Am Ende des Gottesdienstes in einer Kirche in einer hessischen Stadt plaudern einige Besucher noch bei Kaffee, Tee und Keksen miteinander. Auch Daniel Dehghan ist dabei. Der gebürtige Iraner geht fast jeden Sonntag in den evangelischen Gottesdienst, meist sitzt er in einer der letzten Reihen. Im August vergangenen Jahres hat er sich hier taufen lassen. Der 29-Jährige genießt die Freiheit in Deutschland. „Freiheit ist wichtiger als Geld und Essen“, sagt er. „Wirklich!“
Vor gut einem Jahr ist der Journalist aus seinem Heimatland geflohen. Freiheit gibt es in der islamischen Republik Iran nicht. Der Iran ist eine totalitäre religiöse Diktatur und ein Folterstaat. „Die Menschen leben immer unter Druck, islamische Regeln einhalten zu müssen oder bestraft zu werden“, sagt Dehghan. Der Staat reguliert das Alltagsleben seiner Bevölkerung nach islamischen Gesetzen bis ins Private hinein.
Wer Alkohol trinkt und dabei erwischt wird, wird mit Peitschenhieben bestraft, mehrfache Wiederholungstäter im schlimmsten Fall hingerichtet. Frauen müssen ihr Haar komplett verhüllen, Mann und Frau dürfen nicht unverheiratet zusammenleben, küssen dürfen sie sich in der Öffentlichkeit erst recht nicht. Als Dehghan und seine damalige Freundin sich einmal auf der Straße küssten, haben Anwohner die Polizei gerufen.
Es ist verboten, andere Sender als einen der staatlichen zu empfangen. Und wer nicht Muslim ist, hat im Iran ohnehin nichts zu lachen, auch wenn Christen, Juden und Zoroasten offiziell anerkannte Minderheiten sind. Christen dürfen sich zum Beispiel nicht in Hauskreisen treffen, das Regime lässt solche potenziellen Keimzellen des Widerstandes nicht zu. Die christlichen Parlamentsabgeordneten hätten diese Posten nur symbolisch, ist sich Dehghan sicher. Einfluss hätten sie nicht.
Atheisten und Konvertiten verfolgt der Staat
Dehghan war kein Muslim, er war religionslos. Gewusst hat das in seiner Heimat keiner. „Es hat niemand gefragt und ich habe den Mund gehalten, sonst wäre es schwierig geworden.“ Max Klingberg von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) erklärt: „Atheisten haben es neben den Konvertiten im Iran am schwersten. Sie werden verfolgt, besonders, wenn sie nach außen aktiv werden und andere auffordern, den Islam zu hinterfragen.“
Dazu muss man wissen, dass der Iran seit der Revolution 1979, die zum Sturz des Schahs führte, eine theokratische Republik ist. Klingberg erklärt: „Die islamischen Geistlichen haben sich den Staat selbst auf den Leib geschneidert.“ So muss beispielsweise der Leiter des Geheimdienstes ein islamischer Geistlicher sein. Der mächtigste Mann im Staat ist der geistliche Führer, Ajatollah Chamenei. Mit religiöser Legitimierung hat er fast uneingeschränkte Macht, definiert die Politik des Staates, überwacht deren Ausführung, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ernennt den obersten Richter, Staatsanwalt und Ordnungskräfte.
Kurz: Der Islam ist das Fundament der Herrschaft, mit der die islamischen Geistlichen weltliche Macht ausüben.
Keine freie Presse geduldet
Indem sie den Islam in Frage stellen, rütteln Atheisten an diesem Fundament. Atheisten oder auch Christen, die missionarisch aktiv werden, sind die schlimmste Gefahr für die eigene Macht. Denn sie verbreiten ihre (regierungskritische) Botschaft und tragen sie nach außen. Aus demselben Grund duldet die geistliche Führung auch keine freie Presse. Eine unabhängige Presse, die sich gegen Korruption und Alleinherrschaft wendet und die Regierenden kontrolliert, ist unverzichtbar für eine Demokratie. Eine Regierung, die dominieren will, duldet solche „Angriffe“ auf ihre autoritäre Herrschaft nicht.
Da ist der Iran kein Einzelfall. Sei es Recep Tayyip Erdogan in der Türkei, der seit dem Putschversuch im Juli 2016 hart durchgegriffen und rund 775 Presseausweise annulliert und mehr als 100 Journalisten verhaftet hat. Oder sei es der russische Staatschef Wladimir Putin, unter dessen Regime Oppositionelle, vor allem auch Journalisten, totgeprügelt werden.
In der iranischen Verfassung steht: Die Medien dienen dazu, die islamische Kultur und den Kurs der Islamischen Revolution zu verbreiten; sie sollen streng davon Abstand nehmen, anti-islamische Inhalte weiterzugeben. Unter dieser Bedingung gewährt die Verfassung auch Pressefreiheit. Was das bedeutet, hat Daniel Dehghan in seinem Beruf erfahren.
„Kein Ziegel am Bau des Systems sein“
Er arbeitete für eine Nachrichtenagentur des Justizministeriums. Dort schrieb er vor allem über wirtschaftliche Themen. Kritisch über den Islam oder die Regierung zu berichten, konnte den Tod bedeuten. Manchmal wurden seine Artikel oder Sätze daraus gelöscht. Einmal schrieb er einen kritischen Text darüber, wie viel Geld iranische Muslime dafür ausgeben, um nach Mekka zu pilgern, sieben Runden um die Kaaba, das islamische Heiligtum, zu laufen – wie es die Pflicht jedes frommen Muslims ist – und teure Souvenirs mitzubringen. „Sie reisen ja nicht, um sich das Land anzuschauen, sie laufen dort um ein Bauwerk. Das hat doch keine Bedeutung.“
Sein Chef drohte ihm: Es sei leicht, ihm ein Verfahren anzuhängen und ihm zum Beispiel vorzuwerfen, Propaganda gegen das Regime und den Islam zu betreiben oder Kontakt mit ausländischen Journalisten zu haben – auch das ist verboten, es gilt als Spionage und kann mit dem Tod bestraft werden.
„Pressefreiheit bedeutet für mich, dass die Presse ein Spiegel der Gesellschaft ist und diese unvoreingenommen und ohne Zensur reflektiert.“
Hatte er Angst? „Natürlich“, sagt er, in einem Ton, als wolle er fragen, wie man das in Zweifel ziehen könne. „Ich habe gesagt: Okay, ich akzeptiere alles. Aber in meinem Herzen habe ich mich anders entschieden.“ Als Journalist, erklärt er, müsse man den staatlichen Vorgaben folgen. Eine freie oder private Presse gibt es im Iran nicht. Die Medien sind in staatlicher Hand oder werden von dieser kontrolliert. Wird der Eigentümer finanziell unter Druck gesetzt, ändert sich auch der Ton des Mediums ruckzuck hin zu einem handzahmen Staatsorgan.
Das wollte Dehghan irgendwann nicht mehr mitmachen, er wollte kein „Ziegel am Bau des Systems“ mehr sein, wie er sagt. „Der Staat gibt alles vor. Aber ich will selber entscheiden, wie ich mein Leben lebe.“ Er floh nach Frankreich, von dort kam er nach Deutschland und hat hier Asyl bekommen. Er schreibt jetzt hin und wieder Analysen und Berichte für die Online-Magazine „Voice of Iranian Christians“ und „Kayhan London“. Sie arbeiten außerhalb des Iran. In seinem Heimatland sind sie verboten.
Facebook ist verboten – nur nicht den Herrschenden
Kontakt zu Journalisten im Iran darf Dehghan nicht haben, das wäre für sie zu gefährlich. Dreien seiner Arbeitskollegen, mit denen er in der Nachrichtenagentur zusammengearbeitet hatte, wurde mittlerweile gekündigt. Dehghan vermutet, dass das etwas mit seinem Verschwinden zu tun hat.
Auf Facebook ist er mit einigen früheren Kollegen befreundet, obwohl das Netzwerk im Iran verboten ist, genauso wie Twitter. „Es gibt im Iran immer wieder medienwirksame Zerstörungen von Satellitenschüsseln“, erzählt Max Klingberg. Allerdings sei Teheran trotzdem voll von ihnen. Genauso ist es mit Facebook: Das Netzwerk sei „vom Satan“, aber Chamenei hat ein eigenes Konto mit fast 170.000 Followern. Weil es ihnen offiziell nicht erlaubt ist, nutzen die Bürger einen verschlüsselten Zugang über das Tor-Netzwerk, um die Sperre zu umgehen. Das Bildungsniveau im Iran ist hoch, der Eifer, die staatlichen Filter zu umgehen, auch.
„Denken ist gefährlich im Iran“, sagt Dehghan. Alle müssten die Regeln befolgen, wer sie hinterfragt, bekommt Probleme. Die führenden Politiker haben Angst vor Journalisten, vor Berichten über Reformer oder gegen den Islam, weil sie das System destabilisieren und ihre eigene Macht untergraben könnten. Auch viele Universitätsprofessoren säßen im Gefängnis, sagt Dehghan.
Selbstzensur und Islamkritik
Dehghan hat es im Iran gelernt, sich selbst zu zensieren. „Es gibt eine rote Linie, was man sagen kann und was nicht. Aber niemand weiß genau, wo sie verläuft. Man muss jederzeit auf alles vorbereitet sein.“ Symptomatisch seine erste Gegenfrage im Gespräch: „Darf ich alles sagen? Auch etwas Kritisches über den Islam?“ Ja, lautet die Antwort, und er legt los: Er möchte die Menschen in Deutschland warnen vor dem Islam, der den Menschen die Freiheit nimmt. Er glaubt, dass die Deutschen zu wenig darüber wissen.
Dass er hier auf so viele Muslime stieß, hat ihn überrascht. „Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich vom Islam weg wollte“, sagt er. Die islamischen Regeln seien ein Feind der Freiheit und der Menschenwürde. Er hat kein Verständnis dafür, dass Muslime, die nach Deutschland kommen, fordern, dass hier die Regeln und Vorschriften akzeptiert werden wie in ihrem Heimatland – kein Schweinefleisch essen, Kopftuch tragen, Sonderregeln beim Schwimmunterricht, Kinderehen, Polygamie. „Das geht nicht. Sie hätten in ein muslimisches Land gehen können, nach Saudi-Arabien oder in die Emirate. Warum sind sie hier?“
Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland besuchteDehghan eine Freikirche. „Da habe ich den riesigen Unterschied zwischen Islam und Christentum gesehen. Ich konnte wieder atmen.“ Der Islam nahm ihm seine Freiheit, durch Christus bekommt er sie geschenkt. (pro)
Von: str/jst