Am 5. Juli verstarb Stan Swamy im Alter von 84 Jahren im Gefängnis in Indien. Seit Oktober 2020 war einer der berühmtesten Katholiken des Landes in Untersuchungshaft, weil die indischen Behörden ihm Terrorismus vorwarfen. Die Kirchen, Menschenrechtler und die Vereinten Nationen hatten Swamys Freilassung gefordert. Bekannt wurde der Jesuit als Bürgerrechtler und Menschenrechtler, der sich unter anderem für die sogenannten Dalits eingesetzt hatte, also die sogenannten Unberührbaren.
Swamy litt an Parkinson und hatte sich außerdem mit dem Corona-Virus infiziert – offenbar im Gefängnis. Die indische Schriftstellerin und Aktivistin Arundhati Roy sprach daher in indischen Medien von einem „Mord in Zeitlupe“ durch den indischen Staat. Der Fall Swamys zeige exemplarisch, womit sich religiöse Minderheiten in Indien derzeit konfrontiert sehen, sagte der römisch-katholische Priester und Theologe Dirk Bingener im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Den Vorwurf, der indischen Behörden, Swamy sei Maoist gewesen und habe Terroristen unterstützt, weist Bingener zurück. „Er war ein Menschenfreund, der sich für vulnerable Gruppen eingesetzt hat. Der Vorwurf des Terrorismus und des Maoismus ist ein Vorwurf, der uns öfters begegnet. Das ist eine Geschichte, die erzählt wird von Hindu-Nationalisten, die dadurch Menschenrechtsaktivisten brandmarken wollen.“ Laut Bingener sitzen noch weitere 16 Menschenrechtsaktivisten seit 2017 in Haft, denen dieselben Vorwürfe gemacht werden wie Swamy, um sie mundtot zu machen.
„Hindu-Nationalismus missbraucht Religion“
Swamy sei ein bekannter Vertreter der christlichen Minderheit in Indien gewesen, betont Bingener. Indien sei überwiegend hinduistisch, die größte religiöse Minderheit seien die Muslime, und rund zwei bis drei Prozent der Bevölkerung seien christlich. Im Hindu-Nationalismus werde der Hinduismus als Vorwand benutzt gemäß dem Motto: „eine Religion, eine Rasse, eine Nation“. Bingener: „Man versucht sozusagen, den säkularen Staat in einen Hindu-Staat zu verwandeln.“ Und darunter litten Christen, Muslime und andere Minderheiten. Zudem verbiete es das Anti-Konversions-Gesetz in einigen Bundesstaaten Indiens, vom Hinduismus zu anderen Religionen zu konvertieren.
Die Situation habe sich für die Minderheiten seit 2014 „sehr verschlimmert“, analysiert Bingener. Der Jesuit Swamy sei eine öffentliche, wahrnehmbare Stimme in Indien gewesen. Sein Erbe sei es, „dass Menschen durch Bildung, durch Gesundheitsversorgung, durch eine Sozialarbeit und durch soziale Gerechtigkeit sich für ihre Rechte einsetzen können“. Das sei ein Ansporn für alle Religionen – in besonderer Weise natürlich auch für die katholische Kirche, die in Indien über 15.000 Schulen mit sechs Millionen Schülern unterhalte.
Eine Antwort
Das indische Rechtssystem ist darüber hinaus ganz anders als das unsere. Man kann einfach jemanden einer Straftat bezichtigen, dann wird der sofort eingebuchtet, und zwar in einem Gefängnis, daß menschenunwürdig ist. Eine kalte Betonpritsche zum Schlafen, ein Loch für die Notdurft, Licht brennt ständig. In Indien ist es so, daß ein Beschuldigter seine Unschuld beweisen muß, nicht wie bei uns die Unschuldsvermutung gilt. Dann werden gern Richter kurz vor dem angesetzten Prozeß ausgetauscht, der neu eingesetzte Richter muß sich natürlich erst neu mit den Akten befassen, was dauert. Auch wenn ein Termin angesetzt ist, ist nicht sicher, daß er auch verhandelt wird, es sind oft so viele Termine, daß dann eben Feierabend ist. Ja, ich kenne jemanden persönlich, der das erlebt hat.