Eine runde Arche schwimmt in Indien

Eine ZDF-Doku begleitet den Wissenschaftler Irving Finkel bei seinem Versuch, die Arche anhand eines Keilschrift-Textes nachzubauen. Das runde Schiff schwimmt tatsächlich. Es beweist aber nicht, dass die Arche nicht auch so ausgesehen haben kann, wie sie die Bibel beschreibt. Eine TV-Kritik von Timo Roller
Von PRO
Der Mann an Bord dieser Arche ist nicht Noah, sondern der Wissenschaftler Irving Finkel

Der Spartenkanal ZDFinfo strahlt am Sonntag, 19. April 2020, um 20.15 Uhr eine neue Dokumentation aus mit dem Titel „Die Arche Noah – Legende und Wahrheit“. Im Zentrum steht die spektakuläre Entdeckung einer Keilschrift-Tafel durch den britischen Assyrologen Irving Finkel: Aus einer Privatsammlung wurde dem Britischen Museum in London ein einzigartiges Tontäfelchen übergeben, in der Größe eines Mobiltelefons. Finkel, der dort arbeitet, erkannte in den Schriftzeichen darauf eine Geschichte, die nicht nur aus der Bibel bekannt ist, sondern auch von mehreren mesopotamischen Dokumenten wie dem Gilgamesch-Epos: die Geschichte einer Sintflut, einer Arche und eines Mannes, der beauftragt wurde, Tiere und Menschen zu retten!

„Jede Zeile darauf ist Gold wert“, sagt der Wissenschaftler, es handele sich um eine „fast 4.000 Jahre alte Bauanleitung“ für das lebensrettende Schiff. Ja, sie ist tatsächlich äußerst wertvoll, bestätigt sie doch die Erinnerung an eine große Menschheitskatastrophe, ausgelöst von höheren Mächten. Es gibt mehrere Sintflutberichte aus Babylonien, aus Assyrien, aus Ugarit und anderen Kulturen, die all die Elemente enthalten, die uns aus der Bibel vertraut sind: Ein Mann baut eine Arche, überlebt darin eine große Flut, landet auf einem Berg, schickt Vögel hinaus und opfert schließlich den Göttern – bzeziehungsweise Gott – als Dank für die Errettung.

Kopiert die Bibel mesopotamische Schriften?

Finkels Arche-Tafel enthält sogar detaillierte Angaben für die Beschichtung mit Bitumen zur besseren Schwimmfähigkeit, sie beschreibt – als einziger Keilschrift-Text – dass die Tiere paarweise in die Arche hineingehen, genau wie die Bibel.

Allerdings hat eine andere Angabe für Schlagzeilen gesorgt, denn sie steht im Widerspruch zur Erzählung aus der Genesis: Die Tafel aus dem Britischen Museum beschreibt den Bau einer runden Arche! Zudem datiert Finkel das babylonische Täfelchen auf 1750 vor Christus und hält es für „über 1.000 Jahre älter als die biblische Version“ der Sintflutgeschichte. In unserer Gesellschaft, in Wissenschaft und Medien, auch unter vielen Christen überwiegt schon längst die Überzeugung, dass die Geschichte der Sintflut und der Arche Noah nur ein Mythos ist, ein frommes Märchen. Folgerichtig verspricht diese Dokumentation wie manch andere vor ihr, den „wahren Kern der Geschichte zu entschlüsseln“. Ein wahrer Kern, mehr ist nicht zu erwarten?

„The Ark Before Noah“ (übersetzt: „Die Arche vor Noah“) heißt das Buch, das Finkel 2014 veröffentlicht hat und in dem er seine Erkenntnisse über die Arche-Tafel ausführlich darstellt. Die Arche sei also viel älter als die biblische Noah-Geschichte. Die Schreiber der Mose-Bücher hätten demnach während der babylonischen Gefangenschaft (6. Jahrhundert vor Christus) die mesopotamischen Sintflutlegenden kennengelernt und sie über 1000 Jahre nach deren Entstehung niedergeschrieben. Die Bibel als billige Kopie einer viel älteren Geschichte, in der auch noch die Form der Arche verfälscht wurde? Eine für gläubige Christen verwirrende, vielleicht verstörende Erkenntnis – wenn sie denn stimmt!

Verschiedene Textdokumente beschreiben unterschiedliche Formen der Arche Foto: ZDF und Blink Films/Kuni Takahashi
Verschiedene Textdokumente beschreiben unterschiedliche Formen der Arche

Der Film erzählt von Irving Finkels Entdeckungen, von den Aussagen der Tafel und von der Vision des Wissenschaftlers, seine runde Arche schwimmen zu lassen. Er nimmt die mesopotamische Anleitung wörtlich, obwohl er sich sicher ist: „Die Größe wurde übertrieben, um Eindruck zu schinden.“ Der Durchmesser des Schiffs ist mit 68 Metern angegeben, Finkels Ingenieure finden schnell heraus, dass eine Arche mit diesen Ausmaßen unter ihrer eigenen Last zusammenbrechen würde. Doch sie bauen die größtmögliche Version, die rechnerisch denkbar ist: mit zwölf Metern Durchmesser und einem Gewicht von 35 Tonnen. Finkel hat die genauen Angaben zum Bau der Arche aus Schilfseilen herausgeschrieben, nachgerechnet, analysiert – sie ergeben Sinn. Und dann hat sich sein Team auf die Suche gemacht nach den handwerklichen Grundlagen des Baus von sogenannten Guffas, kleinen runden Korbbooten, wie sie im Irak noch bis vor wenigen Jahrzehnten weit verbreitet waren. Gebaut wurde schließlich in Indien. Und am Schluss schwimmt die Arche tatsächlich! Mit Finkel an Bord, der mit seinem langen weißen Bart aussieht wie Noah mit Schwimmweste.

Reste der Arche im ersten Jahrhundert zu besichtigen

War die Arche wirklich rund? Irving Finkel glaubt das nicht, denn er ist der Meinung, dass es sie niemals gab. Doch viele Christen halten an der Überzeugung fest, dass die Sintflut ein historisches Ereignis war. Bibelorientierte Wissenschaftler wie Werner Gitt haben sogar rechnerisch die Schwimmfähigkeit der kastenförmigen biblischen Arche bestätigt. Was ist mit diesen Erklärungen im Licht der neuen Arche-Tafel?

Was im Film nicht erwähnt wird und auch von den Medien nicht beachtet wurde: Im Buch „The Ark Before Noah“ ist die kreisförmige Grundfläche der Arche nicht die ursprüngliche Bauart. Finkel analysiert weitere, noch ältere Arche-Beschreibungen und kommt zum Schluss, dass die Vorstellung einer Arche zunächst länglich-mandelförmig war, erst dann bekam sie eine runde Coracle-Form, daraus wurde die würfelförmige Gilgamesch-Arche und zuletzt – laut Finkel – die Arche Noah der Bibel.

Es könnte aber auch eine andere Erklärung geben: Vieles spricht dafür, dass die Genesis sehr viel früher entstanden ist und Mose die nach ihm benannten Bücher selber verfasst hat – um 1400 vor Christus. Auch die Zeugnisse seiner Vorfahren bis zurück in die Zeiten Abrahams und Noahs könnten bereits schriftlich fixiert gewesen und von Mose gesammelt worden sein. Der Geschichtsschreiber Josephus, der im ersten Jahrhundert nach Christus lebte, weist in seinen Schriften mehrfach darauf hin, dass zu seiner Zeit noch Überreste der Arche zu besichtigen waren.

Viele Keilschrifttexte bestätigen die Bibel

Weit zurückreichende Dokumente und noch lange existierende materielle Zeugnissen wären glaubwürdige Belege für eine tatsächliche Flutkatastrophe, die sich ins Gedächtnis der Überlebenden eingebrannt hatte und von deren Nachkommen auf vielfältige Weise überliefert wurde. Einzelheiten wie Form- und Maßangaben könnten verloren gegangen sein, vielleicht war die Sprachverwirrung in Babel eine Ursache für solch einen Informationsverlust. Dann blieb nur die Erinnerung an ein Boot, dessen Form mit zeitgenössischen Booten in Verbindung gebracht wurde. Ein babylonischer Ingenieur könnte eine Bauanleitung nach rundem Vorbild in gigantischen Ausmaßen rekonstruiert haben. Später gab es weitere Formen, zum Beispiel eine würfelförmige Arche im Gilgamesch-Epos, die möglicherweise auf astrologischen Überlegungen basierte. Auch eine längliche (aber viel zu große) Arche kannten die Babylonier: Von ihr berichtet der Priester Berossus um 300 vor Christus.

Und so beweist die Schwimmfähigkeit der runden Arche nicht, dass das Rettungsschiff der Menschheit und Tierwelt wirklich rund war. Es ist aber höchst erstaunlich, wie viele Keilschrifttexte insgesamt die Überlieferung der Bibel bestätigen. Aus diesem Blickwinkel ist der Film sehr sehenswert, Finkel ist ein sehr gründlicher Wissenschaftler. Mit seinem Buch hat er trotz des bibelkritischen Titels einen sehr wichtigen und fundierten Beitrag zur Erforschung der alttestamentlichen Welt geleistet. Wenn man die Fakten, die er präsentiert, aus biblischer Perspektive deutet, kann man ihn mit Spannung auf seinem Weg zur runden Arche begleiten und dennoch an der Glaubwürdigkeit der Bibel festhalten.

ZDFinfo, 19. April, 20.15 Uhr: „Die Arche Noah – Legende und Wahrheit“; Timo Roller ist Medieningenieur, Wissenschaftsjournalist, Autor des Buches „Das Rätsel der Arche Noah“ und betreibt die Internetseite www.bibelabenteurer.de. Dort ist ein ausführlicher Artikel zu finden mit dem Titel „War die Arche Noah rund?“

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