pro: Seit Juni sammeln Sie Spenden für das House of One, ein gemeinsames Lehr- und Gebetshaus für Christen, Muslime und Juden. Innerhalb von sechs Wochen haben gerade einmal 529 Menschen gespendet. Sie brauchen 10 Millionen Euro für die erste Bauphase, derzeit hätten sie nicht einmal ein Prozent davon. Glauben Sie wirklich, dass Sie es schaffen?
Imam Kadir Sanci: Wir müssen die Menschen davon überzeugen, dass das House of One wichtig ist. Viele warten mit dem Spenden derzeit wohl noch ab. Darauf müssen wir reagieren. Aber grundsätzlich habe ich Hoffnung, dass das gut funktionieren kann, wenn wir unsere Strategie noch ein wenig verfeinern. Immerhin bekommen wir Spenden aus der ganzen Welt. Für uns ist das Ganze übrigens schon jetzt eine Erfolgsgeschichte. Weil wir als Juden, Christen und Muslime seit vier Jahren zusammenarbeiten – und Freunde geworden sind.
Pfarrer Gregor Hohberg: Es könnte natürlich mehr Geld sein. Aber das Crowdfunding ist ja nur ein Teil dessen, was wir tun. Derzeit erreichen uns mehr Anfragen, das Projekt in Schulen, Firmen oder Gemeinden vorzustellen, als wir wahrnehmen können. Dieser Dialog ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Außerdem waren die bisherigen Pressereaktionen überwältigend. Wir glauben, dass das auch etwas mit der aggressiven religiösen Stimmung, die derzeit weltweit herrscht, zu tun hat. Wir sind ein Gegenpol. Die Sehnsucht nach einem guten Miteinander der Religionen ist groß. Wir müssen nun noch einen Weg finden, dieses Interesse in Spendertätigkeit umzumünzen.
pro: Was, wenn absehbar wird, dass es nicht funktioniert? Könnte ein gemeinsames Lehrhaus nicht auch in kleinerem Stil erreichtet werden? Sie wollen immerhin insgesamt 41 Millionen dafür ausgeben …
Pfarrer Gregor Hohberg: Die Architektur spielt für uns eine große Rolle. Das Bauwerk ist hochsymbolisch. Unsere Idee wird dadurch manifest: Jeder hat seinen eigenen Gebetsraum, getrennt voneinander, um zu zeigen, dass wir die Religionen nicht vermischen wollen. Zugleich gibt es den Willen zum Miteinander. Das zeigt sich darin, dass wir unter einem Dach sind und einen vierten Raum haben, in dem wir uns kennenlernen und austauschen. Deshalb wollen wir an dem Bauwerk, wie wir es geplant haben, festhalten.
pro: Folglich bleiben die Religionen ja doch getrennt voneinander. Warum also überhaupt ein gemeinsames Haus? Kirchen, Moscheen und Synagogen in direkter Nachbarschaft findet man in Berlin doch an jeder Ecke …
Imam Kadir Sanci: Sie haben Recht. Aber um ein Bild zu benutzen: Unser Haus ist für mich ein wenig wie eine WG. Wir leben zusammen. Jeder hat sein Zimmer, aber es gibt die Küche, in der man sich trifft und Gemeinschaft hat. Wir wollen hier keine neue Religion schaffen oder uns vermischen. Wir sind unterschiedlich, gehören aber zusammen. Das ist unser Ansatz.
Pfarrer Gregor Hohberg: In einer WG trägt man ja auch Verantwortung für die gemeinsame Wohnung. Auch für die Räume, die nicht die eigenen sind. So ist das bei uns auch. Das unterscheidet uns von den Situationen, die sich zufällig im Stadtbild ergeben. Wir planen das ganze gemeinsam. Verantworten es gemeinsam. Und bespielen es gemeinsam.
pro: Beten Sie in Ihrem Haus eigentlich zu einem oder zu unterschiedlichen Göttern?
Imam Kadir Sanci: Wir Muslime haben es da leicht. Wir liegen in der Tradition der abrahamitischen Religionen. Im Koran geht es auch um Jesus, Abraham oder Moses. Es ist für uns deshalb nicht schwierig, zu sagen, es ist ein und derselbe Gott. Im Laufe der Geschichte haben sich die Wahrnehmungen immer wieder geändert. Der Koran und die Tradition des Propheten Muhammed lehrt uns ein anderes Gottesverständnis als im Christentum. Das macht ihn aber nicht zu einem anderen.
Pfarrer Gregor Hohberg: Der Islam steht zum Christentum wie das Christentum zum Judentum. Die eine Tradition ist aus der anderen hervorgegangen. Uns Christen fällt es deshalb ebenfalls nicht schwer, zu sagen, wir glauben an denselben Gott wie die Juden. Juden hingegen macht der Gedanke vielleicht nervös, weil bei uns die Komponente Jesus Christus hinzukommt, an den erstere nicht glauben. So verhält es sich auch mit dem Islam und dem Christentum. Kadir kann sagen: Es ist derselbe Gott. Ich kann das nicht. Ich sage stattdessen: Ja, es gibt nur einen Gott. Und es gibt viele Punkte, an denen muslimischer und christlicher Glaube sich ähneln. Aber es gibt eben auch Unterschiede. Die Person Jesus Christus ist für uns eine Schlüsselfigur, die wir sehr nahe zu Gott denken. Das ist bei den Muslimen nicht so. An dieser Stelle können wir im Dialog aber respektvoll Halt machen.
pro: Und dennoch haben zumindest Sie, Pfarrer Hohberg, doch so etwas wie einen biblischen Missionsbefehl. Ignorieren Sie den?
Pfarrer Gregor Hohberg: Nein. Mission ist für mich das Werben für die Schönheit eines Lebenskonzeptes. Das tue ich, indem ich meinen Glauben lebe. Die Menschen, die auf der Suche sind, müssen ihren Weg finden, auch wenn sie drei unterschiedliche Antworten darauf vorfinden. Für mich gehört zu meinem Glaubensleben der Respekt vor der Entscheidung des Anderen, auch wenn er dann etwas lebt, was ich so in der Bibel nicht finde.
pro: Glauben Sie, dass Sie sich im Himmel wiedersehen werden?
Imam Kadir Sanci: Das weiß ich nicht.
Pfarrer Gregor Hohberg: Ich glaube an die Allversöhnung. Ich weiß nicht, wie das funktioniert. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott die Liebe ist, am Ende aber Menschen von dieser Liebe ausgeschlossen werden. Jeder wird die Chance haben, am Ende seiner Tage vor Gott stehend noch einmal um Vergebung zu bitten und sich Gottes Liebe schenken zu lassen – sogar ein Adolf Hitler.
pro: Diese Ansicht werden nicht alle Christen mit Ihnen teilen. Wie sieht es im Islam aus?
Imam Kadir Sanci: Ich sehe das ein wenig anders. Dieses Leben ist die Gelegenheit für die Menschen, die Barmherzigkeit Gottes zu erreichen. Für Menschen wie Adolf Hitler sieht es am Ende eher schlecht aus. Natürlich kann ich nicht für Gott sprechen. Und der Himmel ist so groß, dass er für uns alle reicht. Aber ich kann es für niemanden sagen. Nicht einmal für mich selbst.
pro: Träger ihres Projekts sind die Jüdische Gemeinde zu Berlin, das Abraham Geiger Kolleg, das Forum für Interkulturellen Dialog und die Evangelische Kirchengemeinde St. Petri – St. Marien. Warum steht auf der Liste keine katholische Einrichtung?
Pfarrer Gregor Hohberg: Ziel dieses Projektes ist der Schritt über die Religionsgrenzen hinweg. Wenn wir uns erst innerchristlich an einen Tisch gesetzt und versucht hätten, alle Konfessionen zusammenzubringen, dann hätte es das Projekt wahrscheinlich nie gegeben. Wir haben deshalb von Anfang an Partner in Islam und Judentum gesucht. Die Türen für Katholiken und andere sind aber weit offen, wenn sie mitarbeiten wollen. Wir haben das Erzbistum auch in einem Schreiben dazu eingeladen, haben aber keine Antwort erhalten. Von Altkatholiken und Anglikanern haben wir im Ökumenischen Rat positive Rückmeldungen bekommen.
pro: Auf muslimischer Seite arbeiten Sie mit dem Forum für Interkulturellen Dialog zusammen. Warum ist ihr Partner ausgerechnet ein Dialog-Verein und keine religiöse Einrichtung?
Imam Kadir Sanci: Wir hätten solche Partner finden können. Sogar die Ditib hat Interesse gezeigt, wollte aber alleiniger Partner sein, was wir abgelehnt haben. Das Forum ist seit vielen Jahren erfahren im Bereich religiöser Dialog.
pro: Wie repräsentativ kann ein Dialogverein für die Muslime in Deutschland sein? Erst recht, wenn er wie das Forum für Interkulturellen Dialog der Gülen-Bewegung nahe steht, die auch innerislamisch stark umstritten ist?
Imam Kadir Sanci: Die Moscheevereine in Deutschland haben erst nach und nach den Gedanken des Dialogs entwickelt. Mittlerweile gibt es viele Dialogbeauftragte in den muslimischen Gemeinschaften. Das entwickelt sich gut. Aber es gibt noch Defizite an der ein oder anderen Stelle. Das ist einer der Gründe, warum man sich für unser Dialog-Forum entschieden hat. Bei einer Moscheegemeinde würde sich an der Repräsentanz nichts ändern, denn es gibt im Islam keine Gemeindestrukturen und Netzwerke wie etwa in der Kirche.
Pfarrer Gregor Hohberg: Es gibt in Deutschland niemanden, der den Islam repräsentiert. Das macht die Sache für uns komplizierter. Repräsentativität ist deshalb nicht unbedingt das, was wir anstreben. Wollten wir repräsentativ sein, würde uns das auch unbeweglicher machen. Wir stehen für einen Teil und nicht für alle.
pro: Manche werfen Gülen Sektiererei vor. Er sei ein Feind des Westens, hieß es einmal im Spiegel. Besonders kritische Stimmen kommen auch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen …
Pfarrer Gregor Hohberg: Es gibt eine große Unsicherheit gegenüber der Gülen-Bewegung, die aber auch mit Unwissenheit zu tun hat. Fakt ist, dass sehr viele christliche Organisationen gut mit Vereinen zusammenarbeiten, die eine Nähe zur Gülen-Bewegung haben. Man macht da offenbar gute Erfahrungen. Im Vorfeld des Projekts haben wir viele Gespräche mit Integrationsbeauftragten, dem Innensenator von Berlin oder dem Bundesinnenministerium geführt. Sie alle haben uns grünes Licht für eine Zusammenarbeit gegeben. Ich kenne keine andere muslimische Organisation, die derart positiv in den Dialog geht, das Judentum ebenso respektiert wie das Christentum, versucht, tranparent zu sein und sogar von sich aus Schritte auf andere zugeht.
pro: Herr Sanci, Herr Hohberg, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Anna Lutz.
Mehr über das House of One lesen Sie in der kommenden pro, Ausgabe 4/2014, die am 13. August erscheint. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter der Telefonnummer 06441/915 151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.