Rolf Bauerdick ist von Hause aus Katholik. Als Journalist hat er schon viel von der Welt gesehen. Seine Beobachtungen über Religion und ihre Ausprägungen hat er in seinem Buch „Wenn Gott verschwindet, verschwindet der Mensch“ zusammengefasst. Er plädiert dafür, die spirituelle Dimension des menschlichen Daseins nicht zu verlieren. Aus seiner Sicht hat der Glauben eine wichtige Funktion für die Gesellschaft.
Für eine Gesellschaft sei es nicht gut, wenn ihr die vertikale Komponente fehlt. Gerade die Zeit der Bankenkrise habe gezeigt, was passiert, wenn sich Menschen von Luftschlössern und Zaubergötzen blenden ließen. Ein starker Glaube sei für die Menschen wichtig. Dieser könne dem „Sog des Nihilismus“ widerstehen – „ein schwacher nicht“.
Die Gesellschaft rede heute nicht mehr so selbstverständlich über Gott wie früher, bilanziert Bauerdick. Was die Kirchen verkündigten, lasse die Menschen auch oft „seltsam unberührt“. Statt in Kirchen finde die geistliche Pflege eher im Wellness-Bereich statt. Skeptisch äußert sich Bauerdick über fundamentalistische Christen. Früher seien die religiösen Eiferer eher humorlos und missmutig gewesen, heute bestächen sie durch ihre zur Schau getragene Verzückung.
Gottesdienst hatte keinen Gebrauchswert
In den einzelnen Kapiteln erzählt Bauerdick immer wieder Geschichten seiner Begegnungen mit gläubigen Menschen. Er erzählt von Padre Roberto, der am liebsten mit den Müllmenschen Mexikos – den Schwächsten in der Gesellschaft – unterwegs ist. Er berichtet von den exorzistischen Praktiken, die er in Rumänien erlebt hat. Und er erzählt von sich selbst. Aufgewachsen im katholischen Münsterland sah er im sonntäglichen Gottesdienst keinen echten Gebrauchswert für sein Leben.
In seinem Theologiestudium in Münster begegnen ihm die Hardliner der historisch-kritischen Exegese. Er trifft Menschen, die davon enttäuscht sind, dass die Kirche ihre frohe Botschaft nie wirklich lebt. Richtig befremdet ist Bauerdick von dem „grotesken Glauben“ der Evangelikalen Amerikas. Deren große Hoffnung in das Wirken des Heiligen Geistes ist ihm fremd. Zugleich beeindruckt ihn, wie sicher sie sich in ihrem Glauben fühlten. Trotzdem müsste es für die Freikirchen ein Lehramt geben, das wenigstens „den gröbsten Unfug“ korrigiere, schlägt Bauerdick vor.
Mehr Themen, als dem Buch gut tun
Was er auf jeden Fall nicht möchte, ist eine anbiedernde Zeitgeist-Kirche: „Nachdem sie nicht erreicht hat, dass die Menschen praktizieren, was sie lehrt, hat die gegenwärtige Kirche beschlossen, zu lehren, was sie praktizieren“, zitiert er den kolumbianischen Philosophen Nicolas Gomez Davila. Im 20. Jahrhundert habe der Protestantismus versucht, die Bibel zu entmythologisieren. Viele Theologen sähen Jesu Auferstehung als ein Märchen.
Dies habe den Autor zweifeln lassen und ihm das „Bekenntnis zu einem Gott plötzlich unmöglich“ gemacht. Auf der anderen Seite sieht Bauerdick im Tod Jesu am Kreuz die Menschwerdung Gottes verwirklicht. Dies sei auch sein Kernthema des Glaubens.
Bauerdicks Buch ist eine Sammlung von Erinnerungen und Begegnungen, die er auf seinen Reportage-Reisen gemacht hat und in denen er vielen interessanten Menschen begegnet ist. Der Autor taucht mit dem Leser in die Gedankengänge Karl Rahners und Ludwig Feuerbachs ein und überfordert ihn damit an vielen Stellen sicher ein wenig. Diese Komplexität macht es sicher nicht zu einer einfachen Guten-Nacht-Lektüre. Trotzdem lohnt es sich, einige Themen, von denen das Buch mehr hat, als ihm gut tun, weiterzudenken. Auch wenn Bauerdick zum Teil diskutable Thesen in Glaubensfragen vertrtitt: Für ihn steht fest, dass der Glaube an sich ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft bleiben muss. (pro)
Rolf Bauerdick: „Wenn Gott verschwindet, verschwindet der Mensch: Eine Verteidigung des Glaubens“, Deutsche Verlagsanstalt, 336 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 9783421046024
Von: jw