Es geht nicht um Informationsfreiheit

Seit mehr als einem Jahr zerlegt sich die Große Koalition Stück für Stück beim Thema Abtreibungen. Dabei lag der nun gefundene Kompromiss doch längst auf der Hand. Das zeigt: Es geht um weit mehr als den Paragrafen 219a. Ein Kommentar von Anna Lutz
Von Anna Lutz
Ärztin Kristina Hänel (2.v.l.) hat sich am Mittwoch gegen einen Kompromiss gestellt, den die Bundesregierung bei der Frage nach Abtreibungswerbung gefunden hat

Eine junge Frau sitzt vor ihrem Laptop, sucht nach dem Begriff „Frauenarzt Hamburg“ – und schon poppt sie auf: Abtreibungswerbung. „Hol sie dir jetzt!“, wirbt eine eindringliche Stimme. „Für nur 199 Euro!“ Die Frau zückt das Handy und sagt, sie habe einfach nur ein neues Pillenrezept gewollt, aber nun, da sie die Werbung gesehen habe …

Natürlich hat der beschriebene Clip mit dem echten Leben nichts zu tun. Es ist ein Satirevideo der NDR-Sendung Extra3 vom März dieses Jahres. Die Beschreibung erklärt: So stelle sich Gesundheitsminister Jens Spahn wohl Werbung für Abtreibung vor. Spahn ist gegen eine Reform des entsprechenden Paragrafen 219a, genauso wie CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die dies jüngst in einem pro-Interview betonte.

Was der Clip aber als absurd darstellen möchte und derart überspitzt zeigt, ist tatsächlich, was das Gesetz verhindern soll: Werbung für Abtreibungen, die anstößig ist oder dem eigenen Vermögensvorteil dient. Was nun Frauenärzte kritisieren und womit der ganze Streit begann, ist ein empfundenes Informationsverbot: Die Tatsache nämlich, dass Medizinerinnen wie Kristina Hänel auf ihren Webseiten nicht darauf hinweisen dürfen, dass sie Abtreibungen vornehmen.

Wo liegt eigentlich das Problem?

Zugegeben, das ist ein Konflikt. Die einen wollen Informationen weitergeben, die anderen fürchten, dass diese Information in Werbung ausufern kann, wenn sie von denen geliefert wird, die damit Geld verdienen. Bei genauerem Hinsehen fällt schnell auf, dass nicht Jens Spahn und auch nicht Annegret Kramp-Karrenbauer jemals bestritten hätten, dass Frauen Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen erhalten können sollen. Beide schlugen bereits frühzeitig vor, dass eine zentrale Stelle geschaffen werden könnte, die Auskunft zu behandelnen Ärzten und Krankenhäusern gibt.

Wenn es also um Information geht, wo liegt dann das Problem? Der am Mittwoch gefundene Kompromiss zwischen SPD und Union garantiert beides: ein Beibehalten des Werbeverbots sowie Informationsfreiheit. Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollen Frauen künftig an Ärzte vermitteln. Trotzdem bezeichnete Hänel die Idee in einer erste Reaktion als „Nullnummer“ und der Widerstand aus dem Inneren der SPD ist absehbar.

Dafür kann es nur eine Erklärung geben: Vielen, die hier für Informationsfreiheit zu kämpfen vorgeben, geht es tatsächlich um mehr als den Paragrafen 219a. Die Nachwuchsorganisation der SPD, die Jusos, forderte jüngst, die Paragrafen 218 und 219 komplett aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, Schwangerschaftsabbrüche also gänzlich zu legalisieren und zu einem normalen medizinischen Eingriff zu machen. Die stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende, Katharina Andres, bestätigte dies in einem Interview der Tageszeitung Die Welt. Im Grunde müssten Abtreibungen auch im achten oder neunten Schwangerschaftsmonat noch möglich sein, kann man ihre Aussage dort interpretieren.

Es wird Zeit, dass diejenigen, die solcherlei bisher hinter vorgehaltener Hand politisch fordern, dies auch offen sagen. Nur dann kann eine Debatte über Abtreibungen ehrlich geführt werden, nur dann kann die SPD sich in der Sache selbst finden und die Frage beantworten, ob sie weiterhin koalitionsfähig ist. Wer weiterhin über Informationsfreiheit schwadroniert, diesen Kompromiss aber ablehnt, zeigt deutlich, um was es ihm oder ihr wirklich geht: Eine Abschaffung des Abtreibungsverbots in Deutschland. Dies befürchtete beispielsweise EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm schon länger. Doch in einer Welt ohne ein solches Verbot ist das, was Extra3 im Satireclip zeigt, möglicherweise gar nicht mehr allzu weit von der Realität entfernt.

Von: Anna Lutz

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