Ein Mensch ist mehr als seine Religion

Jeder zweite Deutsche nimmt den Islam laut einer Bertelsmann-Studie als Bedrohung wahr. Das schade dem Miteinander und der demokratischen Kultur, heißt es in der Studie. Das Ergebnis sollte eine Ermahnung sein, den Anderen zuerst als Menschen zu sehen – und nicht als Angehörigen einer Gruppe. Ein Kommentar von Jonathan Steinert
Von Jonathan Steinert
Religiöse Toleranz ist notwendig für ein gutes gesellschaftliches Miteinander

Etwa die Hälfte der Deutschen nimmt den Islam als bedrohlich wahr. Das hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung auf Basis des Religionsmonitors ergeben. In den neuen Bundesländern sind es ein paar Prozent mehr als im Westen, aber das Niveau ist ähnlich. Studienautor Gert Pickel weist darauf hin, dass nicht jeder, der sich wegen des Islams Sorgen mache, auch feindlich gegenüber Muslimen eingestellt sei. Aber die „Distanz gegenüber Muslimen ist damit erheblich ausgeprägter als gegenüber anderen weltanschaulichen Gruppen“.

Der Religionssoziologe findet das problematisch: Religiöse Toleranz sei die Voraussetzung für das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft. „Deswegen schadet es dem sozialen Miteinander und der demokratischen Kultur auf Dauer, wenn eine signifikante Gruppe innerhalb der Bevölkerung eine andere, kleinere Gruppe als Bedrohung ansieht.“

Das Bild ist nicht vollständig

Es ist kaum verwunderlich, dass die Ängste gegenüber dem Islam größer sind als in Bezug auf eine andere Religion. In fast allen muslimisch geprägten Ländern werden Freiheitsrechte unterdrückt, Terroristen töten im Namen des Islams Menschen, Frauen haben in muslimischen Gesellschaften zum Teil weniger Rechte als Männer, islamische Schulbücher hetzen gegen Israel und den Westen. Wer all dies aus den Medien weiß, dessen Blick auf den Islam speist sich vor allem aus diesen Bildern. Insofern hat die Skepsis gegenüber dem Islam eine faktische Basis. Auch Muslime selbst kritisieren hierzulande diese Aspekte ihrer Religion und deren politisch-ideologische Vereinnahmung.

Trotzdem ist das nicht zwangsläufig das ganze Bild „des Islams“ und auch nicht das, wofür jeder Muslim steht. Es ist wichtig, das im Blick zu haben, wenn uns an einem gelingenden Miteinander gelegen ist. Gerade Evangelikale kennen es, anhand einzelner Aspekte als „die Evangelikalen“ abwertend gebrandmarkt zu werden. Zum Beispiel Journalisten machen diese Bewegung oft an Positionen zu Homosexualität, Abtreibung oder der Evolutionstheorie fest. Doch diese Punkte definieren keineswegs umfänglich, was „evangelikal“ ausmacht. Zum einen, weil es noch viel mehr Themen gibt, zu denen evangelikal gesinnte Christen etwas zu sagen haben, zum anderen, weil nicht alle dieselbe Meinung vertreten. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen.

Erstmal kennenlernen

Den Effekt davon stellt die Bertelsmann-Studie auch fest: Wer mehr Kontakt hat zu Angehörigen einer anderen Religion, nimmt diese generell weniger als Bedrohung wahr. Wer kaum Menschen einer anderen Religion kennt, ist schnell und recht absolut mit einem negativen Urteil dabei.

„Beurteile nie einen Menschen, bevor du nicht einen halben Mond lang seine Mokassins getragen hast.“ Sprichwort

Das ist keine neue Erkenntnis. Aber es ist immer wieder wichtig, sie sich zu Herzen zu nehmen. In unserem Land leben immer mehr Menschen, die woanders herkommen und einen für viele von uns fremden Glauben mitbringen. Das ist eine Tatsache, die wir nicht verändern, die wir aber gestalten können und müssen. Mein Nächster ist in erster Linie ein Mensch. Alle anderen Kategorien wie Herkunft, Geschlecht oder Religion sollten keine Rolle dafür spielen, wie ich ihm als Menschen begegne. Und erst dann – und nur dann – erfahre ich, wie er wirklich ist und denkt, was ihm sein Glaube bedeutet und ob ich Angst vor ihm haben muss – oder eben nicht.

Von: Jonathan Steinert

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