Viele werden erwarten, dass ein Film über Bob Dylan, jenen einzigen Musiker, der je den Literaturnobelpreis bekam, nicht umhin kann, dessen christlichen Glauben zu zeigen. Ende der 70er Jahre besuchte Dylan einen Bibelkurs in der Vineyard-Gemeinde in Los Angeles, konvertierte und veröffentlichte anschließend drei Alben, die den christlichen Glauben thematisierten: „Slow Train Coming“, „Saved“ und „Shot of Love“.
Der am 27. Februar auch in den deutschen Kinos anlaufende „Like a complete Unkown“ zeigt von all dem nichts. Am Freitag war er als Vorpremiere bereits auf der Berlinale zu sehen. Dabei hat Regisseur James Mangold in der Vergangenheit gezeigt, dass er durchaus Interesse am spirituellen Lebenswandel seiner Hauptfiguren hat. Von ihm stammt auch das Johnny Cash-Biopic „Walk the Line“.
Bob Dylan vor seiner Hinwendung zum Glauben
Dennoch: Mangolds neuester Film zeigt den Dylan der 60er Jahre. Weit vor seiner Bekehrung also, ein Mann in seinen Zwanzigern. Wer auf christliche Inhalte bei diesem achtfach oscarnominierten Film hofft, der wird enttäuscht. Auch sonst hat Mangold Dylans Geschichte mit Hauptdarsteller Timothée Chalamet weit weniger spektakulär in Szene gesetzt als etwa Cashs. Was mitnichten bedeutet, dass der Film nicht sehenswert wäre.
In „Like a complete Unknown“ ist der junge Bob Dylan in den ersten Zügen seiner Karriere, die aus ihm bis heute einen der größten Musiker der Welt gemacht hat. Am Beginn fehlt ihm im Gegensatz dazu noch das Geld für ein Taxi, er trampt durch New York, nur um sein großes an Chorea Huntington erkranktes Musikeridol, den Folksänger Woody Guthrie (Scoot McNairy), im Krankenhaus zu besuchen und ihm einen selbstgeschriebenen Song vorzuspielen.
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Schließlich gelingt dies und er trifft dort nicht nur auf Guthrie, sondern auch auf den ebenfalls bekannten Folkmusiker Pete Seeger (Edward Norton). Dieser erkennt Dylans Talent und fördert ihn in den kommenden Jahren. Unter anderem indem er eine Kooperation mit der bereits zu Berühmtheit gekommenen Joan Baez (Monica Barbaro) ausmacht. Beide treten gemeinsam auf, Baez singt erstmals Dylans Welthit „Blowin’ in the Wind“.
Schon bald überrollt Dylan der Ruhm, gegen den er sich Zeit seines Lebens fast gewehrt hat. Im Film wird der einst offene, fröhliche und kommunikative junge Mann zunehmend verschlossen, versteckt sich vor der Öffentlichkeit, wehrt sich gegen die Vereinnahmung von außen. Jeder wolle etwas in ihm sehen, aber jeder sehe etwas anderes, erklärt Dylan im Film. Auch im echten Leben ist der Sänger bekannt dafür, öffentlich wenige Worte zu machen. Seinen Nobelpreis etwa holte er im Jahr 2017 mit drei Monaten Verspätung in Stockholm ab – und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dylan ist auch bekannt dafür, Mythen um seine Person und seinen Lebenslauf zu erfinden.
Gegen das Establishment
Es ist vielleicht diesem Persönlichkeitszug Dylans geschuldet, dass auch der Dylan im Film über 141 Minuten ein Rätsel bleibt. Wirklich nah kommt der Zuschauer ihm nicht, wohl aber soll er eines mitnehmen: Für Bob Dylan sind Musik und Lyrik eine Spielwiese ohne Konventionen. Wer auch immer ihn in Schranken weisen will, wird ihn verlieren.
So dreht sich ein Großteil des Biopics um das von Pete Seeger initiierte Newport Folk Festival, bei dem Dylan auch dann noch auftritt, als er die Akustikgitarre bereits zeitweise gegen die E-Gitarre getauscht hatte und sich mit Songs wie „Like a rolling Stone“ der Rockmusik annahm. Ein Affront für das musikalische Establishment der Folkszene, dass sich so sehr den alten Dylan wünscht, dass man ihn lieber gar nicht auftreten lassen will, als mit dieser neuen Musik. Dylan setzt sich durch – auch wenn das die Wut der Verantwortlichen und des Publikums provoziert. Ein Sinnbild für die Karriere des Musikers, dem nichts grausamer erscheint, als in eine Schublade gesteckt zu werden.
So ist „Like A complete Unknown“ ein Film über den Musikrevoluzzer Bob Dylan, nicht aber über den Glaubenshelden. Auch bei der Berlinale-Pressekonferenz mit Star Chalamet ging es nicht um Dylans Glauben. Wohl aber sprach sich der Oscarnominierte gegen „Erlöserfiguren“ aus. Niemand solle ihnen blind folgen. Ein Verweis wohl eher auf die Politik als auf den Glauben.
Das Gefühl der 60er Jahre
„Like a complete Unknown“ ist ein etwas zu langer, aber wertvoller Film über das Musikgefühl der 60er Jahre, gesellschaftlichen und künstlerischen Umbruch und er zeigt den großen Bob Dylan als das, was er ist: Gewollt unnahbar, unbestritten genial, mysteriös und in allem auch verloren. Chalamet verkörpert das in herausragender Weise, noch dazu singt er Dylans Lieder hervorragend selbst.
Wer ins Kino geht, wird es nicht bereuen, auch wenn Regisseur Mangold dem christlichen Lebenswandel Dylans keinen Raum gibt. Der bereits erwähnte Johnny Cash, das mag ein Schmankerl für Fans sein, kommt übrigens auch in diesem Mangold-Film vor – doch auch er weit vor seiner Hinwendung zum Christentum.