielfach Vorreiter seien.
Ebenfalls zu einer anderen Sicht habe auch der 3. Weltkongress der Evangelikalen im Oktober 2010 in Kapstadt geführt, der unter anderem von der Weltweiten Evangelischen Allianz veranstaltet worden war. Im dort verabschiedeten "Aufruf zum Handeln" sei es um den persönlichen Frieden mit Gott, aber auch um Frieden und Versöhnung in den sozialen und ethnischen Konflikten dieser Erde gegangen. Evangelikale setzten sich für die Einhaltung der Menschenrechte ein, vor allem der Gewissens- und Religionsfreiheit. "Und das – merke! – nicht nur in Bezug auf die christliche Religion."
"Niemand kommt mehr an uns vorbei"
Werth stellt auch eine stärkere und positivere Wahrnehmung in der EKD fest. Seit 2007 sei er ständiger Gast der EKD-Synode gewesen, ein Novum für einen Vorsitzenden der Evangelischen Allianz. Für die EKD-"Kammer für weltweite Ökumene" habe er ein Papier über Evangelikale weltweit erarbeitet. Dass niemand mehr an den Evangelikalen vorbeikommt, belegt er anhand aktueller Zahlen. So repräsentiere der Weltkirchenrat 349 evangelische, orthodoxe und anglikanische Kirchen in über 120 Ländern mit rund 560 Millionen Mitgliedern, während die Weltweite Evangelische Allianz als Repräsentantin der Evangelikalen in 128 Ländern vertreten sei und rund 420 Millionen Menschen dazu zählten.
"Frommer werden"
Für die Zukunft wünscht sich Werth, dass die Evangelische Allianz "frommer" wird: "Mehr auf Gott vertrauen. Und nicht auf uns", fordert er. Gleichzeitig mahnt der Journalist: "Wir müssen jünger werden!", und warnt: "Lasst uns hellwach bleiben, damit wir nicht den Anschluss an die nächste, übernächste und die folgende Generation verpassen!"
Darüber hinaus erwartet Werth, dass die Allianz "weiblicher" wird. Nicht selten müsse er Frauen erklären, warum es so wenige von ihnen im Haupt- und im Geschäftsführenden Vorstand gebe. Vielleicht liege es daran, dass die Strukturen allzu männlich geprägt seien. "Wir brauchen keine Quotenfrauen. Wir brauchen weibliche Kompetenz!" Und schließlich müsse man schneller und kommunikativer werden, um Links zwischen der nationalen und der lokalen Ebene zu schaffen: Eine Plattform, auf der man sich gegenseitig informieren, miteinander diskutieren und einander inspirieren könne.
In einem Interview, das ebenfalls in der aktuellen Ausgabe von "Eins" erschienen ist, wünscht Werth seinem Nachfolger, dem Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Michael Diener, dass er "ein heißes Herz und einen kühlen Kopf bewahrt. Und dass er ganz nah bei Gott ist und ganz nah bei den Menschen". Außerdem hoffe er, dass viele Menschen im Lande Diener mit ihren Gebeten begleiteten. Michael Diener tritt sein Amt am 1. Januar 2012 an. (pro)