Sonntag ist Wettkampftag? Nicht so für Eric Liddell. Der schottische Sprinter weigerte sich bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris an den Vorläufen über die 100 Meter – seiner Paradedisziplin – teilzunehmen. Der Mitfavorit auf olympisches Edelmetall begründete den Verzicht mit seinem christlichen Glauben. Er nehme weder sonntags noch an christlichen Feiertagen an Wettkämpfen teil.
Stattdessen wich er auf die 400 Meter aus, eine aus heutiger Sicht für Sprinter völlig andere Disziplin, und gewann Gold in der Weltrekordzeit von 47,6 Sekunden. Über die 200-Meter-Strecke sicherte er sich zudem die Bronzemedaille. Eine weitere Medaille entging dem Mann mit dem unorthodoxen Laufstil in der 4-x-400-Meter-Staffel. Dort sicherten sich die Briten – an einem Sonntag – den dritten Rang. Als der Wettkampf über 100 Meter entschieden wurde, soll der „fliegende Pastor“ in einer schottischen Kirche in Paris gepredigt haben.
Rugby-Nationalspieler und Missionar
Liddell wurde 1902 in China geboren, wo seine Eltern als Missionare tätig waren. Mit sechs Jahren schickten sie ihn auf ein Internat für Missionarskinder in London. Dort wurde sein sportliches Talent erkannt. Liddell war nicht nur ein erfolgreicher Rugby- und Cricketspieler, auch bei nationalen Leichtathletik-Wettkämpfen feierte er Erfolge.
Im Anschluss an sein Studium in Edinburgh, in dessen Zeit er auch Mitglied der schottischen Rugby-Nationalmannschaft war, kehrte er 1925 nach China zurück und arbeitet dort als Missionar. Er unterrichtete zunächst an einer Schule für wohlhabende chinesische Schüler und leitete die Sonntagsschule der Union Church, in der sein Vater Pastor war.
Nach Schottland kehrte er nur noch zweimal zurück: 1932 als Pfarrer der Congregational Union of Scotland und 1934, als er die Kanadierin Florence Mackenzie, die ebenfalls aus einer Familie von Missionaren stammte, heiratete. Das Paar bekam drei Töchter.
Mutmacher im Internierungslager
An sportlichen Wettkämpfen nahm Liddell nur noch sporadisch teil. Als 1937 der zweite japanisch-chinesische Krieg ausbrach, verschärfte sich die Situation für Ausländer in China. 1941 riet die britische Regierung ihren Bürgern, das Land zu verlassen. Liddells Frau und die Töchter gingen nach Kanada, er selbst trat eine Stelle in einer ländlichen Missionsstation in Xiaozhang an.
Dort kümmerte er sich um die armen Menschen in der Gesellschaft. 1943 landete er gemeinsam mit anderen chinesischen Missionaren in einem Internierungslager. Er sorgte dort vor allem für ältere Menschen, unterrichtete aber auch Kinder und sprach anderen Mithäftlingen Mut zu. Liddell starb im Februar 1945 – fünf Monate vor der Befreiung – in dem Lager an den Folgen eines Hirntumors.
Seine Geschichte wurde in Filmen und Serien rezipiert. Der bekannteste Film ist „Chariots of Fire“, der sogar einen Oscar bekam. Auch in der Filmreihe „The Torchlighters: Heroes of the Faith“ (Helden des Glaubens) wird seine Lebensgeschichte geschildert. Als der Schotte Allan Wells 1980 in Moskau Gold gewann, widmete er die Medaille Liddell. Dieser ist seit 2002, als er zum beliebtesten Sportler Schottlands gewählt wurde, Mitglied der schottischen Hall of Fame.
Erst kein Wettkampf, dann kein Glaube
Doch Liddell ist nicht der einzige Sportler, der wegen seines christlichen Glaubens auf Wettkämpfe am Sonntag verzichtete. Auch der britische Dreispringer Jonathan Edwards weigerte sich. Dadurch verpasste er die Chance zur Teilnahme an der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 1991 in Tokio. Geprägt wurde Edwards Haltung jedoch maßgeblich durch seinen Vater. Erst nach langer Diskussion mit ihm nahm er auch sonntags an Wettkämpfen teil. Er wollte das von Gott geschenkte Talent nicht verstecken. In seiner Karriere gewann Edwards olympisches Gold und mehrfach Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften.
Nach einer Verletzung musste Edwards seine Karriere schließlich 2003 beenden. In den folgenden Jahren moderierte er eine TV-Show, in der christliche Lieder präsentiert wurden. Heute hat sich Edwards jedoch vom christlichen Glauben abgewendet. In einem Interview erklärte er, dass der Leistungssport ihm keine Zeit gelassen habe, Zweifel zuzulassen. Diese seien aber nach dem Karriereende umso heftiger gekommen.