Erstmals Genschere in menschlichen Embryonen angewandt

Die gentechnische Methode CRISPR/Cas9 ist dabei, die Biologie zu revolutionieren. Nun haben erstmals westliche Forscher auch an menschlichen Embryonen Experimente durchgeführt. Es geht vordergründig um die Heilung von Erbkrankheiten. Doch wann ist das Designen von Babys möglich und die Grenze der Ethik überschritten?
Von Jörn Schumacher
Die neue Gen-Schere CRISPR/Cas9 erlaubt immer neue Veränderungen am Genom – auch am menschlichen

Mit der Gen-Schere namens CRISPR/Cas9 können Forscher seit wenigen Jahren das Genom von Lebewesen zielgerichtet verändern. Das Verfahren gilt als präzise, simpel und günstig. Aber ist sie auch sicher? Seitdem die Forscherinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier das Verfahren vorstellten, arbeiten Wissenschaftler auf der ganzen Welt mit Hochdruck an völlig neuen Veränderungen des Genoms.

In Zukunft werden immer mehr Schlagzeilen aus den Laboren kommen, ebenso winken vielen Forschern Preise und Patente und damit satte Gewinne. Mit Hilfe von CRISPR/Cas9 konnte man bereits einen Champignon so verändern, dass er langsamer braun wird und länger in den Supermarktregalen liegen bleiben kann. Die US-Landwirtschaftsbehörde gab bereits grünes Licht dafür. Auch genmanipulierte Mücken, deren Nachkommen immun gegen Malaria sind, sind bereits möglich. Das könnte diese Krankheit stoppen. Ebenso sind Pflanzen denkbar, die „von Haus aus“ unempfindlich gegen Schädlinge sind.

Bisher fanden die meisten Versuche an Tieren und Pflanzen statt. Doch auch beim Menschen öffnet die neue Methode Tür und Tor für das Designen der DNA. Genetische Krankheiten könnten heilbar werden, aber auch andere Veränderungen sind denkbar. HIV-infizierte Mäuse konnten amerikanische Mediziner bereits von der Krankheit heilen, jedenfalls konnten sie aus mehr als 95 Prozent der infizierten Zellen das virale Erbgut eliminieren.

Doch die Begeisterung um CRISPR/Cas9 erlitt bereits erste Dämpfer. Der Forscher Stephen Tsang vom Columbia University Medical Center und seine Kollegen mahnten im Mai im Fachblatt Nature Methods: Die Methode könne offenbar doch zumindest in Einzelfällen viele bisher unbeachtete minimale, potenziell allerdings fatale Veränderungen im Erbgut verursachen. Das fanden sie heraus, nachdem sie das gesamte Erbgut von Versuchsmäusen vor und nach einem CRISPR-Einsatz verglichen. Bei zumindest zwei Tieren fielen zusätzlich nicht weniger als 1.500 scheinbar zufällig verstreute Basenmutationen und rund 100 größere Erbgut-Ummodellierungen auf, die das Computermodell nicht prognostiziert hatte.

Erbkrankheiten den Garaus machen

Ende Juli machte die Meldung die Runde, dass nach mehreren Versuchen 2015 in China nun auch amerikanische Genforscher CRISPR/Cas9 an menschlichen Embryonen angewandt haben. Diese Embryonen sind nicht lebensfähig, und sie werden nicht von einer Mutter ausgetragen. Aber dem Team um den Genforscher Shoukhrat Mitalipov von der Oregon Health and Science University gelang es, die menschlichen Organismen von nicht näher genannten genetischen Erkrankungen zu befreien. In Deutschland und vielen anderen Ländern sind derartige Versuche an Embryonen verboten, nicht jedoch in China und den USA.

Nur wenige Tage später, am 2. August, veröffentlichte ein Team um Hong Ma und Nuria Marti-Gutierrez von der Oregon Health & Science University in Portland einen Artikel im Fachmagazin Nature, der erneut für Furore sorgte. Darin berichten sie, dass auch sie Veränderungen am Genom menschlicher Embryos vorgenommen hätten. Sie injizierten die Gen-Schere zusammen mit einem Spermium direkt in die gerade entstehende Eizelle. Die Gen-Reparatur fand so in einem Teil der befruchteten Eizellen noch vor der ersten Teilung statt. Auf diese Weise behoben die Forscher ein bisher grundlegendes Problem von falschen Sequenzen, die auftraten, so genannte Off-Target-Effekte, also Erbgutschäden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Manipulation der Keimbahn in Zukunft beim Menschen tatsächlich möglich ist.

„Hype um Genome-Editing“

Peter Dabrock, Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, stellte laut einem Bericht der Zeitung Die Zeit fest: „Der Hype um das Genome-Editing scheint das ganze Komplexitätsdenken der Systembiologie, das zur Vorsicht mahnt, in den Hintergrund gedrängt zu haben.“ Er hält die Versuche aus Portland für „unverantwortlich“ und kritisierte, „wie unter Abblendung zahlreicher weiterhin ungelöster biologischer Risiken der Eindruck erweckt wird, wir könnten, ja sollten, bald Keimbahninterventionen vornehmen“.

Der Erlanger Theologe warnt laut evangelisch.de: „Wer hier nicht nahezu hundertprozentige Sicherheit garantieren kann, führt unverantwortliche Versuche an menschlichem Leben durch.“ Und weiter: „Nur um die Ersten zu sein, scheinen Labore nicht mehr nur in China, sondern auch in den USA oder in England keine Grenze mehr zu kennen.“ Dabrock wünsche sich, „dass die Vereinten Nationen eine Resolution beschließen, dass zumindest die Implantation genmanipulierter Embryonen so lange verboten bleiben muss, bis dadurch verursachte Gesundheitsrisiken ausgeschlossen werden können.“

Längst habe sich die Einstellung zu CRISPR/Cas9 geändert: „Gab es nach der ersten chinesischen Studie vor zwei Jahren noch einen nahezu einhelligen Konsens, wenigstens auf die Implantation genmanipulierter Embryonen verzichten zu wollen, scheint man heute nur noch um den Zeitraum zu streiten, wann es so weit sei.“

Bei einem Treffen des Deutschen Ethikrates in Berlin im Juni vergangenen Jahres sagte Dabrock: „CRISPR/Cas9 hat das Zeug, wie ein Gespenst zu wirken.“ Das Verfahren bringe eine Revolution der Denk- und Handlungsart mit sich. Einerseits stelle die Vernichtung einer Spezies – wie etwa einer Mückenart – einen massiven Eingriff in das Ökosystem dar, andererseits forderten Malaria und Zika noch immer hunderttausende Opfer. Das Verfahren eröffne Möglichkeiten zur Behandlung genetischer Erkrankungen oder die Entwicklung neuer Krebsmedikamente. Man dürfe sich der Frage nach der Ethik der neuen Technik jedoch nicht verschließen. Die Welt der jüngeren Generation werde eine „CRISPR-geprägte Welt“ sein, konstatierte Dabrock.

Alt-Bischof Huber rät vom Eingriff in die Keimbahn ab

„Was sind die nächsten Mauern, die fallen?“, fragte Alt-Bischof Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, bei dem Treffen des Deutschen Ethikrates im Jahr 2016. In populären Darstellungen sei von einem „Gotteswerkzeug“, oder einer „Zauberschere“ die Rede. Huber sagte: „Was die einen als Gotteswerkzeug preisen, kritisieren die anderen als den vermessen Versuch, Gott zu spielen.“ Beide Sichtweisen hielt Huber für verfehlt. Der kritische Zugang zur Diskussion über neue Entdeckungen dürfe weder blockiert noch erschwert werden. Die Ethik sei „gut beraten, den Weg des Abwägens zu gehen“, nach Chancen und Risiken zu fragen.

Huber fuhr fort: „Auch die Rasanz der eigenen Entdeckungen sollte Wissenschaftler nicht davon abbringen, nach dem Bild vom Menschen zu fragen, an dem sie sich orientieren und die Ziele zu reflektieren, für die ihre Entdeckungen eingesetzt werden sollen – oder eben nicht.“ Huber plädierte dafür, die Grenzen des Machbaren und Möglichen in einer öffentlichen Diskussion zu führen. Bei der Gentechnik gelte es, Moral und Ethik zu unterscheiden. Mögliche genetische Eingriffe an Körperzellen zur Therapie sollten weiter erforscht und gefördert werden, „von weitergehenden Eingriffen“ in die menschliche Keimbahn riet Huber ab. (pro)

Von: js

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