Im Buch „Die Jesus-Revolution“ analysieren und kritisieren die Autoren Shane Claiborne und Tony Campolo die Grundüberzeugungen vieler Frommer. Der christliche Verlag Gerth Medien hat mit der Veröffentlichung lange gezögert. Eine Buchbesprechung von Anna Lutz
(v.l.) Shane Claiborne und Tony Campolo wirbeln die evangelikale Szene in den USA ordentlich durcheinander
„Woran erkennt man ‚evangelikale Christen’? Die Diskussion darüber ist in den vergangenen Jahren immer heftiger geworden und sie könnte die evangelikale Bewegung zerreißen“, schreibt Michael Diener im Vorwort zu „Die Jesus-Revolution“. Er muss es wissen, schließlich ist er der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, so etwas wie der Dachverband der Evangelikalen. Das Buch kann als Begleitliteratur zur internen Debatte über die eigene Identität verstanden werden. Die Autoren Tony Campolo und Shane Claiborne schreiben: „Christen in Deutschland wie in den USA stecken in einem Namensdilemma. ‚Evangelikal’, dieses Wort hat man ursprünglich einmal eingeführt, um Christen zu benennen, die sich besonders ernsthaft und engagiert an der Bibel orientieren. Inzwischen ist es aber schon beinahe ein Schimpfwort geworden und steht vielerorts, besonders in den Medien, für übertrieben strenggläubige, engstirnige Fanatiker mit rechten Tendenzen.“
Gegen Homosexualität – typisch evangelikal?
In ihrem Buch arbeiten sich Campolo und Claiborne systematisch an all jenen theologischen wie politischen Überzeugungen ab, die Außenstehende (und auch Teile der Bewegung) oft als typisch evangelikal bezeichnen: Ablehnung von Homosexualität, Ablehnung anderer Glaubensrichtungen, Ablehnung von Abtreibung. Unterstützung konservativer Politik, Unterstützung Israels, Bewahrung der klassischen Familie. Sie üben Fundamentalkritik an solcherlei Positionen, um zu zeigen: Es gibt eine evangelikale Welt jenseits des Klischees. So liest man im Buch Sätze wie: „Bei all unserem ‚Pro Life’-Engagement sind wir nur selten bereit, Geld in das Gesundheitswesen, Kinderbetreuung oder Bildung zu investieren“, oder: „Homosexualität als ‚Abscheulichkeit’ anzuprangern, wie es nicht wenige der sehr religiösen Christen immer noch tun, ist entwürdigend und damit Sünde“. Evangelikale sollten bei aller Unterstützung Israels nicht die Menschenrechte der Palästinenser vergessen. Campolo räumt mit Blick auf andere Religionen ein: „Glaube ich, dass Leute auch außerhalb der Kirche durch Jesus gerettet werden können? Darüber kann ich mir kein Urteil erlauben.“ Im englischen Sprachraum, wo das Buch bereits vor zwei Jahren erschienen ist, hat es heftigen Gegenwind bekommen. Der Hauptvorwurf: Campolo und Claiborne scheren sich zwar viel um Politik, vernachlässigen aber, worauf es eigentlich ankommt: Das Evangelium.
Dabei haben gerade diese beiden sich die Nachfolge Jesu besonders auf die Fahnen geschrieben. Im Original lautet der Titel ihres Buches „Red Letter Revolution“: Rote-Buchstaben-Revolution. Das ist ein Begriff, dessen Sinn sich vornehmlich im Englischen erschließt. Er bezieht sich auf die King-James-Übersetzung der Bibel, in der die Worte Jesu rot hervorgehoben sind. Der Titel des Buchs impliziert also eine Forderung: Evangelikale, folgt Jesus! Allein das ist schon eine Provokation, verstehen Evangelikale das klare Bekenntnis zu Jesus Christus und der Bibel doch als ihren Markenkern.
„Sorge, dass uns das Buch um die Ohren fliegen könnte“
Campolo und Claiborne sind im christlichen Kontext keine Unbekannten. Beide gehören zum amerikanischen Linksevangelikalismus. Campolo war einst geistlicher Berater des US-Präsidenten Bill Clinton. Claiborne wurde bekannt, weil er in Philadelphia gemeinsam mit Obdachlosen auf der Straße übernachtete und für deren Rechte vor Gericht eintrat. Er reiste als Friedensaktivist in den Irak und demonstrierte gegen die dortigen US-Kampfeinsätze. Diesen Hang zum Politischen und vor allem zum Protest spürt man auch ihrem gemeinsamen Buch ab.
Bleibt die Frage, wie die deutschen, vornehmlich christlichen Leser das aufnehmen werden. Es hat zwei Jahre gedauert, bis Gerth Medien sich letztendlich dazu entschloss, „Die Jesus-Revolution“ auf den Markt zu bringen. „Es gab die Befürchtung, dass uns das Buch um die Ohren fliegen könnte“, erklärt Programmleiter Johannes Leuchtmann. Er beobachtet eine mangelnde Kritikfähigkeit im evangelikalen Lager, die sich auch auf die Entscheidungen über Buchveröffentlichungen niederschlägt. Themen wie Islam, Homosexualität oder Formen der Esoterik seien ein rotes Tuch für viele – zumindest wenn Bücher sich nicht ausdrücklich kritisch damit beschäftigten. „Wir wollten mit der Veröffentlichung der Jesus-Revolution zeigen, dass es einen Weg gibt, leidenschaftlich Jesus zu folgen, und die Bibel zugleich differenziert zu betrachten“, sagt Leuchtmann.
Eine Bibel, viele Sichtweisen
Dass Michael Diener sich dazu bereit erklärt hat, ein Vorwort für das Buch zu schreiben, ist an sich schon ein Zeichen in Richtung all derer, die sich kritischen Anmerkungen an die evangelikale Bewegung und damit dem Dialog verweigern. „Wer als Evangelikaler die Bibel liest, kann offenbar zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das müssen wir mindestens anerkennen“, sagt Diener. Aus der Tatsache, dass ihn selbst so einiges am eigenen Lager stört, hat er nie ein Geheimnis gemacht. Im vergangenen Jahr erklärte er gegenüber pro, Evangelikale hätten eine Sündenhierarchie aufgebaut, die sexuelle Fragen überbewerte. Im Kontext des Buches fällt ihm ein weiterer Kritikpunkt ein: Die Frommen betonten zwar die Beziehung zwischen Mensch und Gott sehr stark, verlören dabei aber oft die Wahrung der Schöpfung aus dem Blick. Was die Volkskirchen für seinen Geschmack eher überbetonten, habe im evangelikalen Kontext meist zu wenig Bedeutung. Auch die Frage nach dem Umgang mit Geld und Reichtum müssten sich Evangelikale immer wieder stellen. Diener wünscht sich mehr Sensibilität dafür, wie reich Christen in Deutschland im Weltvergleich sind, und was es bedeutet, mit diesem Reichtum angemessen umzugehen.
„So, wie sich die Gesellschaft pluralisiert, pluralisiert sich auch die evangelikale Szene“, sagt Diener, und fordert: „Darin müssen wir eine Chance erkennen.“ Die Jesus-Revolution sei insofern weniger revolutionär, als es scheinen mag. „Man muss das sagen dürfen“, ist er überzeugt, räumt aber ein, dass das Buch für seinen Geschmack an vielen Stellen theologisch zu kurz greife. Ein Beispiel dafür ist für ihn das Thema von Himmel und Hölle. Ob die Autoren Allversöhner seien oder an eine ewige Verdammnis glaubten, klammerten sie schlicht aus. „Das schafft Unsicherheit“, sagt Diener. Der inhaltlichen Debatte will er sich hingegen nicht verweigern. In seinem Vorwort heißt es: „Ich stehe dafür ein, dass wir über diese Fragen innerhalb der evangelikalen Bewegung offen und unvoreingenommen sprechen.“ Im direkten Gespräch formuliert Diener das schärfer: „Ich bin überzeugt davon, dass Evangelikale kritikfähiger werden müssen.“ (pro)
Dieser Text ist auch im Christlichen Medienmagazin pro, Ausgabe 6/2014, erschienen. Bestellen Sie pro kostenlos unter Tel. 06441/915151 oder einfach hier online.
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