"Die Menschenwürde ist der moralische Kern dessen, was unsere Grundrechte ausmacht", erklärte Simone Dietz, Professorin für Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, auf der "Medienversammlung". Veranstalter der Konferenz am Dienstagnachmittag war die Medienkommission der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM). "Wir können über die Menschenwürde nicht verfügen, sie nicht verlieren und niemandem aberkennen, nein, sie kommt jedem zu und muss respektiert werden."
Dietz machte deutlich, dass es bei der Verletzung der Menschenwürde in den Medien eine juristische und eine moralische Dimension gebe: "Ich kann mich moralisch falsch verhalten, während es juristisch absolut korrekt ist." Im Fernsehen werde die Menschenwürde zum Beispiel dann verletzt, wenn Menschen nicht als Personen, sondern als bloße Objekte gezeigt werden: "Tote können sich dagegen nicht wehren, auch keine Opfer von Amokläufen, deren Bilder im Internet beschafft werden. Sie werden ohne ihr Einverständnis den Blicken eines anonymen Publikums ausgeliefert". Auch bei Scripted-Reality-Formaten und Doku-Soaps wie "Schwer verliebt" stehe oft der Voyeurismus der Zuschauer im Vordergrund: "Wenn laienhafte Akteure in eine Situation geraten, die sie nicht überblicken können, werden sie zu Kuriositäten im Menschenzoo", so die Professorin. Dass diese Personen freiwillig an den genannten TV-Sendungen teilnehmen, dürfe aber auch nicht außer Acht gelassen werden.
Elli Erl: Druck von DSDS-Produzenten
Die Medienrechtlerin Nadine Klass von der Universität Siegen appellierte an die Medienschaffenden, Protagonisten zu schützen und nicht zu instrumentalisieren. So sei es ein Unterschied, ob in der Sendung "Die Super-Nanny" eine Szene, in der ein Kind geschlagen wird, ein mal gezeigt werde – oder ob die Szene mehrfach wiederholt, mit Musik unterlegt und auch in Werbetrailern zu sehen sei. Die Lösung sieht Klass aber nicht in mehr Regeln und Verboten: "Wenn der Staat paternalistisch eingreift, um Leute vor sich selbst zu schützen, dann nimmt er ihnen auch ihre Würde."
Die Sport- und Musiklehrerin Elli Erl, die 2004 die zweite Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) gewonnen hatte, berichtete über Druck von Seiten der Produzenten: "Es fing schon damit an, dass wir uns vor unseren Auftritten nicht selbst unsere Klamotten aussuchen durften". Die Kandidaten bei DSDS seien damals im Vergleich zu heute älter und nicht bereit gewesen, für den scheinbaren Erfolg alles zu machen und Privates nach Außen zu kehren. "Einmal haben sich die Macher mit uns zusammengesetzt und uns vorgeschlagen, Geschichten über uns zu erfinden", erzählte Erl. "Da habe ich mich dann ausgeklinkt."
Durch Mobbing und Häme in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter sei der Druck auf die Kandidaten heute noch größer geworden. "Ich spreche natürlich mit meinen Schülern über DSDS und auch ‚Germany’s Next Topmodel‘ und erkläre, dass man da eben nicht über Nacht zum Megastar wird", berichtete Erl. An DSDS in seiner jetzigen Form kritisiert die ehemalige Sängerin nicht nur Dieter Bohlens Sprüche, sondern auch die Bademoden-Auftritte der Kandidaten auf den Malediven: "16-Jährige müssen in einer Musiksendung nicht im Bikini vorgeführt werden. Das Format DSDS sollte so, wie es in den letzten Staffeln konzipiert war, nicht mehr stattfinden."
Alexander Kissler: "Zuschauer, empört euch!"
Der Medienwissenschaftler und Autor des TV-kritischen Buches "Dummgeglotzt", Alexander Kissler, beklagte eine "Infantilisierung" des Fernsehens nicht nur im Nachmittagsprogramm, sondern auch bei Sendungen wie dem "heute-journal". Er echauffierte sich insbesondere über eine Anmoderation von Claus Kleber zum Thema Eurokrise, in der Kühe als Metapher verwendet wurden. "Werdet erwachsen" lautet Kisslers Forderung an die Programmverantwortlichen. Journalisten sollten sich selbst nicht so wichtig nehmen sowie darauf achten, Kommentar und Nachricht nicht miteinander zu vermischen.
"Der Zuschauer ist kein Unschuldslamm", ergänzte Kissler, "denn zu ‚Medien‘ gehören immer Zwei: die Macher und die Rezipienten". So dürfe man den Bildern, die das Fernsehen zeigt, nicht immer vertrauen – was der Streit um die manipulierten Bilder bei der Fußball-EM erneut bewiesen habe. "Selbst in der ‚Tagesschau‘ werden heute YouTube-Ausschnitte als Authentizitätsjetons eingespielt – oft genug führen sie in die Irre."
Kissler zeigte sich darüber erfreut, dass die Quoten von Casting-Shows rückläufig sind, jedoch vermisst er die Empörung unter den Fernsehzuschauern: "Der Schock ist eine Kategorie, die wir uns wieder aneignen müssen. Leute, empört euch!" Zuschauerprotest könne vor allem dann erfolgreich sein, wenn er sich gegen die Firmen richte, die im Umfeld von "problematischen" TV-Sendungen werben. "Dann trifft man sie nämlich am Geldbeutel, und da tut es ihnen am meisten weh", so der Kulturjournalist. (pro)