Eine Schwester für Prostituierte

Am Mittwoch feiert die Ordensschwester Lea Ackermann ihren 85. Geburtstag. Ihr Leben hat sie dem Kampf gegen die Zwangsprostitution gewidmet – und dabei mit so mancher Konvention gebrochen. Ein Porträt von Anna Lutz
Von Anna Lutz
Lea Ackermann feiert am Donnerstag ihren 80. Geburtstag. Seit drei Jahrezehnten kämpft sie gegen Zwangsprostitution.

Wer Schwester Lea zum ersten Mal trifft, findet nicht vor, was ihr Namenszusatz vermuten lässt. Die gebürtige Saarländerin ist das, was man rüstig nennt, auch wenn das kaum reicht, um sie zu beschreiben. Das Einzige, was optisch auf die Profession der nun 85-Jährigen schließen lässt, ist ein goldenes Kreuz um ihren Hals. Keine Schwesterntracht verhüllt die stets lächelnde Nonne. Sie hat sie vor Jahren abgelegt, weil „die Männer in der Kirche schon genug zu sagen haben, sie müssen mir nicht noch vorgeben, was ich anzuziehen habe“, wie sie sagt. Dennoch hat sich Schwester Lea bewusst für ein Leben im Orden entschieden. Das Evangelium zu leben, sei ihre Berufung. Ihren Albtraum schildert sie in breitem Dialekt: „Jede Sunndach in die Kersch renne un doch net annersch sen wie die annere!“

Über drei Jahrzehnte ist es her, seit sie als Mitglied der „Missionsschwestern Unserer Lieben Frau von Afrika“ nach Kenia gereist ist, eigentlich, um Lehrerin zu sein. Seither widmet sie ihr Leben den Prostituierten. Davon überzeugt haben sie Szenen wie diese: Am 9. Oktober 1985 legte der amerikanische Flugzeugträger „Kitty Hawk“ in Mombasa an. Mit ihm erreichten 11.000 Seeleute das Land. Ausgehungert von den Wochen und Monaten auf dem Wasser stürmten sie Kneipen, Bars und Cafés der Hafenstadt. Doch nicht nur die Gastwirte hatten bei solchen regelmäßigen Besuchen von Soldaten aus Frankreich, Großbritannien oder eben Amerika viel zu tun. Auch das Geschäft mit der in Kenia eigentlich verbotenen Prostitution blühte. „Die Kioske vergrößerten ihr Warenangebot, die Hotels schlugen die Mieten auf; nur die Polizei schien sich auszuruhen“, erinnert sich Schwester Lea im ersten „Solwodi“-Rundbrief, jener Organisation gegen Zwangsprostitution, die sie selbst in den 80er Jahren gründete und die es seit 1987 auch in Deutschland gibt. Schwester Lea sah das Leid der Frauen, die mit dem bisschen Geld, für dass sie sich verkauften, ihre Familie ernähren mussten. Sie traf Frauen wie die minderjährige Maggy, die ihr eigenes Kind nach der Geburt in einer Toilette ertränkte – der Vater war ein Freier.

Beratungsstellen und Schutzhäuser

Seitdem ist viel geschehen. Schwester Leas Verein betreibt mittlerweile 17 Beratungsstellen in Deutschland. Er hilft Frauen beim Ausstieg aus dem Geschäft, bringt sie, wenn nötig, in den vereinseigenen Schutzhäusern unter. Die Katholikin wurde 2013 als Sachverständige zum Thema im Deutschen Bundestag gehört und forderte damals ein bedingungsloses Aufenthaltsrecht für Zwangsprostituierte aus Nicht-EU-Staaten. Sie hält Vorträge und leitet nach wie vor die Arbeit von Solwodi – auch wenn sie jüngst angekündigt hat, die Leitung abzugeben. Sie ist Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes und erhielt 2014 den Augsburger Friedenspreis. Damit befindet sie sich in Gesellschaft des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und des früheren Staatschefs der Sowjetunion, Michail Gorbatschow.

Heute wünscht sich Schwester Lea vor allem eines: „Es gibt zu wenig Angebot für Frauen, die aussteigen wollen.“ Hilfe zur Selbsthilfe lautet ihr Rezept dafür. „Keine einzige Frau, die ich getroffen habe, hat von sich gesagt, dass sie glücklich mit ihrem Leben als Prostituierte ist“, wehrt sie sich gegen die Romantisierung des Milieus. Nahezu immer resultiere das Anschaffen aus einer Armut, aus der die Frauen keinen anderen Ausweg sähen. Alternativen müssen her, dachte sie sich im Afrika der 80er.

Was kannst du denn?

„Ich habe die Frauen gefragt: Was kannst du denn?“ Vielfältige Talente kamen zum Vorschein, die eine war eine gute Bäckerin, die andere konnte töpfern, die nächste nähen. Damit jede Frau so gut es ging nach ihren Fähigkeiten arbeiten konnte, eröffnete Schwester Lea ein Frauenzentrum. Das erste Geld verdienten die Mitarbeiterinnen dort mit Eisverkaufen. Doch die Räume boten auch Platz zum Kuchenbacken oder zum Herstellen von Schmuck. Eine Kindertagesstätte, Beratungs- und Schulräume folgten. Egal, ob die Frauen dort kochten, Kinder hüteten oder bastelten, jede Tätigkeit wurde mit 75 D-Mark im Monat vergütet. Möglich wurde das durch Spenden aus Deutschland, aber auch durch das, was die Frauen selbst erwirtschafteten. „Arme Menschen haben keine Träume“, pflegt Schwester Lea noch heute zu sagen. Sie will ihnen den Weg zurück zur Hoffnung ebnen.

Mit 23 Jahren trat Schwester Lea ihrem Orden bei. Es fällt schwer, sich diese Schwester Lea, die eigentlich als Bankkauffrau in Saarbrücken und Paris arbeitete, in einem Kloster vorzustellen – heute wie damals. Vielleicht hat sie sich auch deshalb für das Leben in den Bopparder Weinbergen enschieden. Hier, in einem alten Pfarrhaus, wohnt sie und von hier aus steuert sie auch die Arbeit von Solwodi. Vom Büro aus, mit Blick auf das Flusstal und die Weinberge, hilft Schwester Lea weiterhin Frauen weltweit. „Wenn wir die Schöpfung ernst nehmen“, sagt sie, „dann dürfen wir Prostitution nicht zulassen“. Wenn sie ihre christliche Motivation erklären soll, hält sie es ausgerechnet mit der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Die soll einst dazu aufgerufen haben, die Prostitution zu hassen – aber die Prostituierten zu lieben. (pro)

Von: al

Dieser Artikel wurde erstmals am 2. Februar 2017 veröffentlicht.

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