Es wird regiert

Die Bundestagswahl spiegelt die Verunsicherung und die Ängste vieler Bürger wider. Wenngleich manche Entwicklungen Anlass zur Sorge geben, so gibt es doch auch gute Nachrichten und Grund zur Hoffnung. Ein Leitartikel von Christoph Irion
Von PRO
Reichstagsgebäude

„Zeitenwende“ ist ein Begriff, der inzwischen fast inflationär verwendet wird. Markiert auch das Ergebnis der Bundestagswahl vom 23. Februar 2025, das endgültige Aus der Ampel und die nun zu erwartende Neubildung einer Bundesregierung unter CDU-Chef Friedrich Merz eine weitere Zeitenwende?

Am heutigen dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine kann man auf jeden Fall feststellen: Wir erleben fortgesetzt eine Phase enormer Umwälzungen. Einen gravierenden Wandel weltweit. Sicherheitspolitisch, ökonomisch und auch ökologisch. Inzwischen haben wir uns nicht nur an verheerenden Krieg in Europa gewöhnt und an die Wirtschaftskrise.

Wir erleben auch eine aufgeheizte Stimmung im eigenen Land, weil Herausforderungen wie die Zuwanderung die Leistungsfähigkeit unserer Städte und Gemeinden und unser Miteinander überfordern. Und gerade in diesen Tagen können wir auch noch live mit anschauen, wie in Amerika Donald Trump zusammen mit dem irrlichternden Tech-Unternehmer und Multi-Milliardär Elon Musk die älteste Demokratie der Welt schleift – und tatkräftig dabei ist, die jahrzehntelange Partnerschaft mit Europa zu beerdigen. Das tragende, gemeinsame Werte- und Sicherheitssystem des „Westens“ – es könnte schon bald Geschichte sein. Somit spiegelt auch das Ergebnis der Bundestagswahl eine tiefe Verunsicherung, Erschöpfung und Spaltung unserer Gesellschaft, die Ängste von Millionen, ja eine Gefährdung unserer eigenen Demokratie in schmerzhafter Weise.

Gute Nachrichten und bedenkliche Ergebnisse

Doch das Wahlergebnis vom 23. Februar enthält – sehr konkret – auch eine wirklich positive Nachricht für Deutschland, für Europa, für die Welt: Denn momentan stehen die Chancen gut, dass in Berlin schon sehr bald wieder regiert wird.

In der Tat dürfen wir auf die rasche Bildung einer stabilen Regierung aus der demokratischen Mitte hoffen. In vielen Demokratien des Westens ist das längst nicht mehr der Normalfall. Wahlgewinner Friedrich Merz (CDU) kündigte an, er wolle möglichst noch vor Ostern „eine handlungsfähige Regierung“ auf den Weg bringen. Der „Dimension der Aufgabe“ sehe er mit größtem Respekt entgegen. Auch die anderen „Parteien der Mitte“, wie sich SPD und Grüne selbst nennen, signalisierten trotz teils schlimmer Einbrüche, ausdrücklich Bereitschaft, in der aktuell so herausfordernden politischen Gesamtsituation Verantwortung für den Erhalt unserer Demokratie zu übernehmen.

Das ist ein wichtiges Ergebnis. Dies zeigen auch die schnellen Reaktionen von EU- und Nato-Partnern, die sehnsüchtig darauf warten, dass Deutschland in Europa wieder Führung übernimmt. Nach dem vorläufigen Wahlergebnis stehen die Zeichen nun auf Bildung einer schwarz-roten Regierung aus CDU/CSU und SPD. Die frühere Bezeichnung „Große Koalition“ oder „Groko“ hat allerdings ausgedient, vor allem weil die traditionsreichen Sozialdemokraten bundesweit nur noch eine Wählerzustimmung von mickrigen 16,4 (-9,3) Prozent erreichen (Union: 28,5, +4,3 Prozent). 

Insgesamt zeigen die Wahlergebnisse dramatische Trends und teils Besorgnis erregende Verwerfungen. Bei einer sensationellen Wahlbeteiligung von 84 Prozent (dem höchsten Wert seit der Wiedervereinigung) wurden vor allem die Parteien an den Rändern deutlich gestärkt: Insgesamt 35 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten für AfD, die Linke und BSW. Die AfD, die in Teilen als „gesichert rechtsextrem“ gilt, konnte ihre Stimmanteile mit Kanzlerkandidatin Alice Weidel verdoppeln und ist nun bundesweit zweitstärkste Kraft. Vor allem zeigt sich aber, dass Deutschland parteipolitisch mehr denn je in West und Ost auseinanderfällt: Die AfD erringt in allen fünf östlichen Bundesländern flächendeckend nahezu alle Direktmandate. Der Wahlgewinner CDU geht im Osten inzwischen komplett leer aus.

Zugleich zeigt die Wahl 2025 einen deutlichen Schub Richtung Social-Media-Wahlkampf: Die noch vor wenigen Monaten totgeglaubte Linke hat innerhalb weniger Wochen eine sensationelle Mobilisierung vor allem von Jungwählern erzielt. Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek erreichte in der hitzigen Migrations- und Brandmauer-Debatte im Januar viele Millionen Follower auf Tiktok – die populistische, polarisierende und emotionalisierte Kommunikation in den sozialen Medien wird die Wahlkämpfe der Zukunft prägen.

Tröstliche Erkenntnis aus schwierigen Zeiten

In unserer säkularen, aufgewühlten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts scheint das wertvolle Erbe des Christentums im politischen Tagesgeschäft mitunter vergessen oder verschüttet zu sein. Doch auch im neu gewählten Bundestag gibt es Menschen in politischer Verantwortung, die es gerade jetzt als wohltuend, vernünftig und stärkend empfinden, wenn sie zum Beispiel die Hinweise lesen, die der Apostel Paulus vor 2.000 Jahren dem jungen, verschüchterten, aber begabten Timotheus in schwierigen Zeiten schrieb: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Timotheus 1,7).  

Aber es gibt auch tröstliche Erkenntnisse aus bösen Zeiten, die noch nicht so lange her sind. Ein Zitat, ein kurzer Satz, den viele Deutsche schon gehört haben. Ein Satz mit drei Worten:

„Es wird regiert“: So hat es Karl Barth formuliert, einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Als Hitler an die Macht kam, lehrte der Schweizer an deutschen Universitäten. Barth hat dem Nationalsozialismus die Stirn geboten: Er gilt als einer der wichtigsten Begründer der Bekennenden Kirche, ein Mann, der wusste, was es bedeutet, als er sagte: „Es wird regiert.“ Am Abend vor seinem Tod, dem 10. Dezember 1968, soll Barth diesen Satz gesagt haben. Auch damals waren es bewegte Zeiten: Atomares Wettrüsten, Kalter Krieg und Studentenunruhen verunsicherten die Menschen. Die letzten Worte, die von Barth überliefert sind, hören sich an, als wären sie in unsere Zeit gesprochen:

 „Ja, die Welt ist dunkel. …. Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie(mals)! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her!Gott sitzt im Regimente! Darum fürchte ich mich nicht. … Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns … ! – Es wird regiert!“

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