Die Psychologin Julia von Weiler sieht das Dilemma, dass Eltern ihre Kinder in der digitalen Welt häufig im Stich lassen. Einerseits würden Eltern ihre Kinder „überbehüten“, andererseits hätten diese in der digitalen Welt viel Spielraum, sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Sie ist Geschäftsführerin von „Innocence in Danger“, dem deutschen Zweig eines Netzwerks gegen Missbrauch.
In ihren Kursen hätten ihr schon Drittklässler von Pornos erzählt. Sie beobachte, dass „wir den Alltag in einer Selbstverständlichkeit“ sexualisieren. Vor allem im digitalen Raum müssten Grenzen gesetzt werden. Von Weiler plädiert für eine rote Linie, damit Kinder nicht überall sexualisierte Werbung sehen. Viele Erwachsene hätten jedoch Sorge, ein Stück ihrer „schier grenzenlosen Freiheit“ für den Schutz von Kindern und Jugendlichen aufgeben zu müssen.
Häufig falsche Annahmen
Auch, wenn es keinen hundertprozentigen Schutz gebe, müssten sich Erwachsene klarmachen, „was Kinder in welchem Alter können“. Von Weiler betonte, dass auch Kinder, die digitale Anwendungen beherrschten, immer noch Kinder seien. Die Erwachsenenwelt blicke häufig mit falschen Annahmen oder Unwissen auf die Welt der Kinder und Jugendlichen. Schwierig sei es auch, auf der einen Seite sexualisierte Inhalte überall zuzulassen, aber andererseits den Konsum von Pornografie zu verurteilen. Vor allem Jungs schwiegen lieber, als über ihr Unwohlsein zu sprechen.
„Die digitale Pubertät findet im Vakuum statt“, betont von Weiler. Mädchen und Jungen fehlten Ansprechpartner und geschützte Räume, um über Tabus zu reden, „in einer Welt, in der es scheinbar keine Tabus mehr geben darf“. Kinder sollten lernen, dass Sexualität etwas Tolles sei, bei „der Gewalt und Pornoposen nichts verloren haben“. Auch beim Thema Sexting zum Beispiel, dem Versenden intimer Bilder oder Filme, sei die Gesellschaft zu „blauäugig, zu faul, zu wenig interessiert, um den Problemen der Jugendlichen etwas entgegenzusetzen.“
Jugendliche begleiten und beschützen
Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) erlebten Jugendliche es unter anderem „als verordnet, wie einen kollektiven Zwang“, online sein zu müssen. Ein Drittel der Befragten sagt, dass sie sich digital nicht mehr mitteilen, „weil die Verletzungs- und Verrohungskultur im Netz ihnen so wehtut, dass sie verstummen“.
Aufgabe der Erwachsenen müsse es sein, die Heranwachsenden zu begleiten und zu beschützen: „Man nennt das Erziehung und Schule.“ Viele Jugendliche würden ihren kleinen Geschwistern raten, in Soziale Medien zu „gehen“. Neben Jugendlichen, Eltern und Lehrern bräuchte vor allem die Politik Nachhilfe: „Ich bin immer noch fassungslos und erschüttert, wie viel Naivität mir dort begegnet.“
Von: Johannes Blöcher-Weil