Dürfen Forscher Embryos genetisch manipulieren, um etwa Krankheiten zu verhindern oder die Leistungsfähigkeit des Menschen zu steigern? Als im vorigen Jahr in China genetisch veränderte Zwillinge zur Welt kamen, gab es einen Aufschrei rund um den Globus – sowohl von Wissenschaftlern als auch von Ethikern. Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates bezeichnete das als „unverantwortliche Menschenversuche“.
Nun hat der Deutsche Ethikrat eine über 200-seitige Stellungnahme zu diesem Thema veröffentlicht. Darin kommt er zu dem Schluss, dass vorgeburtliche Eingriffe in das menschliche Erbgut nicht grundsätzlich abzulehnen sind. Zwingende Voraussetzung sei, dass ein solcher Eingriff sicher und wirksam sei.
Um konkrete Fälle ethisch beurteilen zu können, stellte der Ethikrat acht Maßstäbe auf, an denen sich Entscheidungen für oder gegen einen Eingriff orientieren sollten. Kriterien also, anhand derer man für oder gegen genetische Veränderungen eines Embryos argumentieren kann. Damit will der Ethikrat umfassende Leitlinien zur Verfügung stellen, die über eine reine Kalkulation von Chancen und Risiken hinausgehen.
Ethische Maßstäbe sollen bei Entscheidung helfen
Doch wie der Ethikrat auch feststellt: „Ein und derselbe Orientierungsmaßstab kann zu einzelnen Fragen und für einzelne Anwendungsszenarien sehr unterschiedlich ausgelegt werden.“ Auch die Mitglieder des Rates selbst kommen im Einzelfall zu unterschiedlichen Einschätzungen. Zuerst führen die Experten die Würde des Menschen an. Es sei jedoch umstritten, ab wann einem Wesen Menschenwürde zukommt. Zudem könne nicht nur ein Eingriff, sondern auch sein Unterlassen die Würde verletzen, etwa weil Krankheiten nicht verhindert wurden.
Als weitere zu bedenkende Maßstäbe führt der Ethikrat die Freiheit der beteiligten und betroffenen Personen an. Hier müsse etwa die Freiheit der Forscher wie auch die der Eltern, die Gene ihres Kindes verändern lassen zu wollen, in Betracht gezogen werden. Auch Gerechtigkeit oder das Prinzip, Schaden zu vermeiden und Gutes zu bewirken, ebenso wie die Verantwortung, die die Beteiligten mit ihrer Entscheidung über einen Eingriff tragen, sollen aus ethischer Sicht berücksichtigt werden. Anhand mehrerer Fallbeispiele erörtert der Rat diese Punkte.
So spricht diesen Kriterien folgend nach Ansicht des Ethikrates nichts dagegen, das Erbgut zu verändern, um die Erbkrankheit Mucoviszidose zu vermeiden. Im Gegenteil: „Zwar kann heute noch nicht eingeschätzt werden, ob Keimbahneingriffe irgendwann hinreichend sicher, wirksam und verträglich sein werden. Sollte das aber erreicht werden, so gebe (sic!) es eine Reihe von ethischen Gründen, solche Eingriffe zu erlauben.“ Weniger eindeutig bewertet der Ethikrat Genmanipulationen, um das Risiko von Alzheimer zu reduzieren. Hier gebe es anhand der aufgestellten ethischen Maßstäbe sowohl Gründe, die dafür, als auch welche, die dagegen sprächen.
Denkbar: Erbkrankheiten genetisch verhindern
Der Ethikrat fordert die Bundesregierung auf, auf international verbindliche Vereinbarungen über Keimbahneingriffe und ihre Anwendung hinzuwirken. Klinische Forschung, also direkt am Patienten, lehnt der Ethikrat derzeit jedoch noch ab. Dazu habe die Grundlagenforschung noch nicht ausreichend klare Erkenntnisse darüber geliefert, wie sicher und wirksam solche Eingriffe sind.
Sofern „eines Tages“, wie der Rat schreibt, dafür alle notwendigen Bedingungen erfüllt sein sollten, halten seine Mitglieder Keimbahneingriffe mehrheitlich dann für zulässig, wenn damit Erbkrankheiten verhindert werden. Andere Fälle, etwa um Gesundheitsrisiken zu reduzieren oder bestimmte Eigenschaften zu optimieren, müssten am Einzelbeispiel diskutiert werden.
Von: Jonathan Steinert