Ein Leckerbissen für Kunstliebhaber: Die Bibel bei Dalí

Wer bei dem spanischen Maler Salvador Dalí nur an einen exzentrischen Selbstdarsteller und an rätselhafte Bilder von fließenden Uhren und brennenden Giraffen denkt, kann sich in einer neuen Ausstellung überraschen lassen: In Rottenburg am Neckar ist ein noch ziemlich unbekannter Dalí zu sehen, der voller Bewunderung für die Bibel ist.
Von Jörn Schumacher
Noch bis zum 12. Januar 2020 im Diözesanmuseum Rottenburg: Der Bibel-Zyklus des bekannten Malers Salvador Dalí

Normalerweise verbindet man mit Dalí etwas geheimnisvolle, nebulöse Bilder des Surrealismus. Da stapfen Pferde oder Elefanten mit unnatürlich langen Beinen durch eine Wüstenlandschaft, Uhren zerfließen wie geschmolzener Käse, und eine Giraffe brennt lichterloh. Doch mit der Bibel oder dem christlichen Glauben hat man Dalí vielleicht weniger in Verbindung gebracht. Umso erstaunlicher ist die Ausstellung „Biblia Sacra“, die vom Diözesanmusem Rottenburg noch bis zum 12. Januar 2020 gezeigt wird. Ein Leckerbissen für Kunstliebhaber, zumal der Bibelzyklus überhaupt erst zum dritten Mal öffentlich ausgestellt wird! Und es gibt einiges zum Staunen.

Hier wird der bereits ältere (weisere?) Dalí plötzlich theologisch. Seine Bilder sind das Zeugnis einer tiefen Religiosität des Spaniers. Die Kuratorin Melanie Prange hat die 105 Bilder des Malers in einem schlichten Raum im Untergeschoss des Museums aufgestellt, wo sie dicht beieinander hängen, so dass man sie bequem in einem Rundgang ansehen kann. Es sind 63 Illustrationen zum Alten und 42 zum Neuen Testament. Lediglich der Mose-Zyklus, der zehn Jahre später entstand, und sich mehr der Psychoanalyse Siegmund Freuds widmet, befindet sich etwas abseits in einem Nebenraum.

Dalí wird hier zum Prediger

Der im Jahr 1989 verstorbene Surrealist Dalí, sonst bekannt als Selbstdarsteller mit arroganter Mine und gezwirbelten Bartspitzen, wird hier geradezu demütig. Voller Liebe und Bewunderung scheint er seine Bibel zu lesen. Die Geschichten aus Altem und Neuem Testament erstrahlen hier in schillernden Farben. Manchmal wird man an den jüdischen Maler Marc Chagall erinnert. Vor allem aber erhält fast jedes Bild eine eigene Bibelauslegung.

Die Referenzen auf Elemente der Kunstgeschichte sind zahlreich. Daher empfiehlt es sich sehr, sich eine der Informationsbroschüren zur Hand zu nehmen und damit den Zyklus zu entdecken. Denn erst mit Hilfe dieser erhellenden, gut geschriebenen Erklärungen von Leiterin Prange und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Daniela Blum erschließt sich dem Besucher der theologische Ansatz des Künstlers vollständig.

Verbindungen zwischen Altem und Neuem Testament

Für Dalí gehören die beiden Bücher der Bibel zusammen. Schon in den Bildern zum Alten Testament tauchen Referenzen zu Jesu Kreuzestod auf, und in der Schöpfungsgeschichte am Anfang der heiligen Schrift sieht der Maler Verbindungen zur „neuen Schöpfung“, zum neuen Menschen in Jesus Christus. Und wenn auf dem Bild „Die Geburt Jesu“ das Jesuskind in der Krippe liegt, stellt der Künstler auch hier ein deutlich sichtbares Kreuz daneben, um auf den zukünftigen Opfertod Jesu aufmerksam zu machen. „Der Grablegung verleiht Dalí durch seine Farbsymbolik schon den Ausblick auf die Auferstehung, welche sich im folgenden Bild vollzieht“, schreiben Prange und Blume im Beiheft. „Dort ist Christus – der neue Adam – wie der Alte Adam in Michelangelos epochalem Schöpfungsbild dargestellt.“ Weiter heißt es: „Indem Dalí den Schöpfung- und den Passionszyklus künstlerisch zusammenführt, macht er eine theologische Aussage: So wie Gott am Anfang den Menschen schuf, so entsteht mit der Auferstehung Jesu eine neue Schöpfung und ein neuer Mensch, der nicht mehr dem Tod ausgeliefert ist, sondern an der Auferstehung Jesu teilhaben wird.“ Wer hätte gedacht, dass Dalí so predigen kann?

Neben den weltweit bekannten, fast schon ikonographisch gewordenen Bildern Dalís, ist sein Bibelzyklus wenig bekannt. Zu Unrecht. Denn kaum hat ein Maler mit so viel Einfühlungsvermögen und Bibelkenntnis die Geschichten von Mose, Abraham und Jesus so gekonnt auf Papier gebannt. Wer über das erste Staunen über Farbspiel und originelle Formgebung hinweg genauer hinschaut – und sich vielleicht das eine oder andere Motiv erklären lässt – stößt auf einen Schatz an Bibelinterpretation, die einer Predigt gleichkommt. Ein Leckerbissen für jeden Kunstliebhaber, und vielleicht ein guter Einstieg, die Aussagekraft der biblischen Bilder neu zu entdecken.

Von: Jörn Schumacher

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