PRO: Frau Hollstein, was ist ihr Lieblingsfilm?
Miriam Hollstein: Das ist ein wenig so, als würde man eine Mutter fragen, welches von ihren dreien ihr Lieblingskind ist. Ich liebe so viele Filme und viele liegen mir besonders am Herzen. Star Wars zum Beispiel wegen seiner tiefen spirituellen Themen und der tollen Umsetzung. Der erste Avatar hat mich sehr berührt. Die neue Dune-Verfilmung hat mich gepackt. Die Antwort lautet: Die Filme, die ich in der Magengrube spüre und deren Bilder mich in meinem Leben weiter begleiten, sind für mich besonders. Mir fällt auch „Das Fest“ ein, ein Film über eine Familienfeier, auf der sich Missbrauch in der Familie offenbart. Ein toller Film, der einen sehr beunruhigt zurücklässt, weil er zeigt, wie kaputt Menschen und Beziehungen sein können.
Auf der Berlinale vergeben Sie im Namen einer Ökumenischen Jury insgesamt drei Preise an Filmemacher, die „menschliches Verhalten oder Zeugnis zum Ausdruck bringen, das mit dem Evangelium in Einklang steht, oder die es in ihren Filmen schaffen, das Publikum für spirituelle, menschliche und soziale Werte zu sensibilisieren“. Tut irgendetwas davon nicht irgendwie jeder Film, der auf der Berlinale läuft?
Nein. Aber es stimmt, Kino und Kirche haben sehr viele Gemeinsamkeiten. Beide erzählen uns Geschichten. Sie sind Räume, in denen vorne etwas geschieht, die aber auch Interaktion einfordern. Sie vermitteln also, aber sie fordern auch die Auseinandersetzung mit bestimmten Themen wie Spiritualität, Tod und ganz wichtig: Hoffnung. Wir als Ökumenische Jury legen Wert auf Filme, die christliche Werte transportieren. Andere Jurys schauen stärker auf Ästhetik oder Technik. Wir auf die Botschaft und die Werte, die der Film vermittelt.
Muss ein Film, den die Ökumenische Jury auszeichnet, hoffnungsvoll sein?
Wir sind eine sehr diverse Jury mit sechs Mitgliedern aus unterschiedlichen Ländern und Kirchen. Ich kann nicht für die anderen sprechen. Für mich ist wichtig, dass Filme Hoffnung vermitteln. Die Sicherheit, dass es selbst in ausweglosen Situationen Hilfe bei Gott gibt. Und dass jeder Mensch Potential hat und wertvoll ist, egal wie schwer das manchmal zu erkennen sein mag. Praktisch sieht es so aus, dass wir gemeinsam den Film ansehen und uns danach dazu austauschen. Und da jeder von uns seine eigene Glaubensgeschichte mitbringt, bin ich sehr gespannt, wie dieser Austausch aussehen wird und welche Erfahrungen die Jurymitglieder einbringen.
Gibt es einen Film der letzten Jahre, der für Sie besonders vorbildlich Hoffnung und Menschenwürde ausgedrückt hat?
Im vergangenen Jahr hat die Ökumenische Jury „Un Año, Una Noche“ ausgezeichnet, ein Film über ein Paar, das den Terroranschlag im französischen Club Bataclan miterlebt und versucht, das Trauma zu verarbeiten. Der Film begleitet diese beiden Menschen und fragt: Was brauchen sie, um aus dem Leid herauszukommen? Das ist doch ein sehr christlicher Ansatz, finde ich.
In der Regel finden sich im Programm der Berlinale auch Filme, die sich mit dem christlichen Glauben oder zumindest mit Kirchenkritik beschäftigen. In diesem Jahr nicht. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Da kann ich noch nichts zu sagen, ich müsste die aktuellen Filme erst sehen. Aber ich stelle im Kino eher das Gegenteil fest: So gut wie jede Geschichte, von Avatar bis Spiderman, beinhaltet doch heute spirituelle Aspekte. Ich glaube, es gibt eine große Sehnsucht nach Glauben und die zeigt sich im Kino.
Sie sind Pfarrerstochter. War das Medium Film bei Ihnen zu Hause beliebt? Oder gar ein Mittel, um christliche Werte zu vermitteln?
Meine Mutter hat als Journalistin gearbeitet und war Filmkritikerin. Schon als Kindern gab sie uns Kinogeld zusätzlich zum monatlichen Taschengeld. So kam es, dass ich schon damals viele Filme gesehen habe und mit dem Bewusstsein aufgewachsen bin, dass das Kino wichtige Botschaften übertragen kann. Auch auf christlicher Ebene.
Sie sind eigentlich Journalistin bei T-Online, wieso sitzen Sie nun in der Ökumenischen Jury der Berlinale?
Ich habe früher Filmkritiken geschrieben, bevor ich mich in Richtung Politik weiterentwickelt habe. Ich war schon 1991 das erste Mal auf einer Berlinale. Damals saß ich sogar in der Leserjury einer Tageszeitung. Um den Platz hatte ich mich einfach beworben. Seitdem bin ich der Berlinale verbunden. Ich war seitdem immer mal wieder Mitglied in Jurys und bin auch seit vielen Jahren bei Interfilm engagiert, der evangelischen Filmarbeit, die einen Teil der Ökumenischen Jury verantwortet. Nun wurde ich für die Ökumenische Jury vorgeschlagen und habe sofort zugesagt.
Können Filme missionarisch sein?
Ja. Sie sollten aber nicht mit dem Bewusstsein produziert werden, missionarisch sein zu wollen. Denn dann ordnet sich die Geschichte einem Zweck unter und ist damit wenig authentisch. Das funktioniert in meinen Augen nicht. Unsere Artikel als Journalisten sind auch nicht missionarisch in erster Linie. Aber wir wollen Menschen berühren und deren Leben verbessern. Gute Werte betonen. Das können Filme ebenfalls. Und das ist missionarisch.
Können Filme Menschen näher zu Gott bringen? Und hat das ein Film bei Ihnen schon einmal bewirkt?
Dune hat mich so im Inneren gepackt, dass ich mir existenzielle Fragen gestellt habe. Über das Leben und die Trauer und den Tod. Wenn man so will hat mich das näher zu Gott gebracht. Star Wars hat mich auch dazu gebracht, über die großen Fragen nachzudenken: Über Vergebung etwa. Das bedeutet nicht, dass ich danach mehr gebetet habe. Aber der Film hat Anknüpfungspunkte für Spiritualität hinterlassen.
Liebe Frau Hollstein, vielen Dank für das Gespräch!