Erziehung zum Atheismus?

Die Geschichten von Janosch gehören zu den beliebtesten Kinderbüchern – aber passen die Weltanschauungen des „frommen Ketzers“ in Kinderzimmer? Was, wenn in Geschichten, die Kinder gerne mögen, Werte vermittelt werden, die nicht mit dem eigenen Glauben übereinstimmen? pro ist der Frage nachgegangen, was in Kinderbüchern erlaubt ist und was nicht.
Von PRO

Der vierjährige Jakob hat das große Vorlese-Buch von Janosch geschenkt bekommen. Die Großmutter nimmt ihr Enkelkind auf den Schoß und beginnt vorzulesen. Doch dann gerät sie ins Stocken. In der ersten Geschichte des Buches geht es um den „Vogelmann“. Er fängt mit seinen Fallen Vögel, steckt sie in Käfige und verkauft sie an den Vogelhändler. Ob der Vogelmann sich in der Bibel auskennt? Jedenfalls zweifelt er an Jesu Versprechen, dass Gott die Vögel im Himmel ernährt, selbst wenn sie nicht säen und ernten.

Kurze Zeit später liest die Großmutter eine Stelle vor, in der es heißt, dass es freilich nicht wahr sei, „was da in der Bibel steht, denn Gottvater ernährt sie keineswegs. Sie müssen sich ihr Futter mühsam selber suchen, oft auch aus der Erde graben.“ Im Winter sorgten die Menschen durch ihr Futter und nicht Gott dafür, dass die Tiere überleben können. Der Vogelmann jedenfalls entgegnet jedem der gefangenen Vögel: „Seht ihr, nun ernährt euch Gottvater nimmer.“

Als es ihm gelingt, den Vogelkönig zu fangen, darf sich der Vogelmann einen lang ersehnten Wunsch erfüllen. Er möchte selbst Vogel sein, um zu erleben, ob ihn Gott ernährt. Kaum ausgesprochen, geht sein Wunsch in Erfüllung. Der Vogelmann verwandelt sich in einen Pinguin in der Wüste. Als dieser darauf wartet, dass Gottvater ihn ernährt, stirbt er. Der Autor Janosch beendet die Geschichte mit den Worten: „Wissenschaftlich erwiesen“.

Tigerente, Bär, Kastenfrosch – und bissige Karikaturen

Janosch, der mit bürgerlichem Namen Horst Eckert heißt, begeistert seit Generationen junge Menschen mit seinen Büchern und Geschichten. Er ist bekannt für Figuren wie Tiger und Bär oder Günter Kastenfrosch. Dass er Glaube und Religion kritisch sieht, daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht. „Katholisch geboren zu sein, ist der größte Unfall meines Lebens“, erklärte der Autor in einem Interview. Sein 2008 erschienenes „Tagebuch eines frommen Ketzers“ passt ins Bild.

Janoschs Position manifestiert sich auch in seinen Ehrenämtern: Für die atheistische Giordano-Bruno-Stiftung sitzt er im Beirat. Gegenüber dem Magazin Cicero bilanziert er im Rückblick auf seine Kindheit: „Wenn du nicht glaubst, was wir dir sagen, wenn du nicht tust, was wir dir sagen, dann kommt das Schlimmste, was nämlich nach dem Tod passiert.“ Janosch zog sich 1980 auf die Kanaren-Insel Teneriffa zurück, wo er heute noch lebt und vom vielen Trubel um seine Geschöpfe nicht viel mitbekommt. Seine Art und Weise, sich zu Wort zu melden, sind seine teils bissigen Karikaturen.

Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber hat Janosch einmal als „falschen Propheten“ bezeichnet, dessen antireligiösen Äußerungen auf keinen Fall Zugang in deutsche Kinderzimmer erlangen dürften. Janosch entgegnete dem Politiker in gewohnt ironischer Weise: „Ich habe mich unglaublich gefreut, von einem so enorm ‚schwergewichtlichen‘ Politiker wie Herrn Sträuber überhaupt wahrgenommen und damit wohl als bedeutend anerkannt zu werden.“ Nach der „herzlichen ministerpräsidialen Ermutigung“ werde er „noch engagierter in religiöser Richtung“ arbeiten.

Märchen kann, der Bibel muss man glauben

Für Janosch liegt der Fehler darin, dass Gott den Menschen nach „seinem Bild und Gleichnis schuf: Also ist Gott schuld. Das Beste wäre, es gäbe Gott nicht. Dann würde jetzt nicht ‚sein Wille‘ geschehen.“ Bei Märchen seien die Kinder im Gegensatz zu biblischen Geschichten nicht dazu „gezwungen“, sie zu glauben. Wenn Kinder zwölf Jahre alt sind, würden sie schon lange nicht mehr an Hänsel und Gretel glauben, an die Bibel müsse man dagegen ewig glauben.

Gehören solche Ansichten wie die von Janosch in Kinderbücher? „Die Freiheit, anders zu denken und zu veröffentlichen, und die Meinungsfreiheit sind hohe Güter, die es unbedingt zu schützen gilt“, meint Renate Reichenstein gegenüber pro. Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj) werde sich nur dann zu Publikationen äußern, wenn sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdeten.

„Vielfalt ausgesprochen wichtig“

Aus der breiten Palette der (Kinder-)Bücher entstehe das farbige und vielfältige Bild einer Gesellschaft. „Für die Entwicklung von Kindern ist gerade diese Vielfalt ausgesprochen wichtig. Denn nur, wer viel gelernt, gelesen, erzählt bekommen und erfahren hat, kann zu einem kritischen, aufgeschlossenen, verantwortungsbewussten Heranwachsenden werden.“ Anders sei dies in Russland, wo alle Kinderbücher den Zensurbehörden vorgelegt werden müssen. Die derzeitigen Richtlinien in Deutschland reichten vollkommen. „Man kann die Vielfalt nur wünschen, begrüßen und sorgfältig pflegen“, meint Reichenstein.

Falls Hinweise auf Bücher, die Kindern schaden könnten, auftauchen, nimmt sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien dieser Bücher an. Meistens prüft die dem Bundesfamilienministerium unterstellte Behörde auf Antrag eines Jugendamts, ob ein Buch, ein Film oder ein Computerspiel jugendgefährdende Inhalte hat. Privatpersonen dürfen solche Anträge nur über das Jugendamt stellen. Dazu gehören keine Meinungsverschiedenheiten in Glaubensfragen.

Eine Indizierung droht dem Medium bei Volksverhetzung, Anleitung zu Straftaten, Gewaltverherrlichung und -verharmlosung oder Pornographie sowie Inhalten, die Kinder oder Jugendliche in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung darstellen. Die Urheber oder Inhaber von Nutzungsrechten haben dann die Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Ausgenommen von einer Indizierung sind Medien, die eine Alterskennzeichnung durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) oder die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle erhalten haben. Ein zwölfköpfiges Gremium entscheidet endgültig darüber, ob ein Medium jugendgefährdend ist. Zu dem Gremium gehören Vertreter aus Jugendschutzeinrichtungen, aber auch der Kirchen. Für die Indizierung ist eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen notwendig.

Eine weitere Kontrollinstanz sieht Reichenstein in den Buchhändlern. Diese greife natürlich nur dann, wenn ein Buch im stationären Sortiment und nicht etwa über das Internet gekauft werde: „An der Kenntnis der Buchhändler, ihrem Selbstverständnis und Engagement ‚scheitern‘ alle die Bücher, die von ihnen nicht geschätzt und nicht gemocht werden. Wenn es dem Buchhändler nicht gefällt, kommt das Buch nicht in seinen Laden.“

Sie ist davon überzeugt, dass Deutschland seine Kinder wirkungsvoll vor tatsächlich jugendgefährdenden Medien schützt. Janosch gehört für sie nicht dazu: „Über Weltanschauungen kann man geteilter Meinungen sein. Das macht den Wert einer pluralistischen Gesellschaft aus. Und Toleranz ist ein hohes Gut. Das gilt für beide Seiten: die Gläubigen und die Nicht-Gläubigen.“ Das Buch „Oh wie schön ist Panama“ von Janosch vermittele mit seinen Themen wie Freundschaft, Neugier, Toleranz, Heimat und Geborgenheit viele positive Werte in einer einzigen Geschichte: „Seine Hochphase hat dieser Künstler leider hinter sich. Aber dieses Buch wird bleiben“, sagt Reichenstein. Jakobs Großmutter hat das neue Janosch-Buch trotzdem erst einmal beiseite gelegt. (pro)

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