Ein Tempel für Atheisten

Alain de Botton ist bekennender Atheist. Doch er wünscht sich einen netteren Atheismus als den, den etwa der Biologe Richard Dawkins in den letzten Jahren bekannt gemacht hat. Weil der Welt vieles  fehlen würde, wenn es keine Religionen mehr gäbe, wünscht sich der gebürtige Schweizer Ersatz. Im Londoner Bankenviertel würde er gerne einen "Tempel für Atheisten" bauen.
Von PRO

Der 42-jährige Alain de Botton hat Philosophie studiert und mit Büchern über sein Fach viel Geld verdient. Seine bekanntesten Bücher heißen "Trost der Philosophie: Eine Gebrauchsanweisung", "Wie Proust Ihr Leben verändern kann. Eine Anleitung" oder "Glück und Architektur: Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein". Der Autor versucht, Themen der Philosophie für den Alltag brauchbar zu machen. Er  besitzt eine eigene Firma für Fernsehproduktionen mit dem Namen "Seneca Productions", welche hauptsächlich aus seinen eigenen Texten Fernsehsendungen erstellt. Regelmäßig veröffentlicht er Kolumnen in britischen Zeitschriften. De Botton wurde in Zürich geboren, lebt jedoch mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in London.

Der bekennende Atheist brachte vor kurzem sein neues Buch heraus, das den Titel trägt "Religion for Atheists" ("Religion für Atheisten"). Darin beschäftigt er sich mit der Frage, wie man ein gutes Leben auch ohne Religion führen kann. Zwar bezeichnet der Philosoph religiöse Überzeugungen als Unsinn, doch er rät, man solle sich nicht über sie lustig machen, sondern von ihnen lernen. Schon mehrere Philosophen haben die These aufgestellt, dass Religion allein deshalb für eine Gesellschaft von Wert sein könnte, weil sie Stabilität schaffe – zuletzt etwa der Deutsche Jürgen Habermas.

Zynischer Atheismus aus Oxford als Vorbild

Alain de Botton will die Religionen "bestehlen", schreibt er. Denn sie seien voller guter Ideen, die in säkularisierten Gesellschaften verloren gegangen seien und für Atheisten praktisch sein könnten. Als Beispiel nennt er das Gemeinschaftsgefühl: Von Religionen, vor allem der katholischen, könnten Atheisten lernen, dass gemeinsame Rituale die Menschen verbinden. Auch die Bildung müsse dafür sorgen, dass Menschen auch ohne religiösen Hinterbau mit Sinn-Fragen umgehen können. Auch die Kunst, die historisch gesehen ohne Religion kaum denkbar ist, müsste demnach ebenfalls eine neue atheistische Wendung erleben.

Überall dort, wo Religionen den Nicht-Religiösen weit voraus sind, sollten die Atheisten also Nachhilfe nehmen, findet Allain de Botton. Es liegt daher nahe, dass der Atheist über "atheistische Kirchen" nachdenkt. Der Schriftsteller plant für die Londoner Innenstadt einen "atheistischen Tempel". Laut der britischen Tageszeitung "The Telegraph" schwebt ihm ein 46 Meter hoher schwarzer Turm vor. Die Architekten Tom Greenall und Jordan Hodgson seien bereits darauf angesetzt. "Es ist Zeit, dass Atheisten ihre eigenen Versionen von Kirchen und Kathedralen bekommen", wird er in der Zeitung zitiert.

Innen soll die evolutionäre Entwicklung des Lebens dargestellt werden, außen das menschliche Genom. Die Steine sollen unterschiedlicher Art sein und für die verschiedenen Epochen der Zivilisation stehen. Am Fuße soll der Turm mit einem ein Millimeter dicken Ring aus Gold verziert sein, der die kurze Dauer symbolisieren soll, die der Mensch bislang auf der Erde lebt, im Vergleich zum Erdalter von 300 Millionen Jahren. "Es wird keine Liturgie geben, keine Bibel", so de Botton. Das Gebäude ähnele eher einer Kunstgalerie. "Mein Ziel hat viel zu tun mit über 60-jährigen akademischen Männern aus Oxford, die Gläubige angreifen und sagen, dass Religion lächerlich ist." Ob die Menschen in seinem Tempel beten würden, lautete die Frage eines Journalisten, und de Botton antwortete: "Nein, sie verhalten sich wohl eher wie in einem Museum."

Die Hälfte der umgerechnet 1,2 Millionen Euro, die für den Bau veranschlagt werden, will der Autor bereits von anonymen Spendern gesammelt haben. Die Bauarbeiten könnten schon 2013 beginnen, hofft de Botton. Der Autor selbst ist sehr wohlhabend; es gibt Gerüchte über einen Anlagefonds in Höhe von umgerechnet 240 Millionen Euro. Er selbst behauptet, lediglich 8,6 Millionen Euro zu besitzen.

Wie der "Guardian" berichtet, möchte de Botton dem aggressiven so genannten "Neuen Atheismus" einen Tempel "für Liebe und Freundschaft" entgegensetzen. "Wegen Menschen wie Richard Dawkins und Christopher Hitchens ist der Atheismus bekannt geworden als destruktive Kraft. Aber es gibt viele Menschen, die nicht gläubig sind, aber nicht aggressiv gegen Religion sind", so der Philosoph. Der Biologe Dawkins selbst äußerte sich gegenüber dem "Guardian" kritisch zu den Plänen des Schweizer Autors. Der Autor des Buches "Der Gotteswahn" sagte: "Atheisten brauchen keinen Tempel." (pro)

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