pro: Herr Waffenschmidt, seit Monaten hält die Corona-Krise die Welt in Atem. Ist Licht am Ende des Tunnels zu erkennen?
Christoph Waffenschmidt: Das kann man noch nicht sagen. Während in Deutschland bereits viele Lockerungen umgesetzt werden, ist eine solche positive Entwicklung in vielen Regionen der Welt noch nicht zu erkennen. Vielerorts ist die Bedrohungslage weiterhin sehr groß. Gerade auf dem afrikanischen Kontinent sind viele Gesundheitssysteme sehr schwach entwickelt. Wenn dort der Ausbruch des Virus nicht in den Griff bekommen wird, werden viele Menschen sterben.
Eine düstere Prognose….
Ganz so würde ich es nicht sagen. Auch in diesen ärmeren Ländern wurden klare Schutzmaßnahmen, wie Ausgangsbeschränkungen verhängt. Aber solche Maßnahmen allein können die Pandemie nicht stoppen, weil unklar ist, wo sich das Virus bereits verbreitet hat. Daher informieren und klären viele Hilfsorganisationen die Bevölkerung im Umgang mit dem Virus auf. Wenn all diese Maßnahmen gut zusammenspielen, kann ein düsterer Ausgang verhindert werden.
In Deutschland gefährdet das Virus nicht nur unsere Gesundheit, sondern belastet auch die Wirtschaft. Unterscheiden sich die negativen Begleiterscheinungen in ihrer Intensität zu ärmeren Ländern?
Ja, das muss man leider so sagen. Ein großer Faktor sind natürlich wirtschaftliche Folgen. Anders als in Deutschland gibt es vielfach keine soziale Absicherung durch den Staat. Für viele stellt sich daher die Frage: Gesundheitlicher Schutz und Einkommensverzicht oder eine Ansteckung in Kauf nehmen, dafür aber Essen zu auf dem Tisch haben? Das ist nicht nur eine Einschränkung des Wohlstands, sondern eine existentielle Bedrohung durch Armut. Auch im Bildungsbereich können die Folgen verheerend sein. Unterrichtsausfall kann viele Kinder von der Bildung abschneiden. Nicht zu vergessen sind natürlich auch die Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und auf die Gesundheitssysteme. Das kann im schlimmsten Fall zu einer Gesundheitskrise in den entsprechenden Ländern führen.
Sie sind der Vorstandsvorsitzende eines internationalen Kinderhilfswerkes. Droht den afrikanischen Ländern durch einen dauerhaften Schulausfall eine ganze Generation zu verlieren?
Das unterscheidet sich in den einzelnen Ländern relativ stark. Besonders erschwert wird die Situation für Kinder in den Ländern, die auch vor der Krise durch Flüchtlingsströme oder kriegerischen Auseinandersetzungen schon sehr fragil waren. Dort also, wo es kein stabiles politisches System gibt, werden die Kinder durch die Corona-Krise besonders leiden.
Hilfswerke arbeiten nicht erst seit der Corona-Pandemie in von Armut betroffenen Regionen der Welt. Droht diese jahrzehntelange Arbeit durch das Virus zurückgeworfen zu werden?
Ja, es gibt sicherlich Bereiche, wie die Bildung, in denen Investitionen und Anstrengungen nicht mehr so zu erkennen sein werden. Aber gerade das, was in den vergangenen Jahren in die Stärkung Gesundheitssysteme investiert wurde, zahlt sich nun aus. Jetzt in der Krise müssen Gelder anders verteilt werden. Das wird sich bemerkbar machen. Werden aber dauerhaft beispielsweise Gelder für die Bildung ins Gesundheitswesen investiert, droht tatsächlich das Szenario einer verlorenen Generation.
World Vision hat nach eigenen Angaben die größte humanitäre Hilfsaktion in ihrer 70-jährigen Geschichte gestartet. Wie sieht die Hilfe konkret aus?
Das ist in der Tat unser größter Nothilfeeinsatz. Wir wollen über 350 Millionen US-Dollar in die Bekämpfung der Pandemie und deren Folgen einsetzen und so mehr als 72 Millionen Menschen helfen. World Vision ist bereits in circa 70 Ländern aktiv. Unser Fokus richtet sich als Kinderhilfswerk natürlich im Besonderen auf die Kinder, aber auch auf die Gesamtsituation in den entsprechenden Ländern. Beides bedingt sich. Viel Wert legen wir auf Aufklärung über das Virus und gängige Hygieneregeln. Dazu arbeiten wir intensiv mit unseren Partnern vor Ort zusammen. Das sind meist geistliche Leiter, wie Pastoren oder Imame, die in vielen Gesellschaften als Respektsperson gelten. Sie fungieren gewissermaßen als Multiplikatoren unserer Tipps zu Verhaltensweisen.
Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?
Während der Ebola-Epidemie ging es zum Beispiel darum, bei verschiedenen Beerdigungsritualen den Kontakt zum Leichnam zu unterbinden, weil dieser noch immer hoch infektiös ist. Mithilfe angepasster Rituale konnte so die Ansteckungsgefahr deutlich verringert werden. Funktionieren kann das aber nur, wenn man mit den Menschen vor Ort zusammenarbeitet.
Setzt Ihre Hilfe bewusst auf Nachhaltigkeit oder leisten Sie ausschließlich Notfallhilfe?
Wir versuchen beides unter einen Hut zu bekommen. Neben der akuten Hilfe versuchen wir auch Folgewirkungen zu bekämpfen und für die Zukunft zu lernen. Also: Wie können wir langfristig besser die Menschen aufklären oder dauerhafte Gesundheitsstrukturen schaffen? Auch versuchen wir selbst zu lernen, um in Zukunft noch besser aufgestellt zu sein.
Welche Rolle spielt die Weltgemeinschaft bei der Bekämpfung der Pandemie in den ärmeren Regionen dieser Welt?
Es ist ein Schulterschluss zwischen reichen und armen Ländern gefragt. Ein wichtiger Schritt wurde bereits auf der Geberkonferenz getan – auch was die finanzielle Förderung zur Entwicklung eines Impfstoffs betrifft. Diese Herausforderung kann nur gemeinsam von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeistert werden.
Befürchten Sie, dass ärmere Länder sich einen möglichen Impfstoff nicht leisten können, beziehungsweise sich bei der Verteilung hintenanstellen müssen?
Die Pandemie ist eine globale Herausforderung. Daher hoffe ich, dass es auch eine globale Solidarität geben wird. Das ist eine klare Forderung von uns. Der Impfstoff muss der gesamten Menschheit zur Verfügung gestellt werden.
Sie arbeiten eng mit christlichen Leitern zusammen. Hat die Corona-Krise negative Auswirkungen auf die Glaubensausübung christlicher Gemeinschaften?
In unseren Projekten ist uns kein Fall bekannt, in dem Christen wegen des Virus benachteiligt werden. Aber natürlich besteht die Gefahr, dass gerade in nicht demokratischen Ländern im Zuge der Ausgangsbeschränkungen dauerhaft die Ausübung des Glaubens eingeschränkt werden könnte. An dieser Stelle ist die Politik in Deutschland und der Europäischen Union gefragt. Sie müssen die Situation im Auge behalten und gegebenenfalls mit zur Verfügung stehenden politischen Mitteln eingreifen, um die Religionsfreiheit zu sichern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Martin Schlorke