Für 81 Prozent der US-Bürger ist Religion "sehr" (55 Prozent) oder "ziemlich wichtig" (26 Prozent), ermittelte das Umfrageinstitut "Gallup" im Jahr 2011. Nur 19 Prozent bezeichneten Religion als "nicht sehr wichtig" für ihr eigenes Leben. Diese Übermacht gläubiger, zumeist christlicher Amerikaner schließt aus, dass eine der beiden Parteien auf Distanz zu religiösen Themen gehen könnte. Republikanische wie demokratische Politiker beschließen ihre Reden ganz selbstverständlich mit dem erstaunlich selten formelhaft wirkenden "God bless America".
Religiöse Strömungen lassen sich durchaus zuordnen
Die meisten religiösen Strömungen lassen sich durchaus politisch zuordnen. Der Protestantismus dominiert weiterhin im weißen Mittelklasse-Amerika, und seine männlichen und weißen Vertreter wählen zu rund zwei Dritteln republikanisch; die konservativen Evangelikalen sind dabei die verlässlichste Klientel der "Grand Old Party". Der Katholizismus wurde spätestens mit der Kennedy-Ära ein anerkannter Faktor der amerikanischen Politik, und inzwischen bildet er eine Art Mikrokosmos mit einem linken und rechten Flügel und der frohen Botschaft, dass, wer die Mehrheit dieser Gruppierung gewinnt, bei den Wahlen obsiegt.
Die Juden wählen erfahrungsgemäß in klarer Mehrheit die Demokraten, werden aber in Zeiten massiver Rückschläge im nahöstlichen Friedensprozess auch von den Republikanern stark umworben. Muslime haben seit 9/11 mit öffentlichen Anfeindungen zu kämpfen und auf einen Sikh-Tempel gab es in diesem Sommer den Anschlag eines "white Supremacist" eines von der Überlegenheit der "weißen Rasse" überzeugten Rechtsradikalen, der offenkundig die Kopfbedeckung der beiden Religionsgruppen verwechselte. Doch das war ein Einzelfall.
Wie groß auch immer das Misstrauen gegenüber speziellen Minderheiten ist, im Zweifel ist den zumeist toleranten Amerikanern ein bekennender Atheist noch fremder als der Angehörige einer kleinen Kirche oder Sekte. Für beide Kandidaten bedeutet dieser hohe Stellenwert des Religiösen eine besondere Herausforderung. Denn Barack Obama, der sich zum christlichen Glauben bekennt, verunsichert viele Amerikaner schon durch seinen zweiten Vornamen "Hussein". Zudem war sein afrikanischer Vater ein Muslim, bevor er zum Atheisten wurde. Barack Obama selbst verbrachte Teile seiner Kindheit im muslimischen Indonesien.
Vielen christlichen Landsleuten suspekt
Mitt Romney hingegen ist als Mormone vielen christlichen Landsleuten suspekt. Und der konservative Flügel seiner Partei lässt sich kaum durch Zitate des einstigen demokratischen Präsidenten Jimmy Carter beeindrucken. Carter, der erste Evangelikale im Weißen Haus, befand 1997, Mormonen seien "bereits Christen". Der einstige Sonntagsschul-Lehrer aus Georgia kritisierte seine Baptistenkirche, die Southern Baptist Convention (der er 2009 den Rücken kehren sollte), weil sie "so wie die Pharisäer" definieren wollen, "wer in den Augen Gottes als akzeptabel und wer als nicht akzeptabel betrachtet werden kann". Um derartigem Misstrauen entgegen zu wirken, lassen sich beide Präsidentschaftskandidaten jenseits der Hauptlinien ihrer Kampagnen sehr bewusst auf das Thema Religion ein.
So erklärte Obama im Juli zur Bedeutung des Glaubens für sein Leben: "Zuerst und vor allem gibt mir mein christlicher Glaube eine Perspektive und Sicherheit, die ich ohne ihn mutmaßlich nicht hätte: Dass ich geliebt werde. Dass, am Ende des Tages, Gott entscheidet – und meine wichtigste Verantwortung die ist, Gott zu lieben mit meinem ganzen Herzen, meiner Seele und meinem Verstand, und meinen Nächsten so zu lieben wie mich selbst."
Mitt Romney äußerte sich im September über den Einfluss der Religion auf seine Persönlichkeit so: "Ich bin überzeugt, dass mein Hintergrund, mein Erbe und mein Glaube mich zu einem großen Teil zu dem Menschen gemacht haben, der ich bin. Die jüdisch-christliche Ethik, mit der ich aufwuchs, das Gefühl der Verpflichtung den Mitmenschen gegenüber und die absolute Überzeugung, dass wir alle Söhne und Töchter desselben Gottes sind und darum zu einer Familie gehören, ist einer der Gründe für das, was ich tue."
Doch trotz ähnlich klingender Zitate gibt es gewichtige Unterschiede beim Umgang des linken und des rechten Lagers mit der Religion. In einem Land, in dem man nach einem anerkannten Bonmot jede Dinnerparty mit einem Gespräch über Politik oder über Religion sprengt, bemühen sich die Demokraten, den Glauben strikt auf die Privatsphäre zu begrenzen, und erschrecken dann, wenn ihnen Gottesferne vorgehalten wird. (pro)
Ansgar Graw, geb. 1961 in Essen und aufgewachsen im Kreis Düren, berichtet als Senior Political Correspondent für die "Welt", "Welt am Sonntag", "Berliner Morgenpost" und das "Hamburger Abendblatt" seit 2009 aus Washington D.C. Der studierte Geschichts- und Politikwissenschaftler ist seit 1998 bei der "Welt" und war zuvor unter anderem als Ressortleiter Medien, stellvertretender Ressortleiter Innenpolitik und Parlamentskorrespondent in Berlin tätig. Graw ist verheiratet und Vater einer Tochter.
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