Im Herbst verabschiedet der Deutsche Bundestag ein Gesetz zum Thema Organspende. Der Palliativmediziner und Chefarzt am Offenbacher Ketteler-Krankenhaus Stephan Sahm sieht vor allem die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) präferierte Widerspruchslösung kritisch. In einem Essay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Montag argumentiert Sahm, dass die Bereitschaft zur Organspende eine Verfügung über das eigene Sterben sei. Deshalb solle das die Entscheidung eines jeden Bürgers bleiben und es nicht so gehandhabt werden, wie es die Widerspruchslösung vorsieht, wonach potenziell alle Deutschen zu Organspendern werden, wenn sie nicht widersprechen.
Anlass für Sahms Kommentar ist die Tatsache, dass der Bundestag sich in dieser Woche von Fachleuten beraten lässt. In seinen Augen rührt der Vorschlag der Widerspruchslösung an „ethischen Grundfragen“. Sahm kritisiert am Gesetzesentwurf etwa, dass Ärzte Angehörige „lediglich fragen müssen, ob ein schriftlicher Widerspruch vorliegt oder eine Willensäußerung, die der Organentnahme entgegensteht“. Angehörige „sollen fortan keine Befugnisse mehr zur stellvertretenden Entscheidung haben“.
Sahm spricht bei dem von Spahn und dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach unterstütztem Gesetzesvorschlag von einem „Paradigmenwechsel in der Transplantationsmedizin“. Hier gehe es um das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf Schutz der körperlichen Integrität. „Es ist ethisch zumindest zweifelhaft, angesichts des im Grundgesetz garantierten Rechtes auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und auf Freiheit der Person Beschweigen als Zustimmung zu deuten“, schreibt Sahm. Auch hält der Palliativmediziner den positiven Effekt der Widerspruchslösung auf mehr mögliche Organspenden für überschätzt.
Folge der Widerspruchslösung
Bei der Widerspruchslösung sieht Sahm den Konflikt auf die Ärzte zukommen, der bereits durch eine Änderung des Transplantationsgesetzes am 1. April dieses Jahres gesät wurde. Seiner Meinung nach ermuntert diese Gesetzesänderung Ärzte dazu, potenzielle Organspender in den Blick zu nehmen, „das heißt Sterbende, denen Ärzte eigentlich eine palliative Behandlung zukommen lassen sollen. Doch deren Therapie soll jetzt zum Zwecke des Organerhaltes und einer späteren Organentnahme ausgedehnt werden.“ Die Widerspruchslösung schließe ein, dass jeder als potenzieller Organspender die Fortsetzung einer für ihn nicht nützlichen Behandlung vor dem Tod zu ertragen bereit sein solle.
In seinem Kommentar spricht sich Sahm für den alternativen Gesetzesvorschlag aus, der um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock entstand. Dabei werden die Bürger aktiv bei Beantragung von Pässen oder Gesundheitskarten über das Thema Organspende informiert. Auch sollen Hausärzte alle zwei Jahre ihren Patienten anbieten, sie zu dem Thema ergebnisoffen zu beraten. „Aufklärung und Information könnten mehr bewirken als die Unterstellung der Zustimmung zur Organentnahme in einer Widerspruchslösung“, findet Sahm.
Von: Michael Müller