2003 erntete der CDU-Politiker Friedrich Merz Hohn und Spott, als er das Steuersystem enorm vereinfachen wollte. Drei Steuerstufen von 12, 24 und 36 Prozent versprachen deutlich geringere Steuersätze, als es das damalige Steuerrecht vorsah. In den Medien und im Gedächtnis blieb bei mir der Satz, dass jeder Bürger seine Einkommensteuer auf einem Bierdeckel ausrechnen können solle. Für mich als Laien auf diesem Gebiet schien das utopisch.
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) setzt noch einen drauf. Sie will die Bibel auf einem Bierdeckel abdrucken. Zugegeben: nicht die ganze Bibel. Alle evangelischen Haushalte auf dem Gebiet der EKHN bekommen in den nächsten Tagen Post. In ihrem Briefkasten finden sie einen von insgesamt einer Million dieser besonderen Getränke-Untersetzer.
In der „dritten Halbzeit“ über den Glauben reden
Natürlich ist nicht die gesamte Bibel darauf abgedruckt, aber es geht um einen der Kernpunkte des christlichen Glaubens. Dazu gehört das Doppelgebot der Liebe. Auf dem Bierdeckel stehen die drei kurzen und prägnanten Sätze. „1. Liebe Gott. 2. Liebe Dich selbst. 3. Liebe die Anderen.“ Die drei Sätze laden dazu ein, über die Grundfragen des Glaubens zu reden und sich Gedanken zu machen.
Zudem wünschen sich die Verantwortlichen, dass die Gemeinden in Kneipen oder an anderen Orten Fragen dazu stellen, was Christsein heute bedeutet. Begleitet wird die Aktion via Internet (Bibel-auf-Bierdeckel.de) und Social Media, in Gottesdiensten und speziellen Veranstaltungen.<nonbreaking-space>
Landauf, landab laden viele Vereine gerade zu Oktoberfesten ein und auch auf der Münchener Wies’n werden wieder Rekordsummen von Hektolitern getrunken. Ich selber bin kein Biertrinker. Trotzdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich oft bei einem „Kühlen, Blonden“ gute Gespräche über gesellschaftliche, ethische oder christliche Fragen ergeben. Im Hinterkopf habe ich dabei den Satz meines Vaters, der über drei Jahrzehnte ehrenamtlich im Kirchenvorstand aktiv war: „Die besten Gespräche über den Glauben hatte ich oft nicht in der Kirche, sondern in der ‚dritten Halbzeit‘ in der Sporthalle“, sagte er mir kürzlich auf dem Heimweg von einem Heimspiel unseres Handballvereins TV Hüttenberg.
Das Beispiel sollte Schule machen
In der dritten Halbzeit analysieren die Zuschauer in den Turnhallen der Republik das Spiel noch einmal – aber manchmal eben nicht nur das Spiel. Leider braucht man für das Bier in der Hand dort keinen Bierdeckel. Zudem ist nicht jeder ein großer Sportfan. Aber vielleicht ist die Post ja wieder einmal eine Einladung an Nachbarn und Freunde in das heimische Wohnzimmer wert.
Wenn Sie ihnen das Bier auf dem Bierdeckel servieren, könnte das ein Anknüpfungspunkt für Gespräche sein. Natürlich nicht gezwungen oder erzwungen. Aber der Geist Gottes wirkt ja sowieso, wo er will. Vielleicht auch da. Ich würde mir wünschen, dass das Beispiel mit den Bierdeckeln auch in anderen Landeskirchen Schule macht und sich möglichst viele Menschen bei einem Bier – oder einem anderen Getränk – in den kommenden Wochen über die Kernbotschaften des Glaubens unterhalten. (pro)