pro: Herr Bueb, Ihr Buch „Lob der Disziplin“ ist ein Bestseller. Seit dem Erscheinen sind Sie ein gern gesehener Gast in Talkshows, halten Vorträge vor Eltern und Lehrern. Doch „Lob der Disziplin“ hat Ihnen nicht nur Lob eingebracht – sondern auch heftige Schelte.
Bernhard Bueb: Das war abzusehen. Diejenigen, die mit praktischer Pädagogik zu tun haben, also Erzieher, Eltern und Lehrer, begrüßen das Buch. Von ihnen kommt viel Zustimmung. Gegenwind erhalte ich von den Theoretikern, vor allem den Erziehungswissenschaftlern. Mich erstaunt aber gleichzeitig, dass sich viele Jugendliche für das Buch interessieren und mich sogar einladen.
pro: Wie erklären Sie sich das?
Bueb: Jugendliche wünschen sich Erwachsene, die sich ihnen zuwenden und sie klar führen, die Autorität ausstrahlen und sagen, wo es lang geht. Außerdem sind junge Menschen historisch nicht so belastet wie wir älteren. Begriffe wie Disziplin, Gehorsam und Autorität ordnen sie nicht automatisch in einen historischen Zusammenhang. Das ist bei den Älteren anders. Dafür habe ich Verständnis, weil wir in diesem Zusammenhang einfach geschädigt sind.
Gratwanderung zwischen Liebe und Autorität
pro: Das haben Sie in ihrem Buch ja vorhergesehen. Dort schreiben Sie: „Die Werte und Tugenden, die das Herz der Pädagogik ausmachen, haben sich bis heute nicht vom Missbrauch durch den Nationalsozialismus erholt“. Sind Sie denn falsch verstanden worden?
Bueb: Es sind bisher wenige, die einen Bezug meiner Thesen zur Erziehung während des Nationalsozialismus herstellen. Ich habe diese Reaktionen tatsächlich befürchtet. Aber anzunehmen, dass jemand, der von Disziplin, Gehorsam oder Autorität spricht, nationalsozialistisches Gedankengut wiederbeleben möchte, ist töricht. Im Nationalsozialismus kam das Wort Liebe wohl niemals vor. Ich spreche von einer Gratwanderung zwischen Liebe und Autorität. Ich sage: Wir brauchen mehr Disziplin, aber mit Disziplin können wir nicht alles erreichen. Die Gegenseite prangert an, ich sähe in der Disziplin das Heilmittel für alle erzieherischen Probleme.
pro: Was daran liegen kann, dass ein Kapitel ihres Buches die Überschrift trägt: „Disziplin wirkt heilend“.
Bueb: Hier ging es unter anderem um das Beispiel von Helen Keller, die erst durch eine disziplinierte Förderung zu dem wurde, was sie als Erwachsene ausgemacht hat. Für die hilfreiche Auswirkung von Disziplin gibt es viele Beispiele. Wie oft werden verwahrloste Kinder als psychisch krank angesehen! Dabei fehlt es ihnen an klaren Grenzen und klarer Führung – verbunden mit liebender Zuneigung, die immer auch Orientierung gibt.
„Wie man mein Buch dermaßen missverstehen kann, ist mir schleierhaft.“
pro: Sie fordern eine Erziehung mit mehr Strenge, Disziplin und Unterordnung der Kinder unter die Erwachsenen. Dafür werden Sie vor allem von Erziehungswissenschaftlern in dem Gegenbuch „Vom Missbrauch der Disziplin“, das jetzt erschienen ist, scharf kritisiert. Wie begegnen Sie den Kritikern? Gab es einmal ein persönliches Gespräch?
Bueb: Die Kritiker versehen die Begriffe aus dem Buch mit negativen Beiworten: Sie sprechen davon, dass ich blinden Gehorsam, Kadavergehorsam und knallharte Disziplin fordere. Davon schreibe ich nichts. Wie man mein Buch dermaßen missverstehen kann, ist mir schleierhaft. Ich habe den Psychotherapeuten und Erziehungsberater Wolfgang Bergmann einmal in einer Fernseh-Talkrunde getroffen. Er reagierte recht aggressiv auf mich und konfrontierte mich mit Aussagen, die ich niemals gemacht habe. Viele Kritiker haben schlicht einzelne Aussagen meines Buches aus dem Zusammenhang gerissen – bauen darauf aber ihre Kritik auf.
pro: Sie schreiben, Disziplin in der Erziehung legitimiert sich nur durch Liebe zu den Kindern. Fehlt nicht in der Gesellschaft viel mehr Liebe als Disziplin?
Bueb: Die Liebe fehlt einerseits in hohem Maße, andererseits ist im Bürgertum die Auffassung verbreitet, dass es ausschließlich darauf ankommt, Kinder zu lieben. Man vergisst, dass Liebe selbst nur dann eine gute Wirkung hat, wenn sie mit hoher Selbstdisziplin verbunden wird. Wenn ich Kinder nur mit Liebe erziehe, erziehe ich sie zu Egoisten.
pro: Wir Deutschen sehen Ihrer Ansicht nach Kinder idealistisch. In Nachbarländern aber würden Kinder realistisch gesehen. Was meinen Sie damit?
Bueb: Wir neigen dazu, einer Idee von Kindern zu folgen, die an der Philosophie von Rousseau orientiert ist: Wir sehen nur das Gute in Kindern und glauben, man könne allein durch Einsicht erziehen. Angelsachsen etwa sind pragmatischer, sie wissen, dass Kinder äußere Ordnung brauchen, auch wenn sie den Sinn einer Ordnung nicht einsehen, weil sie liebenswerte Egoisten sein können. Christlich gesprochen: Wir sind eine „gefallene“ Natur, vereinigen Gutes und Böses in uns und müssen durch Erziehung gestärkt werden, das Gute zu tun und unser Böses zu zügeln.
Sind Kindervon Natur aus egoistisch und träge?
pro: Sie behaupten, Kinder seien von Natur aus egoistisch und träge. Schon ein Säugling setze sein Schreien als „kleine Tyrannei“ gegen die Eltern ein – worin Kritiker wieder eine Parallele zu Erziehungsratgebern des Nationalsozialismus sehen.
Bueb: Ich beziehe mich auf Augustinus, der beschreibt, wie sich zwei Milchbrüder um die Brust der Mutter balgen. Dabei ist ihnen jedes Mittel recht. Wenn Sie ein Kind ohne korrigierende Erziehung groß werden lassen, wird es ein unmoralischer Mensch, weil es seinen Egoismus auslebt und nur sich selbst als Maßstab betrachtet. Alles, was wir als Menschen erreichen, ist doch ein Ergebnis der Erziehung und dessen, was wir selber aus der Erziehung machen.
pro: In Bezug auf ältere Kinder mag das stimmen, aber ich würde nicht davon sprechen, dass ein Säugling seine Eltern tyrannisiert.
Bueb: Sie haben Recht, dies sollte eine Metapher sein. Natürlich hat das Baby keine Vorstellung davon, seine Eltern beherrschen zu wollen. Wenn ich das nochmals schreiben müsste, würde ich solche Sätze ändern. Meine Lektorin hatte mich gewarnt.
pro: Wie lässt sich die von ihnen vorausgesetzte Liebe zu den Kindern mit der geforderten Unterordnung vereinbaren?
Bueb: Unterordnung bedeutet nicht Unterwerfung. Ein Kind soll sich den Eltern unterordnen. Ich liebe ein Kind nicht wirklich, wenn ich ihm nicht den Weg zeige. Unterordnung ist kein Selbstzweck, sondern soll einem höheren Ziel dienen. Dieses müssen die Eltern definieren.
Kinder aus ihren Höhlen holen
pro: Erziehung müsse auch mit Zwang arbeiten, lautet eine Ihrer Thesen. Das hört sich hart an. Wie meinen Sie das genau?
Bueb: Ich nenne ein Beispiel: Wenn wir eine Konzertveranstaltung in der Schule haben und den Besuch freiwillig anbieten, wird nicht viel passieren. Die Kinder werden den Abend in ihren Zimmern verbringen. In der Pubertät haben Jugendliche diesen Drang, sich in ihre Höhlen zurückzuziehen. Wenn ich sie dort herausholen und ihnen Musik, Theater, Kultur näher bringen will, kann ich die Konzertveranstaltung nicht auf freiwillige Basis stellen. Also sage ich: Das ist eine Pflichtveranstaltung, ihr geht dahin!
pro: Manchmal muss man aber auch in der Erziehung Dinge aushandeln, oder nicht?
Bueb: Es gibt Bereiche, in denen das richtig ist. Beispielsweise im Familienurlaub: Meine Frau und ich wollten eine Kathedrale besichtigen, unsere Kinder wollten zu McDonalds. Darüber haben wir diskutiert – mit dem einfachen Ergebnis: Wir haben erst die Kathedrale besichtigt und sind danach zu McDonalds gegangen. Bei einem so unwichtigen Thema sind Diskussionen mit Kindern in Ordnung, denn sie haben ja auch etwas „Sportliches“.
pro: Gleichzeitig sagen Sie aber, dass Eltern gerade bei unwichtigen Themen nicht mit ihren Kindern diskutieren sollten.
Bueb: Mein Buch hat ja autobiografische Züge: Ich habe bei meinen Töchtern zu oft den Fehler gemacht, dass ich mich auf Diskussionen eingelassen habe. Es hat nichts gebracht. Ich werfe mir aber vor, dass ich mir nicht die Zeit genommen habe, anhand des Programms inhaltlich die Sendungen mit ihnen durchzusprechen. Das war ein Fehler. Man muss sich die Zeit nehmen, gemeinsam mit den Kindern einmal in der Woche das Fernseh-Programm durchzusehen und dann festlegen: Das dürft ihr sehen, diese Sendung nicht. Wie alle Erziehungs-angelegenheiten braucht das Zeit. Wenn man diese aber nicht aufwendet, hat man verloren.
pro: Sie sind also kein Fernsehfan?
Bueb: Nein, ganz und gar nicht. Ich schaue mir nie Spielfilme an, höchstens Dokumentationen. Ich bin der klassische bildungsbürgerliche Fernsehzuschauer. Ich brauche auch kein Privatfernsehen.
pro: In „Lob der Disziplin“ schreiben Sie auch, dass Ideen und Ideale ihre Kraft in der Gesellschaft verloren haben, dass Jugendliche ohne Orientierung und Korrektive aufwachsen. Dies begründen Sie auch mit dem Verlust der Religion. Was wünschen Sie sich von den Christen?
Bueb: Ich wünsche mir, dass Christen unverdrossen weiter die biblische Botschaft verkünden. Wir sollten den Mut haben, die Bibel als Fundament unserer Kultur und Moral anzuerkennen, auch wenn wir nicht glauben können. Ich orientiere mich am Beispiel von Juden, die sagen, man solle die Gebräuche pflegen, unabhängig vom subjektiven Glauben. Auf diese Weise würde jeder die Bibel kennen lernen, ohne gleich zum Glauben aufgefordert zu werden. Denn Glaube ist sowieso Gnade.
pro: Vielen Dank für das Gespräch!
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